Literarischer Salon: Wer kommt auf Platz Eins?

Reden und diskutieren über Bücher: Daniela Hungbaur, Lutz Kliche, Horst Thieme
und Michael Schreiner.

Die Haag-Villa platzte mal wieder aus allen Nähten, als die Augsburger Literatur-Fans ankamen. Sie wollten wieder die lebendige Diskussion über neue Bücher erleben. Unglaublich aber wahr: Diese Veranstaltung der Buchhandlung am Obstmarkt, organisiert von Kurt Idrizovic und seinem regen Team, lockt ohne viel Tamtam mehr Kultur-Leute in Augsburg an, als zum Start selbst der optimistischste Literatur-Experte je erwartet hätte.

Ein gepflasterter Weg führt leicht geschwungen durch die Parkwiese zur Haag-Villa hoch, aus deren Fenstern schon das Licht der Jugenstil-Kandelaber hervorscheint. Über Stufen und durch die Säulen gehts hinein. Romantischer geht's in Augsburg kaum, um die gedruckten Ideen und Fantasien dem lauschenden Publikum mit anregenden Kommentaren zu servieren.

Auf dem Boden der Fantasie.

Im Eingangsbereich, vor dem eigentlichen Saal mit den Stühlen, den Lampen und den drei runden Tischen mit den Wasserflaschen- und -gläsern für die Beteiligten, die gleich viel reden müssen, steht der Büchertisch der Buchhandlung am Obstmarkt, an dem die vorgestellten Bücher zu sehen und zu kaufen sind. Aber auch andere Bücher der besprochenen Autoren, oder gar das Foto-Buch von Michael Schreiner, oder die Lyrik-Bücher  von Knut Schaflinger, der auch öfters als Diskutant beim Literarischen Salon mitmacht.

Bücher werden beleuchtet.

Dieses Mal präsentierten die Redakteurin Daniela Hungbaur, der Lektor Lutz Kliche und der Kulturredakteur Michael Schreiner drei Bücher, die sie alle zusammen gelesen hatten. Moderiert wurde die Veranstaltung von Horst Thieme, den wir in Augsburg vor allem durch den erfolgreichen Poetry Slam kennen, den er organisiert und auch moderiert. Jeweils ein Literatur-Diskutant stellte das Buch vor, das er für so interessant hielt, dass er es an diesem Abend vorstellen wollte. Die Diskutanten bekommen von der Technik die Headset-Mikros angepasst. Auf der Leinwand hinter den Diskutanten wird das jeweilig besprochen Buch gezeigt. Kurt Idrizovic begrüßt die Besucher mit einigen Sätzen des Augsburger Kultur-Kritikers Richard Mayr, Kollege von Hungbaur und Schreiner, der von dieser Veranstaltung schwärmte.

Michael Schreiner stellte vor: "Die einzige Geschichte" von Julian Barnes: 
Ein kunstvoller Roman über eine unkonventionelle erste Liebe, die zur lebenslangen Herausforderung wird. Die erste Liebe hat lebenslange Konsequenzen, aber davon hat Paul im Alter von neunzehn keine Ahnung. Mit neunzehn ist er stolz, dass seine Liebe zur verheirateten, fast 30 Jahre älteren Susan den gesellschaftlichen Konventionen ins Gesicht spuckt. Er ist ganz sicher, in Susan die Frau fürs Leben gefunden zu haben, alles andere ist nebensächlich. Erst mit zunehmendem Alter wird Paul klar, dass die Anforderungen, die diese Liebe an ihn stellt, größer sind, als er es jemals für möglich gehalten hätte.

Michael Schreiner: "Für mich gehört der neue Roman von Barnes auf Platz Eins der Büchereinkaufsliste!"


Daniela Hungbaur stellte vor: "Georg" von Babara Honigmann: Nach „Ein Kapitel aus meinem Leben“, der Geschichte über ihre Mutter, erzählt Barbara Honigmann nun das Leben ihres Vaters. "Mein Vater heiratete immer dreißigjährige Frauen. Nur er wurde älter … Sie hießen Ruth, Litzy, das war meine Mutter, Gisela und Liselotte…" Das ist die private Seite einer Lebensgeschichte, die um die halbe Welt führt: Herkunft aus Frankfurt, Odenwaldschule, Paris-London-Berlin, dazwischen Internierung in Kanada, nach der Emigration der Weg in die DDR. Und bei alldem die wiederkehrende Erfahrung: "Zu Hause Mensch und auf der Straße Jude." Barbara Honigmann erzählt lakonisch und witzig, traurig und mitreißend von ihrer deutsch-jüdisch-kommunistischen Sippe: Ein schmales Buch, aber ein großes Buch über Deutschland – und die bewegende nachgetragene Liebeserklärung an einen außergewöhnlichen Mann.


Daniela Hungbaur: "Ich finde, das Buch über diesen Georg ist ein Eltern-Roman."



Lutz Kliche stellte vor: "Das Licht" von T.C. Boyle: Sein neuer großer Roman über LSD Endlich wird der aufstrebende wissenschaftliche Assistent Fitz auf eine der LSD-Partys seines Professors Leary in Harvard eingeladen. Er erhofft sich davon einen wichtigen Karriereschritt, merkt aber bald, dass Learys Ziele weniger medizinischer Natur sind; es geht dem Psychologen um eine Revolution des Bewusstseins und eine von sozialen Zwängen losgelöste Lebensform. Fitz wird mitgerissen von dieser Vision, mit Frau und Sohn schließt er sich der Leary-Truppe an: Sie leben in Mexiko, später in der berühmten Kommune in Millbrook, mit Drogen und sexuellen Ausschweifungen ohne Ende. Ein kreischend greller Trip an die Grenzen des Bewusstseins und darüber hinaus – T.C. Boyle at his best.

Lutz Kliche: Bei Boyles neuem Roman "Das Licht" fiel ihm Tom Wolfe mit einem Hippie-Report aus den 1960ern ein.

In der Pause wurde bei Wasser und Wein über die Bücher und die Meinungen der Diskutanten gesprochen. In der zweiten Hälfte noch ein Schnelldurchlauf mit weiteren Buche-Empfehlungen:

Bücher wurden gekauft. Der Büchertisch-Statistik meldete: Platz 1 belegt Julian Barnes mit "Die einzige Geschichte". Thieme sprach zu diesem Roman ins Publikum: "Würden Sie lieber mehr lieben und dafür mehr leiden, oder weniger lieben und weniger leiden? Das ist, glaube ich, am Ende die einzig wahre Frage."

P.S.: Manche wurde es richtig heiß bei so viel interessanter Literatur: Kein Wunder, laut Idrizovic, der Erbauer der Haag-Villa stellte auch Zentralheizungen her.

Der Organisator blickt auf den vollen Literatur-Salon.

Beifall für eine gelungene Literatur-Präsentation.

Hier gehts zum Literarischen Salon in die Haag-Villa.

Kommentare