Gestrandet: Auf einer Insel mit zwei … äh … riesigen Außenbusen, harten Latten und Shakesbier



   
Zwei kämpfen um die Liebe.

Zur Premiere von „Der Sturm“ im Staatstheater Augsburg

Inszeniert von André Bücker

Nein, das war nicht alles Scheiße, was da auf der Bühne im Martini-Park über die Bühne kroch, hüpfte und tobte. Auch wenn der Thron auf den Paletten ein weißes Klosett war, das Klopapier als Blutstiller in der Nase herhalten musste, der meistens ziemlich belämmerte Caliban sich selbst als ein "Stück Scheiße" demütigte, eine Unterhaltung über den Arsch stattfand und die Scheißhausverstopfung mit der Bürste auf dem Akkubohrer beseitigt wurde.

Ja, es war ein Theaterstück mit deftigem Fäkal- und Erotik-Humor, etwas mehr oder weniger schiefem Klamauk, aber auch voller Spielfreude, kafkaesken Einfällen, vielen Verrücktheiten und einem großen Haufen irritierender Absurditäten.

Der König hat auf der Baustelle einige Probleme.

Intendant André Bücker hat die Zauberkomödie von William Shakespeare, "Der Sturm", die von Schiffbrüchigen auf einer Insel handelt, die auf der Bühne eine Baustelle war, inszeniert. Insel-Themen sind gerade angesagt. Denken wir an die schier unendliche TV-Serie „Lost“. Nun auch das Augsburger Staatstheater. Die ganze Insel eine Baustelle. Originell? Naja, auf jeden Fall authentisch, samt Kabelsalat, Bauplänen und viel Staub. Klar, Shakespeare und seine Stücke sind auch eine ewige Baustelle, also ist es kein Wunder wenn da Zement-Säcke rumgeschleift werden, denn sicher wird Shakespeare auch als "alter Sack" begriffen. Natürlich ist es nicht leicht diese ganze verfluchte Adelsbrut, an der sich der abgesetzte Prospero rächen will, bei einem Shakespeare-Stück auseinanderzuhalten.

Keine Götter

Sollte es politischer sein? Bei Schiffbruch und einer Insel denken wir in der Gegenwart an Lampedusa und an ertrunkene Flüchtlinge aus Afrika. "Mensch, denen ich da folge, das sind gar keine Götter, das sind sozusagen die Demagogen von heute", lässt uns André Bücker, der den „Sturm“ inszeniert, befragt von Dramaturg Lutz Kessler, dazu wissen.

Regisseur des Stücks und Prospero, der rechtmäßige Herzog von Mailand wird gespielt von Klaus Müller: Es kam mir nicht so vor, als würde er Theater spielen. Er war leibhaftig der launische Regisseur, der seine Schauspieler auf der Bühne schmeichlerisch, cholerisch und intrigantisch herumdirigierte wie er konnte und wollte. Der Bauarbeiter-Bleistift war gleichzeitig sein Zauberstab. Viel konnte er damit in seinem grünen Zaubermantel nicht zaubern. Sonst hätte er ja verhindert, dass er als Schiffbrüchiger auf einer Insel, die eine hässliche Baustelle ist, nach einem Sturm auf dem Meer landen musste.

Es machte natürlich Spaß, zu beobachten, wie Müller innerlich und äußerlich an diesem Stück arbeitete und litt. Manchmal schienen ihm Handlung und Schauspieler völlig aus den Fingern zu gleiten. Oft war er wohl selbst überrascht, was da auf der Bühne passiert.

Der riesige Außenbusen ist die Rüstung von Spaßmacher Trinculo.

Vor allem im zweiten Teil dieser Zauberkomödie war Müller der absolute Star auf der Bühne. Er war es, der sich mit einem grandiosen finalen Monolog in die Herzen der Zuschauer schlich und das Publikum in seinen Bann zog, zeigte wie wenig Gesten und Dramatik es braucht, nur seine faszinierend Stimme, sein ausdrucksstarkes Gesicht, um die Zuschauer in die Welt des Theaters zu bannen, darin eintauchen und mitleben zu lassen.

Menschliche Wärme

Ferdinand, der Sohn von Antonio, wird von Sebastian Baumgart gespielt: Er erfreute als einfacher Bauarbeiter, der tausende von Säcke schleppen musste, mit seinem halbnackten Prachtkörper die Frauen im Publikum. Der Lohn seines Fleißes: Er bekommt zum Happy End Prosperos Tochter, die noch Jungfrau ist und vom Vater bewacht wird, der aber sieht, dass Ferdinand durch seine Ehrlichkeit und seinen Fleiß der richtige für sie ist.

Gonzalo, ein alter ehrlicher Rat des Königs, wird von Thomas Prazak gespielt: Als Imitator von Minetti, war er super. Aber auch sonst füllte er seine Rolle mit menschlicher Wärme, die anrührte. Auch wenn sein Alter nicht authentisch war, nahmen wir ihm die Altersweisheit voll ab.

Caliban, der Sohn der Hexe, wird von Gerald Fiedler gespielt. Er ist die geschundene Kreatur, mit Haut und Haar, die von Prospero dominiert, schier versklavt wird. Wir fühlen uns mit ihm, in ihm, total unterdrückt. Das ist so schlimm intensiv. Am liebsten würden wir auf die Bühne rufen: Mensch, befrei dich endlich aus deinen Fesseln, von diesem Kotzbrocken! Ich glaub, ich könnte diesen Bühnen-Diktator Prospero für Caliban töten, wenn er mich fragen würde.

Im Schwitzkasten.

Trinculo, der Spaßmacher, wird von Natalie Hünig gespielt. Mit ihr kommt eine außergewöhnliche Leichtigkeit auf die Bühne, als wäre plötzlich pfiffiges Kindertheater mit Pippi angesagt. Ihr kann niemand böse sein. Sie verkörpert optimal die Göttin des Frohsinns. Auch wenn Prospero einen Striptease von ihr fordert, den sie fast vollzieht, aber dann schnell abbricht, weil er schon „so viele unbegabte Titten“ sehen musste, bleibt ihr naiver Charme erhalten, der sie vor allem Unheil schützt. Sie lieferte mir genug Vergnügen, Genderbartkäse hin, Genderbartkäse her, um diese Premiere mit heißen Händen zu beklatschen.

Stephano, ein betrunkener Kellner, wird von Patrick Rupar gespielt. Konnte uns mit seiner undurchschaubaren Frechheit ganz schön nerven. Je mehr Shakesbier von „Lattenbräu“ er in sich reinschüttete, um so mehr wirbelte er alles durcheinander. Er gab den personifizierten Sturm, der drauf und dran war, zum Orkan zu werden, wenn ihn Prospero nicht als Alkoholiker verächtlich gemacht und ihn damit gebremst hätte.

Miranda, die Tochter von Prospero, wird von Katja Sieder gespielt. Sie war die durchaus sensible Tochter, die ihren cholerischen und rechthaberischen Vater mit Verständnis für seine Regie-Arbeit mit Verständnis begegnete, kein dramatisches Getue dafür benützte. 
Prospero ist der wahre  Herrscher.




Ariel, der Luftgeist, wird von Andrej Kaminski absolut durchgedreht gespielt. Zuerst schlüpfte er in die Rolle das Regisseurs und lieferte als Intro mit den Schauspielern vor dem kaputten Theater-Vorhang ein lustiges Anfängerstück ab. Dabei ließ er manche Ideen der Schauspieler zu. Bis sie die Backen mit Luft vollnahmen und heftig ins Publikum bliesen, was den Sturm darstellen sollte. Mit und ohne Röcken und diversen anderen Kostümen und Masken, verwandelte er sich, als der Vorhang wieder funktionierte und Prospero auftauchte, in den schleimerischen Arschkriecher-Knecht, der seinem Herrn Prospero jeden noch so doofen Wunsch durchziehen hilft. Das tat er aber nur um seine Freiheit zu bekommen. Doch er wurde nur ausgenutzt. Ganz großes Kino ist das, wenn er als Vogel-Mensch, eine absonderlich komische Harpye im Tüllrock, seine Anklage gegen das Böse in der Welt brüllt. Unterbrochen von wirklich schrecklichen Vogelschreien, die für die Qual der geplagten Menschheit steht. Da brandet dann Beifall auf, das bricht aus uns unwillkürlich dafür heraus, das hat er auch verdient.

Alonso, der König von Neapel wird gespielt von Kai Windhövel. Er saß auf seinem weißen glänzendem Thron , aber nicht aus Elfenbein, sondern das war eine Standard-Kloschüssel, die auf einer Palette stand. Er war der große Leidende, und hatte schlimmen Durchfall. Ihn interessierte darum kaum was. Egal was auf der Bühne neben, vor oder hinter ihm passierte. Sein Szepter war passenderweise mit einer Klopapierrolle ausgestattet. Wir litten alle mit ihm.

Sebastian, der Bruder des Königs von Neapel, wird gespielt von Anatol Käbisch. Wer diesen Schauspieler in Augsburg beobachtet, der sieht, dass dieser Käbisch von Rolle zu Rolle auf dem Weg ist ein großer, ein ganz großer Schauspieler zu werden. Er war nicht die Rolle, er war dieser Bruder des Königs. Ohne Überdramatik, nur er sein.

Eine Szene, die nicht vergessen wird. Sie ist im Bikini.

Antonio, der unrechtmäßige Herzog von Mailand, wird von Sebastian Müller-Stahl gespielt. Er, der Prospero schon gestürzt hat, will ihn auf der Insel ermorden lassen. Müller-Stahl gibt furios den von seiner Machtgier Getriebenen der andere zur tödlichen Tat antreibt. Jedoch nicht das Format, das Herz, den Stil, was Müller-Stahl offen legt.

André Bücker schenkt uns vor allem mit der gelungenen Rolle von Müller einen Blick in das Arbeitsleben des Theaters und seiner Macher. Einen ganz tiefen Blick. Wer hier Vergnügen erwartet hat, erlebt Psycho-Folter. Wie Regisseure ihre Schauspieler seelisch aussagen, benutzen, misshandeln, wegwerfen. Dieses Mal ist Bücker das Theater im Theater besser gelungen, als wir es hier früher mal bei einem Mozart-Stück gesehen haben.

Kafka meets Shakespeare

Vier Beine zappeln durch die Luft, als sich Caliban und Trinculo auf einer Schubkarre übereinander unter einer Decke verstecken, wo sie kopulieren, eher platz-bedingt als durch irgendeine ausgelöste Erotik. Eine Superszene, die mich an Gregor Samsa erinnert der bei Kafka als Käfer aufwacht und irgendwann auf dem Rücken liegt und mit seinen Beinchen in der Luft zappelt. Kafka meets Shakespeare. Ein unterhaltsames Zusammentreffen, arrangiert mit einem Date von Bücker.

Ich machte es mir leicht und betrachtete diese Aufführung wie ein abstraktes Gemälde. Sich einfach freuen an dem was rüberkommt. Muss keine durchschaubare Handlung sein. Gelungene Dialoge, Szenen, packende Gefühle und witzige Action. War von allem genügend vorhanden und ich ging hinterher zufrieden heim, zu meiner kleinen Wohn-Insel, zwischen Lech und Wertach. Die nächtlichen Baustellen erinnerten mich daran, dass dahinter vielleicht ein spannendes Geschehen, vielleicht ein liebevolles Wesen auf mich warten könnte.

Prospero erklärt die wahre Schauspielkunst.

„Nehmt ihm die Bücher weg und er hat keine Macht mehr!“, wird zum Umsturz geraten. Welche Bücher? Auf der großen Videowand meistens in den Händen von Prospero-Müller sehen wir sie, diese Klugscheißer-Werke, aus denen der Herrschende seine Kraft holt: „Utopia“ von Thomas Morus. Es wurde daraus zitiert, für eine besser Welt in der Zukunft. Auch „Schiffbruch mit Zuschauer“ von Hans Blumenberg. Das Leben als Schifffahrt.

Sound aus dem Hexentopf

Im Hintergrund hat die Band On The Offshore mit dem Soundzauberer Girisha Fernando ihre Instrumente aufgebaut. Der lockende Sirenen-Gesang kam von Lucy Pereira, die auch hinter einem kleinen Keyboard stand. Mit einem goldenen Piratenhut. An den Drums rührte Kilian Bühler, die Gitarre zupfte Andreas Rosskopf, die Percussion klopfte Stefan Brodet und den Bass ließ Fernando wie die Hauptschlagader im Angstzustand pochen. Sie schafften es, einen mysteriösen Klangteppich für das Chaos auf der Bühne zu weben, der das Tohuwabohu eine Heimat gab. Klar, dass der Bass wummerte, wenn schon der allzeit in Augsburg präsente Girisha dran rumfummelte. Das blubberte wie die Blasen in einem giftgrünen Hexenkochtopf, der eigentlich Lust drauf hat, explodieren zu dürfen.

Drei zerknitterte Leinwände, mit Videos von Robert Zorn, zeigen hauptsächlich Prospero und sein Tochter bei ihren Diskussionen mitten im Publikum. Ab und zu gab es Übertragungen aus dem echten Augsburger Theater, das eine echte Baustelle ist. Mit diesen Knittervideos war Prospero allgegenwärtig, neben, hinter und auf der Bühne. Ein Theater-Gott halt.

Caliban tut sich schwer.

Wer sich über dieses letzte Stück von Shakespeare nicht vorher informierte hatte, so wie ich, der faule Sack, der blickte nicht immer voll durch, was auf der Bühne wirklich abging. Logo, die Dialoge waren geschliffen wie Rasiermesser. Aber auch die können irgendwann ermüden, wenn das Stück an die drei Stunden dauert. Und dann diese Theatersprache, die ätzt sich halt nach und nach in den Ohrmuscheln durch, ran zum langsam aufweichenden Hirn. 

Bis auf die Liebesgeschichte zwischen Miranda und dem Sohn von Antonio, war für mich alles dramatisches Kuddelmudel mit einem tüchtigen Schuss makaberer Gaudi. Da kann aber der Bücker nix dafür. Ist halt Shakespeares letztes Werk. Mit einigen Figuren aus seinen früheren Theaterstücken. Ein Flickerlteppich seines Gesamtwerks. Mir kommts vor als habe er den „Sturm“ geschrieben, weil sich der Sturm seiner wildesten Zeit schon längst gelegt hatte.

Die Band ganz hinten.

Habe ich es schon gesagt? Herzlichen Dank, Herr Inszenierer Bücker, für die gelungene Fechtszenen. Uff, endlich rührte sich was, wo ich mal geistig nicht so stark gefordert wurde und mich dem Vergnügen des Zuschauens hingeben konnte. Nochmal ein dickes fettes Dankeschön dafür! Ganz schön frech diese Szene mit dem Bierflaschengenuckel als symbolischer Blowjob. Diese doch sehr harten Latten-Witze, naja, warum nicht. Ist halt auf einer Baustelle so, dass hier mal banale Jokes abgelassen werden. Ja, auch der Eier-Beutel unter der Latte, der Sack, wurde gern doppeldeutig ins Spiel gebracht.

Ansonsten war mit gutem Sex auf der Bühne ziemlich Fehlanzeige. Miranda im Bikini, hübsch anzusehen, aber unschuldig. Der mächtige Außenbusen von Trinculo? Nur Staffage. Da war keine sexuelle Belästigung möglich.

Das Bühnenbild, von Jan Steigert, wie gesagt, eine Baustelle, die auch zur Schlaustelle wird, wenn wir die Ohren und Augen weit aufmachen. Schade, dass sich auf den Gerüsten und an den Stricken nicht noch mehr ereignet. Gut, bissle Geschaukel und mal hochklettern wie ein Affe ist zu sehen.

Zwischen Horror und Humor

Das Masken-Team Elias Loeb und Barbara Eich hat Gesichter geschaffen, die zwischen Horror und Humor angesiedelt waren, magnetisch Blicke auf sich zogen.

Die Kostüme von Suse Tobisch sind arg gschlampert, gemischter Stil im Lumpenlook, von historisch bis hiphoplässig. Als würde man sagen: Ist doch wurscht, sowieso alles dem Untergang geweiht! Und so hat es auch auf mich gewirkt. Hat meinen Augen gut getan, dass die Musiker in wunderbarer traditioneller neapolitanischer Musikerkleidung ausgestattet waren.

Was sollten die Anspielungen auf das Theater in Celle? Weil eine Insel auch eine Zelle sein kann? Sollen wir da an die Insel des Dr. Moreau denken, auf der grässliche Mensch-Tierwesen aus dem Chirurgen-Labor für Furcht sorgen. In dieser Grusel-Story landen auch Schiffbrüchige als Leichen. 

Übrigens: habe ich vor ein paar Jahren im Binnenhafen von Celle ein Flüchtlingsschiff gesehen, das von Lampedusa kam. Und dort wurde der Song „Hotel Lampedusa“ gespielt, auch von einer Augsburger Band, den ich mir am Schluss dieser Premiere gewünscht hätte: „Mama Afrika schickt uns ihre Kinder aus ihrem schwer gequälten Herz ...“

Insgesamt für diesen staubaufwirbelnden Bühnen-Sturm auf der Baustelle, fetter Applaus, der zeigte, dass Theater überall möglich ist, sogar fetziges, skurriles, dadaistisches mit Mut zum Blöd-Sinn und Liebes-Schmalz. 

Aufgezeichnet von Nora Meisterlamm


Weitere Aufführungs-Termine von „Der Sturm“.

Kommentare