"Wo der Kulturausschuss schweigt, erheben wir die Stimme!"

Gespräch mit dem Augsburger Journalisten und Lyriker Knut Schaflinger zum ersten "Alternativen Kultur-Ausschuss" in Augsburg


Knut Schaflinger: "Zu kritisieren ist Verzicht darauf,
wenigstens Meinungen auszutauschen."



Augsburger Internet-Zeitung: Hallo, Knut Schaflinger, wie lief denn der erste Alternative Kulturausschuss?

Knut Schaflinger: Ich freute mich, dass das wir so einen zahlreichen Besuch hatten – Corona zum Trotz.

Augsburger Internet-Zeitung: Wie viel Publikum hatten Sie mit ihrer Aktion?

Knut Schaflinger: Ohne Häme stelle ich fest: da hatten sich heute mehr Menschen versammelt, als der FCA gegenwärtig bei seinen Heimspielen Zuschauer hat – aber ich hoffe, daß sich das bald ändert und das Stadion gegen die Bayern oder die Borussia in der nächsten Bundesligasaison wieder voll ist.

Augsburger Internet-Zeitung: Naja, glauben wirs mal. 
Normalerweise tagt der Kultur-Ausschuss des Augsburger Stadtrates im Rathaus, während Sie sich im Augustana-Saal präsentierten.

Knut Schaflinger: Keine fünf Gehminuten von hier entfernt, im Rathaus, quasi in der Herzkammer der Stadt Augsburg, sollte jetzt, übrigens zum ersten Mal in dieser Wahlperiode, der Kulturausschuss des im März neu gewählten Stadtrates tagen.

Augsburger Internet-Zeitung: Aber?

Lutz Kliche und Kurt Idrizovic:
Mitorganisatoren des Alternativen Kultur-Ausschusses.

Knut Schaflinger: Aber es tagt niemand. Die Sitzung wurde von Bürgermeisterin, Martina Wild, mit der ziemlich lapidaren Begründung abgesagt, es stünden keine Punkte zur Beratung und Beschlussfassung an. Weiter heißt es, übrigens auf dem Briefbogen der Oberbürgermeisterin, Zitat „Ich bitte, den Sitzungsausfall zu notieren.“

Augsburger Internet-Zeitung: Was war zu tun?

Knut Schaflinger: Ja, dieser Bitte sind wir nachgekommen: Wir haben den Sitzungsausfall notiert.

Augsburger Internet-Zeitung: Brav. 

Knut Schaflinger: Allerdings mit Verwunderung, irritiert, enttäuscht, auch empört.

Augsburger Internet-Zeitung: Hm ... schlimm?

Knut Schaflinger: In die politische Praxis übersetzt heißt das nichts anderes, als dass die Spitze der Stadt der Meinung ist, der Stadtrat brauche gegenwärtig, um die ihm übertragenen Aufgaben mit Sachverstand und Engagement lösen zu können, die Expertise seines Kulturausschusses nicht. Er verzichtet, so ist die Botschaft, auf dessen Beratung, hat auch nichts vorzubereiten.

Augsburger Internet-Zeitung: Wie reagieren?

Knut Schaflinger: Das hat uns gemeinsam wachsam und aufmerksam gemacht.

Augsburger Internet-Zeitung: Was geschah dann?

Knut Schaflinger: Im übrigen: der Kulturausschuss hätte trotz der Absage tagen können. In der Geschäftsordnung der Städtischen Kollegien nämlich heißt es, wenn ein Viertel der ehrenamtlichen Mitglieder die Einberufung einer Sitzung des Stadtrates unter Angabe der Beratungsgegenstände schriftlich beantragt, muss diese Sitzung spätestens nach dem 14. Tag nach Eingang des Verlangens stattfinden. Diese Regelung gilt für die Ausschüsse entsprechend.

Augsburger Internet-Zeitung: Scheinen die beteiligten Stadträte nicht gewusst zu haben.

Knut Schaflinger: Es ist so, nur vier Mitglieder des Kulturausschusses hätten die Einberufung der Sitzung erzwingen können.

Augsburger Internet-Zeitung: Wurde verschlafen ...

Knut Schaflinger: Wir haben uns nicht versammelt, um die Politik des Hohen Hauses zu kritisieren. Eine solche Politik zu formulieren oder gar durchzusetzen hat der Stadtrat in den knapp 6 Wochen seiner neuen Amtszeit ja auch kaum Gelegenheit gehabt. Und wir wissen, er hat sich durchaus den Problemen der Kulturschaffenden gewidmet, leitet neuerdings Fördermittel um, gibt Zuschüsse.

Augsburger Internet-Zeitung: Schön, doch reicht das für unsere Künstlerinnen und Künstler?

Knut Schaflinger: Vielleicht - aber sagt uns die Absage der Sitzung im Subtext nicht etwas ganz anders?

Augsburger Internet-Zeitung: Was wäre das?

Auf dem Podium (v.ln.r.): Korbinian Grabmeier vom Kulturbeirat, Prof. Michael Eberth (Musik), Lutz Kliche (Übersetzer), Kurt Idrizovic (Literatur-Veranstalter), Knut Schaflinger (Journalist)
und Peter Bommas (Freie Szene).


Knut Schaflinger: Was mit der Absage zu kritisieren ist, ist der freiwillige Verzicht auf ein Instrument, mit dem weiteres politisches Handeln wenigstens hätte vorbereitet werden können, in dem Ideen entwickelt, Gestaltungswillen, Dialogbereitschaft gezeigt werden kann.

Augsburger Internet-Zeitung: Schön gesagt, ist das jetzt eine Kritik?

Knut Schaflinger: Zu kritisieren ist Verzicht darauf, wenigstens Meinungen auszutauschen, Erkenntnisse, die alle, auch die neuen Vertreter im Rat der Stadt auf einen gemeinsamen Kenntnisstand über Sorgen, Nöte, Ansprüche der Kunstschaffenden hätten bringen könnten.

Augsburger Internet-Zeitung: Stimmt.

Knut Schaflinger: Wer zur offiziellen Kulturausschusssitzung gegangen wäre, hätte das Rathaus, vermutlich, durch die rechte Seitentüre betreten, wäre eventuell zuvor über den Rathausplatz gegangen und hätte, wenn sein Blick dem ausgestreckten Arm des Augustus gefolgt wäre, über dem Hauptportal des Rathauses eine kleine Inschrift lesen können ...

Augsburger Internet-Zeitung: Was steht da?

Knut Schaflinger: Publico consilio publicae saluti.

Augsburger Internet-Zeitung: Wir können kein Latein.

Knut Schaflinger: Auf deutsch: dem öffentlichen Rat dem öffentlichen Wohl. Darunter steht in güldenen Lettern eine römische Zahl: Eintausendsechshundertzwanzig! 1.620!

Augsburger Internet-Zeitung: Ist also schon paar Jahre her.

Knut Schaflinger: Ich meine, wir haben damit ein denkwürdiges Datum. Und eigentlich guten Grund richtig zu feiern. Denn genau 400 Jahre nachdem Elias Holl mit den Bürgern dieser Stadt dieses Rathaus, den, wie sie wissen, bedeutendsten Profanbau der Renaissance nördlich der Alpen, gebaut hat, sind wir in unmittelbarer Nähe dieses Kultur- und Kunstdenkmals versammelt und stellen uns die Frage, was könnte es heißen und bedeuten, dieses

Augsburger Internet-Zeitung: Und was bedeutet das für uns heutzutage?

Knut Schaflinger: Diese nunmehr 4 Jahrhunderte alte Selbstverpflichtung der Bürger dieser Stadt ist auch heute noch die Richtschnur, an der sich die Politik, die in diesem Rathaus gemacht wird, orientiert. Daran herrscht kein Zweifel.

Augsburger Internet-Zeitung: Lässt sich dazu noch was sagen?

Knut Schaflinger: Wir wissen auch, dass es zur politischen Auseinandersetzung auf der Basis demokratischer Verfasstheit gehört, Meinungen auszutauschen, Kompromisse zu finden, Positionen zu formulieren und zuvor und zugleich: diese auch anzuhören.

Augsburger Internet-Zeitung: Wie ist das jetzt zu verstehen?

Knut Schaflinger: Genau das wollten wir liefern. Wo der Kulturausschuss schweigt, erheben wir die Stimme!

Augsburger Internet-Zeitung: Wir sind gespannt.


Knut Schaflinger: Nicht um anzuklagen, zu belehren, nicht um es besser zu wissen, nein, wir wollen anregen. Anregen, als diejenigen, die als Kulturschaffende dem öffentlichen Wohl verpflichtet sind. Wie Politiker auch.

Augsburger Internet-Zeitung: Nicht vergessen, wir haben gerade eine Corona-Katastrophe.

Knut Schaflinger: Wir wollen an dieser Stelle formulieren und kundtun, was zu debattieren wäre, wo und wie Kulturpolitik in Augsburg, gerade in diesen unendlich harten Corona-Zeiten, gestaltend, fördernd, zukunftsweisend agieren könnte.

Augsburger Internet-Zeitung: Wir haben eine neue Stadtregierung mit erstmals einer Frau, Eva Weber, als Oberbürgermeisterin, dazu eine zweite Bürgermeisterfrau, Martina Wild von den Grünen.

Knut Schaflinger: Oberbürgermeisterin Eva Weber hat Ende April 2020, damals noch nicht in diesem Amt, erklärt; es seien, Zitat, „neue Ideen, Strukturen und Kanäle für die analoge und digitale Verbreitung von Kunst und Kultur gefragt.“ Sie sprach von originellen Konzertformaten, die entstehen könnten, von Streaming-Angeboten im Internet oder, wieder Zitat, von „Kunstaktionen im öffentlichen Raum“.

Augsburger Internet-Zeitung: Und was würden Sie ihr sagen, wenn sie hier wäre?

Knut Schaflinger: Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, nehmen Sie bitte das, was wir anstelle des Kulturausschusses präsentierten als eine Kunstaktion im öffentlichen Raum wahr!

Augsburger Internet-Zeitung: Gibts dazu einen Hintergrund?

Knut Schaflinger: Wir fühlen uns dabei gut flankiert. Auch von der Bayerischen Verfassung.

Augsburger Internet-Zeitung: Nanu, was sagt uns die?

Knut Schaflinger: Im Artikel 3 heißt es: Bayern ist ein Rechts-, Kultur-, und Sozialstaat. Er dient dem Gemeinwohl.

Augsburger Internet-Zeitung: Interessant. Wars das?

Knut Schaflinger: Und im Artikel 140 steht geschrieben: Kunst und Wissenschaft sind von Staat und Gemeinde zu fördern. Sie haben insbesondere Mittel zur Unterstützung schöpferischer Künstler, Gelehrter und Schriftsteller bereitzustellen, die den Nachweis ernster künstlerischer oder kultureller Tätigkeit erbringen.

Augsburger Internet-Zeitung: Die Bayern lieben eben Kultur, aber in Augsburg scheint das nicht so sein. Weil wir Schwaben sind?

Knut Schaflinger: Ich bin sicher, das hat im Augsburger Rathaus niemand vergessen und es wird weiterhin daran gearbeitet, diesem Verfassungsauftrag nachzukommen.

Augsburger Internet-Zeitung: Wie sehen Sie das Verhältnis von Kultur und Politik in Augsburg?

Peter Bommas: "Frau Weber, das ist ein Hohn!"


Knut Schaflinger: Wir wissen, diese Arbeit gelingt umso leichter und besser, je intensiver der Austausch zwischen Kunstschaffenden und Politik ist.

Augsburger Internet-Zeitung: Klingt ja einfach.

Knut Schaflinger: Natürlich es geht natürlich auch um Geld, um Förderung, es geht um Räume, um Auftritts- und Präsentationsmöglichkeiten.

Augsburger Internet-Zeitung: Jetzt wirds spannend ...

Knut Schaflinger: Vor allem aber geht es um die Gewissheit und das Gefühl, wahr- und ernstgenommen zu werden. Es geht um ihre Botschaft, dass das, was wir Kulturschaffende zum Wohle der Stadt und ihrer Bürger veranstalten und herstellen, auch ihre politische Wertschätzung und Rückendeckung findet.

Augsburger Internet-Zeitung: Was sagen Sie noch zur Oberbürgermeisterin, die Kultur zu ihrer Sache erklärt hat, bis ein neuer Kulturreferent kommt?

Knut Schaflinger: Je mehr sie über uns erfahren, desto mehr können wir, gemeinsam, für uns alle in Augsburg tun. Dazu gehört: Debatte! Debatte und wieder Debatte!

Schrift am Augsburger Rathaus:
"Dem öffentlichen Rat, dem öffentlichen Wohl". 
Wird dies vom heutigen Augsburer Stadtrat auch wirklich befolgt?


Augsburger Internet-Zeitung: Puh, klingt fast anstrengend.

Knut Schaflinger: Heute geht es darum, dass wir Ihnen, der Politik, ein Angebot machen wollen, dass sie, sozusagen aus erster Hand hören, wo wir glauben, dass sie unterstützen können, wobei sie uns ebenso brauchen, wie wir sie: beim Erhalten, vielleicht beim Verbessern der Lebensqualität und der Attraktivität in dieser Stadt. Dazu gehören Kunst und Kultur!

Augsburger Internet-Zeitung: Genügt das?

Knut Schaflinger: Nein, erst wenn sie um uns wissen, können sie auch adäquat handeln, damit Augsburgs kulturpolitische Zukunft gesichert ist.

Augsburger Internet-Zeitung: Sie haben da Hoffnung?

Knut Schaflinger: Das alles wird auch die noch nicht gewählte Leiterin oder der noch nicht gewählte Leiter des Kulturreferats wissen. Auch zu dieser Person sprechen wir heute – unbekannter Weise. Sie wird all das, so hoffen wir, berücksichtigen.

Augsburger Internet-Zeitung: Ihre Worte in Gottes Ohr ...

Knut Schaflinger: Sie sehen: es gibt viel zu tun! Wir tun etwas! Und mit zwei wichtigen Sätzen aus den vergangenen vierhundert Jahren komme ich zum Schluss ...

Augsburger Internet-Zeitung: Ein guter Schluss? Ein Happy End für Kultur in Augsburg?

Knut Schaflinger: Wir schaffen das!

Augsburger Internet-Zeitung: Und was noch?

Knut Schaflinger: Publico consilio pulicae saluti!


Kurt Idrizovic, Lutz Kliche und Knut Schaflinger:
" Debatte! Debatte und wieder Debatte!"

Kommentare