Goethe mit Honig und dann Flasche auf dem Kopf / Die etwas andere Kultur-Kritik

Eine Lesung im Rokoko-Garten, eine sektreiche Geburtstags-Party, eine heiße Vernissage und ein Versäumnis. Eine abendliche und leicht humorvolle Kulturwanderung.

Künstler Reusse mit Mozart-Wasser auf dem Kopf.

Ganz entspannt ging es neulich Abend los, bei einem kleine Kultur-Erlebnis im Augsburger Rokoko-Garten des Schaezler-Palais'. Mit dem nötigen Abstand saß schon viel Publikum auf dem Rasen und den kiesigen Wegen in dem versteckten Garten, der durch eine Baustelle durch einige Gänge und Türen erreichbar war. Vor der Ziegelsteinmauer, mit weißen Sitzbänken garniert, stand der noch leere Tisch mit einem aufgeschlagenen Buch und einem vollen Wasserglas für die Vorleserin Sybille Schiller. Sie würde von Johann Wolfgang Goethe etwas aus dessen Werk "West-oestlicher Divan" lesen, in welchem der Frankfurter Dichterfürst innige Kontakte zur Poesie des Orients geknüpft hatte.


Ganz vorne die Vorleserin Sybille Schiller mit ihren vielen Fans.



Bitte genau hinschauen: Das bin nicht ich beim Hören von
Goethe-Gedichte. Auch wenn es eine Figur im Rokoko-Garten ist.



Zaven Hanbeck und Sybille Schiller. West-oestliche Augsburg-Connection.

Hansjürgen Gartner feiert mit Vorleserin Sybille Schiller ihren Geburtstag. Prosit!
Leicht im Hintergrund Barmann Heinrich.



Stühle fort, Getränke weg im Rokoko-Garten - Abmarsch zur Vernissage.


Was für ne Frage. Klar, wir waren da. Beweis? Die Flaschen sind leer!



Schnell vorbei am Grafischen Kabinett mit dem problematisch-proletarisch-faschistisch-kommunistischen Augsburger Künstler Fritz Koelle.
Und einige Meter weiter zur Neuen Galerie im Höhmannhaus.

Ein bisschen Aufregung gab's, als ich vor lauter Abstand halten und Höflichkeit ein paar Schritte nach hinten ausweiche und fast in das Wasserbecken des nicht mehr plätschernden Brunnen reinfalle. Lieber nicht, das Wasser war schon ziemlich schmutzigbraun. Dann beginnt Sybille Schiller zu erzählen und zu lesen. Sie erzählte natürlivch auch von Zaven Hanbeck, einem iranischen Künstler, der in Augsburg lebt und Schriftbilder im Erdgeschoss des Schaezler-Palais ausstellt. In Hanbecks Bildern verwandeln sich die arabischen Zeichen Zeile für Zeile immer mehr in Lebewesen. Ich höre, leicht an die weiße Banklehne zurückgelehnt, die ersten Worte aus dem Goethe-Gedicht "Hegire":

"Nord und West und Süd zersplittern,
Throne bersten, Reiche zittern:
Flüchte du, im reinen Osten
Patriarchenluft zu kosten,
Unter Lieben, Trinken, Singen
Soll dich Chisers Quell verjüngen ..."



Gruppenbild mit Künstler und Kunstsammlungs-Boss vor der Galerie.

Ich genieße die Töne, die Worte, die an mir vorbeigleitenden Bilder, die dadurch entstehen und lasse sie in den blauen Himmel über den Garten entschweben. Manche Sätze versprechen Süßes, wie das Schild an einem kleinen Eckhaus, ehemaliger Hühnerstall, im Garten: "Schaezler-Honig". Nein, ich schlafe nicht ein, wenn Schiller Goethe liest, ich döse auch nicht, eher meditativ ist mein Zustand, wobei ich nur von hinten auf die bunten Blusen der Damen und die gelblichen  Strohhüte der Herren blicke. Die Vorleserin macht es kurz. Bravo! Jetzt bin ich dran. Ich scheuche Sybille Schiller zusammen mit dem Künstler Hanbeck vor ein Bild von ihm und knipse sie für unsere Leserinnen und Leser. 

Gutgelaunte Galerie-Service-Damen machen die Vernissage zum Kunst-Genuss.

Ich bedanke mich bei den beiden für das Foto und schaue mir bei der Gelegenheit gleich noch einige Bilder von Hanbeck an, die hier im Museums-Café hängen. Als ich wieder durch den hellen Säulengang zurückkehre, ist eine kleine Feier im Gange. Sybille Schiller hat Geburtstag. Und es gibt Sekt zum Hochleben lassen. Das mache ich und die andern auch sehr gern. Dabei komme ich nach längerer Zeit mit einem Augsburger Künstler-Urgestein ins Gespräch, dem Hansjürgen Gartner. Er hat einen Zwillingsbruder, der auch mal mit ihm in Augsburg lebte, aber jetzt wieder in Wien sein Künstlerleben durchzieht. Früher musste ich mich immer konzentrieren, um zu wissen, mit wem von beiden ich mich unterhielt. Jetzt hörte ich genau hin, um seinen Vornamen Hansjürgen, mitzubekommen. Er kam als Textildesigner 1965 nach Augsburg als hier noch die Textilindustrie groß angesiedelt war und ich als Industriekaufmann Textil bei der Neuen Augsburger Kattunfabrik (NAK) meine Lehre machte. Wir konnten also in Erinnerungen schwelgen. 

Reusse-Foto: Berühmter Künstler mit Federgesicht. Wer ist es? 

Und da Schillers Ehegatte als großzügiger Barmann fungierte rutschte unser Gespräch zur hitzigen Diskussion über Künstler-Karrieren und wichtige oder betrügerische Galeristen. Ich geb's zu, ich war der letzte der sein Sektglas leerte und es bei zwei charmanten jungen Frauen vom Museum leicht angedudelt, aber sehr höflich abgab. Mann will ja wiederkommen und nicht gleich rausgeschmissen werden. Auch Hansjürgen war schon verschwunden. 

Es war der Abend, an dem sich in Augsburg die Veranstaltungen drängten und stauten. Corona konnte sie nicht ausbremsen. Im Fuggerhaus hat der Augsburger PR-Guru und Wasserstadt-Experte Martin-Kluger sein Buch über die luxuriösen Badstuben der Fugger präsentiert. Fuck, das pack ich nicht.

Im Glaspalast, im Textil-Viertel, war die "SchwabIllu" mit Illustratoren aus Augsburg und dem dazugehörigen Schwaben angesagt. Textil, klar, da war für uns wohl die nächste Vernissage ... Ganz schön weit weg ... Uff! 

Ich kettete also mein Fahrrad vom Bauzaun in der Maximilianstraße los und schob es durch die cocktailsüffelnde Jungmenschenmenge vor dem Lokal "Caipi". Dann wollte ich aufsitzen und den Milchberg runterpreschen mit 1,5 Promille, naja, 0,75 Promille. Hallo Hansjürgen, aufgepasst, ich komme!



Augsburgs neuer Kultur-Referent Jürgen Enninger, vor dem Reusse-Beuys.

Doch: Vor ein paar leuchtenden Schaufenstern stand eine Gruppe Menschen, von denen einige wie Künstler aussahen. Durch ein helles große Fenster sah ich den Hansjürgen im Raum der Neuen Galerie im Höhmannhaus stehen und Bilder an der Wand betrachten. Aha, hier war die nächste Vernissage, musste ich noch nicht so weit radeln. Im anderen Schaufenster waren Bier und Wein aufgebaut. Nichts wie rein. Äh, Maske auf! 

Originelle Bilder des Künstlers  Stephan Reusse aus Kölle hingen in den schönen weißen Gewölbe-Räumen des Höhmannhauses. Thomas Elsen, der Boss vom H2 – Zentrum für Gegenwartskunst und 
Neue Galerie im Höhmannhaus hielt eine kleine Rede über den Künstler und seine Bilder: Porträts von berühmten Künstlern. Aber nicht einfach so. Er erklärte uns das: Alle abgebildeten machen was mehr oder weniger Verrücktes für den Fotografen. Die Ausstellung nennt sich ja auch "Collaborations", was nach Zusammenbarbeit klingt. Im Krieg leben Kollaborateure gefährlich, besonders hinterher, wenn die Rache kommt.

Ziemlich unauffällig, direkt lässig, kommt ein Mann im flotten Designer-Anzug hereingeschlendert und platziert sich neben Elsen. Es ist Augsburgs neuer Kultur- und Sportreferent: Jürgen Enninger. Er will vor Joseph Beuys mit seinem typischen Hut fotografiert werden. Dann geht er von Bild zu Bild und schaut sich amüsiert alles an. Es sieht schwer nach Interesse aus", denke ich mir. "Hoffentlich hat der mal gute neue Ideen für spannende Kultur-Ereignisse in Augsburg."

Hansjürgen Gartner mit Beate Passow, die Kunst gegen das Vergessen erstellt.

Ein paar Fotos von Reusse erklärte Elsen wie sie zustande gekommen sind. Bei Wolf Vostell schaut das Künstler-Gesicht durch die Spuren eines Autoreifens. Erst auf den zweiten Blick erkennbar. Weil Reusse das Foto erst zu normal war, ließ er hinterher das Auto des Künstlers paar mal drüberfahren. Wie Elsen erklärt, war der Vostell einst ein Mann des Happenings. Das passt. Ideale Collaboration.

Auf jeden Fall strahlten diese witzigen Bilder von Reusse soviel Spaß aus, dass mir der Wein immer besser mundete und die Gespräche immer munterer wurden. Natürlich schnappte ich mir den Foto-Künstler und versuchte mit ihm auch eine halbwegs gelungene Collaboration zusammenzubekommen. Er griff sich eine Flasche Augsburger Mineralwasser, stelle sie sich auf den Kopf und ich drückte rechtzeitig auf den Knopf, bevor die Flasche auf den Boden der Galerie schmetterte.

Ich hoffe, Reusse hat noch lange schöne Mozart-Töne aus Augsburg zur Erinnerung in seinem Kopf ... Chisers Quelle, die aus "Hegire", wars zwar nicht, aber die Flasche "Mozart-Quelle" sah trotzdem gewagt gekonnt aus. Reusse und ich: kollabiertes Super-Duo!


Reusse-Foto: Mike Kelley mit dem dritten Auge, bei richtiger Betrachtung.


Im Hof, den ich nur durchs Damenklo erreichen kann, boah, war ich Gentleman da flink durch, wurde an den runden Tischen schwer über Kunst diskutiert. Ich stellte an die Anwesenden, hauptsächlich weibliche Galerie-Gäste - tja, Augsburger Männer ihr müsst nur Kultur-Ereignisse besuchen und schon habt ihr mehr Frauen-Kontakte als im Internet - nach und nach die Frage, welches Bild ihnen da drin am besten gefalle. Der Hit war das 3D-Bild, von uns Kindern einst Wackel-Bild genannt, von einem jungen hübschen Kerl. Ein Künstler aus Michigan. Aber kein Mitglied der singenden Kelly-Family, sondern ein US-Performance-Artist, der ähnlich heißt: Mike Kelley

Und da war noch eine Dame, sehr kunstinteressiert, deren Begleiter über ihr Wissen über Bilder und Künstler schwer staunte. Ich auch. Sie fand, Reusse produziere eher Foto-Gags, für sie ist immer noch ein Bild von Kandinsky, besonders das mit dem schwarzen Ball, der vor einem blauen Hintergrund durchs Bild zu schweben scheint, richtige ernsthafte Kunst. Naja, jedem das Seine. Mir persönlich gefällt Reusse besser. Viel lebendiger.

So einfach kann einen Kunst anlocken.


Nicht zu vergessen Augsburgs Kulturpresse-Mann Nr. 1, Jürgen Kannler, Herausgeber der Kulturzeitschrift "a3kultur" der sogar ein Gedicht aufsagte, das er über seine Tochter gemacht hatte. Naja, Goethe war's nicht, aber über den sind wir wohl darauf gekommen. 

Nachdem uns die gutgelaunten Galerie-Service-Damen bestens mit Getränken wie Bier oder Wein versorgten, konnte ich noch durchs Fenster beobachten, dass ein großer smarter Typ mit einer auffällig elegant gekleideten blonden Lady in der Galerie die Reusse-Bilder mit dem Elsen zusammen betrachtete. "Die sind richtig gute Kunstkäufer, von denen es in Augsburg, leider viel zu wenig gibt",  wurde ich aufgeklärt. Die geben schon mal 10.000 Euro für ein Bild aus."

Am Schluss saß ich allein auf der Bank auf dem Gehweg vor der Galerie. Ganz brav, mit der letzten Bierflasche in der Hand. Die Fachoberschullehrerin, Richtung Gestaltung, hatte sich gerade mit ihr Freundin von mir verabschiedet: "Wir ziehen noch um den Block!" Schon einige Minuten vorher war die gesamte Künstler-Clique ins Dragone zum Futtern verschwunden. 

Da meldete sich mein Handy. Die eingetrudelte Whatsapp verkündet mir: "Im Glaspalast bei der SchwabIllu läuft jetzt auch nix mehr. Brauchst nicht mehr zu kommen!" Wär ja auch schwierig geworden mit 2,5 Promille und einem Fahrrad ohne Licht dran. 

Mein Wort zum guten Schluss: 

Leute, besuchet Vernissagen oft, 

Denn: ganz unverhofft,

passiert Kultur in Augsburg ohne Zoff.


Ihr Peter Garski


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