Schillers Wochenkommentar: Zugaufspringer in der Rassismusdebatte



Wie ist das mit dem Vorwurf, "der oder die muss auch auf jeden Zug aufspringen?“ Dieser Satz wird gerne ausgesprochen, wenn einzelne sich von einem „Mitdabeisein“ gewisse Vorteile oder besondere Ehrerbietung versprechen. Dass aber jetzt der Herausgeber des „Dreigroschenheftes“ auf der Rassismus-Schiene mitfahren will, ist mit „Was soll das denn?“ zu hinterfragen. In seiner Einschätzung geht es um BBs vermutlich 1920 verfasstes Gedicht „Politische Betrachtungen“. Brecht und Rassismus???

BB kann sich zu dem posthumen Rassismus-Vorwurf nicht mehr äußern, aber es darf vermutet werden, dass er solch eine Einstellung weit von sich weisen würde. Das N*Wort war vor 100 Jahren „normal“. Keiner hat daran Anstoß genommen. Bei klugen Menschen hingegen erregten schon damals Protest die vorsätzliche Diskriminierung aufgrund von Herrschaftsverhältnissen in Kolonien und anderswo.

Bert Brecht war einer dieser Klugen, er war auch Satiriker und ohne Zweifel politisch links orientiert. Den Schwachen, in welcher Situation auch immer, war er stets zugewandt, also sicher auch den N* gern. In Brechts Gedicht, so argumentieren nun die Rassismus-Zugaufspringer, wird der Vers „und das Land seufzt unter der schwarzen Schande“ posthum als rassistisch gewertet. Mit Verlaub, das ist an den Haaren herbeigezogen!

Zur gleichen Zeit wie die unvollkommenen BB-Verse „Politische Betrachtungen“ entstand der „Baal“. Darin gibt’s einen N*er (die fehlenden Buchstaben mag man sich denken), der ein Kabarett betreibt und Baal auftreten lässt, um ihn auszunutzen. Das jedoch wird an keiner Stelle mit seiner Eigenschaft als N* begründet; N* ist er für Brecht nur ein Kabarettbetreiber, der andere ausnutzt. Außerdem zeigt sich BB, belegt durch frühe Zeitungsbeiträge, den „Feinden“ Deutschlands und Fremden, konkret z.B. Französischen Soldaten gegenüber sehr aufgeschlossen. Keine Spur von Hetze, Hass oder Diskriminierung wie etwa bei Ganghofer. Warum soll diese Verachtung mit den Rheinlandbesetzern beginnen? Das ist aus dem Kontext gerissen und Wichtigtuerei.

BB prangerte die Haltung vieler Staaten nach dem Ersten Weltkrieg an, des Weiteren kannte er die deutsche Wut auf Frankreich, glaubte vermutlich nicht, wie es im „Dreigroschenheft“ interpretiert wird, dass Franzosen afrikanische Kolonialsoldaten bewusst als „Schwarze“ ins Rheinland schickten. Dass, so heißt es im „Dreigroschenheft“, sogar der sozialdemokratische Außenminister Adolf Köster von „Verpflanzung von ungefähr 50 000 fremdrassigen Truppen in das Herz Europas“ sprach, was ein „Verbrechen am gesamten Europa“ gewesen sei, entspricht nur der damaligen, zugegeben unüberlegten Ausdrucksweise insbesondere in den Medien. 

Davon abgesehen, hat sich BB gerne im Ton vergriffen, wenn er eine abwertende Bemerkung über die „Ausbeuter“ machen konnte. Dazu gehört „ein verfetteter Mittelstand und eine matte Intellektuelle!“, wie im „Dreigroschenheft“ zitiert wird und womit er bei allen Gleichgesinnten sicher ins „Schwarze“ getroffen hatte.

Sybille Schiller 

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