Aufschrei für den Sport!

 

Freie Wähler-Stadtrat Hans Wengenmeir mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder.


Gedanken des Vereinsvorsitzenden und Stadtrates Hans Wengenmeir zum Sport in der Corona-Katastrophe

Als 1. Vorsitzender des Polizei Sport Verein Augsburg, eines Mehrspartenvereines mit 750 Mitgliedern (vor Corona), der in Folge des Corona Lockdown viel Zeit zu Hause verbringt, gehen einem eine Vielzahl von Gedanken durch den Kopf. Aber der Reihe nach!

Im Frühjahr 2020 wurden wir im Sportverein wie alle anderen auch vom Covid-19 Virus überrascht. Als Erstes versuchten wir an Desinfektionsmittel (für Flächen und Hände) und Masken zu kommen. Als Nächstes waren Infos zu sinnvollen Hygienekonzepten gefragt. Die Staatsregierung in Bayern und die Stadt verordneten Maßnahmen, die durchaus sinnvoll erschienen, auch wenn sie nicht immer zwingend nachvollziehbar waren.

Während dem ersten Lockdown hätten wir eigentlich eine Hotline für den Verein gebraucht. Da die Vorstandschaft und die Geschäftsstelle ausschließlich ehrenamtlich arbeitet, blieb die Kommunikation für die Mitglieder, also Sportler, Eltern, Abteilungsleiter, Trainer, Mieter unserer Sporteinrichtungen usw. usw. am Vorstandsteam hängen. Homepage bestücken, Maßnahmen im Verein treffen, Kontakte zu Verbänden und Kommune, E-Mails, WhatsApp, Telefon – es war einiges los.

Sollten wir die Bezahlung einstellen?

Veranstaltungen, Kurse für die Volkshochschule, Ferienangebote und natürlich jeglicher Sportbetrieb mussten abgesagt werden.

Die Einnahmen blieben aus, die laufenden Kosten liefen weiter. Das galt auch für unseren Vereinswirt. Der Vorstand war gefordert, Entscheidungen zu treffen. Wir haben 4 geringfügig Beschäftigte im Verein, sollten wir deren Bezahlung einstellen? Haben wir nicht gemacht! Dem Vereinswirt die Pacht stunden? Ja klar! Dies waren nur einige Themen.

Staatliche Coronahilfen bekamen wir leider nicht, da unser gewerblicher Umsatz unter 30tsd €uro im Jahr liegt und wir dank gutem Wirtschaften in den Vorjahren nicht in unserer Existenz bedroht waren/sind. Daneben wurde für die Kadersportler Videotraining organisiert; für die Breitensportler Gymnastikvideos auf der Homepage platziert, um wenigstens ein Miniangebot zu haben.

Der Lockdown wurde gelockert und der Sportbetrieb Schritt für Schritt wieder aufgenommen. Der BLSV gab Rahmenrichtlinien heraus, die Fachverbände differenzierte Regelungen und nochmals andere für Outdoor und Indoor. Bei sieben Abteilungen plus verpachteter Gastronomie waren also 9 Hygienekonzepte für unsere Sportanlage notwendig.
Ein- und Ausgänge für Sportler und Gastro waren noch das kleinste Problem. Schwieriger war da schon die Erstellung eines Nutzungsplanes für das Training im Freien, da ja die Hallen noch gesperrt waren. Also die Fußballfelder nach Abstandsvorgaben ein- und mit Absperrbändern abteilen. Welches Training ist jeweils für die Abteilungen wann möglich, ohne Körperkontakt. Wie vermeiden wir Begegnungen größerer Personengruppen?

Warum wird der Breitensport nicht als systemrelevant angesehen?

Nun wurden gewissermaßen im 2-Wochen-Rhythmus über den Sommer die Vorgaben gelockert, mit der Notwendigkeit die Hygienekonzepte anzupassen und neu zu kommunizieren.
Die Mitglieder blieben uns zunächst treu, weshalb wir diesbezüglich gelassen blieben. Als alles wieder in Richtung Normalbetrieb schaute, stiegen die Infektionszahlen im Oktober in Augsburg massiv an. Die logische Folge war der neuerliche Lockdown im November.

Diskussionen in der Politik und der Gesellschaft zu Sinn und Unsinn verschiedener Coronaregeln im Teil-Lockdown, zu finanziellen Unterstützungen für z. B. Gastronomie und Kulturschaffende werden in vielen Talkshows und politischen Zirkeln diskutiert. Sport? Profisport ja, vielleicht noch der Vergleich Profi-/Breitensport. Das war es aber dann schon zum Thema Breitensport in Zeiten von Corona! Warum ist das so? Warum wird der Breitensport nicht als relevant und schon gar nicht als systemrelevant angesehen? Und welche Gefahr ist darin zu sehen?

Bekanntermaßen ist Bewegungsarmut ein Auslöser für viele Zivilisationskrankheiten unserer Zeit! Für alle Altersgruppen!

Wo können sich Kinder und Jugendliche sinnvoll austoben?

Daneben werden Kinder im Vereinssport sozialisiert und lernen mit Erfolg und Misserfolg umzugehen. Vereine und speziell Sportvereine sind der Kitt in der Gesellschaft! Wo findet mehr Integrationsarbeit statt? Wo finden Migranten problemlos Anschluss und Freunde und lernen nebenbei noch die Sprache?

Nicht zuletzt die Multiplikatorenfunktion auch und gerade in Zeiten von Corona. Sportkids mit Migrationshintergrund erklärten z.B. ihren Eltern nach dem ersten Lockdown unter welchen Hygienekonzepten und wie Sport im Verein wieder möglich wurde.

Wo können sich Kinder und Jugendliche sinnvoll austoben, Aggressionen abbauen und sportliche Fairness und Disziplin lernen?

Unseren Senioren im Verein fehlen die regelmäßigen Kontakte zu den Sportfreunden!
Das sind nur einige Gedanken, die mich umtreiben! Und die zweite Welle schwappt nun auch über die Vereine. Jahreshauptversammlung mit Neuwahlen und Hygienekonzept geplant und wieder abgesagt. Ebenso Weihnachts- und Jahresabschlussfeiern! Rund acht Monate dauert diese sehr schwierige Zeit für alle Sportler nun an und ein Ende ist nicht wirklich in Sicht. Da stellen sich mir schon einige Fragen:
Wie geht es weiter mit meinem Verein – wie viele Kündigungen kommen noch bis zum Jahresende (bisher über 10 %)? Wie viele Kinder und Jugendliche verlieren wir?
Wie viele Talente verlieren wir für den Spitzensport? Hören Trainer und Ehrenamtler auf?
Kooperationen Schulsport – Vereinssport gefährdet?
Treffen wir als ehrenamtlicher Vorstand die richtigen Entscheidungen? Schließlich sind wir ja in der Haftung!

Ist die Sportfamilie zu brav und diszipliniert?

Welche finanziellen Auswirkungen hat Corona auf meinen Verein und die Mitgliedsbeiträge?
Können wir unser Sportangebot und die Mitgliederzahlen wieder auf das Niveau vor Corona bringen?

Warum werden unsere Sorgen im Vereinssport insbesondere von der Politik nicht wirklich wahrgenommen? Sieht man aktuell die Summen mit denen z. B. die Kultur berechtigterweise unterstützt wird, wird der Breitensport in Relation zu seiner gesellschaftlichen Bedeutung aus der Portokasse bedient (einzige Ausnahme Verdopplung der Vereinspauschale). Übrigens sind tausende von Sportvereine und ihre Sportler auch ein großer Wirtschaftsfaktor, der allerdings so gut wie nie erwähnt wird.

Ehrenamtliches Engagement kostet nichts und was nichts kostet, ist auch nichts wert!
Der Eindruck drängt sich auf. Ich hoffe nicht, dass dieser Trend sich durch die Coronakrise verstärkt! Ist die Sportfamilie zu brav und diszipliniert? Warum reklamieren wir nicht mehr Aufmerksamkeit? Normalerweise sind doch Politiker auch Sportfans?

Fakt ist für mich, dass der Vereinssport massive Anstrengungen vor sich hat, um beispielsweise mit gewerblichen Sportanbietern konkurrieren zu können. Intensivierung von Aus- und Fortbildung für Übungsleiter und Funktionär, Strukturverbesserungen, Werbemaßnahmen und viel Herzblut werden notwendig sein!

Wertschätzung und Wertschöpfung des Vereinssports müssen deshalb mehr gesellschaftliche und politische Beachtung finden und von den Medien öfter in den Fokus gerückt werden! Sonntagsreden und Schulterklopfen allein reichen nicht. Die riesige Sozialfunktion der Vereine muss wieder in das Bewusstsein der Menschen und der Politik gebracht werden.




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Übernommen aus dem Magazin "Sport in Augsburg".

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