Gabriela Zorzete Finardi, Jacques le Roux. |
"Man hört den Wind, das Brausen der wilden Stürme, das Knacken des Eises"
Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Wegen Corona wurde die Ballettpremiere „Winterreise“ deshalb via livestream übertragen. So konnten statt nur 50 Zuschauern im martini-Park viele am Bildschirm in den Genuss der Uraufführung kommen, doch den großen Applaus hätten die Akteure direkt vor Ort verdient.
Ballettdirektor Ricardo Fernando entwickelte eine Choreographie zu Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ auf der Grundlage der Instrumentation von Hans Zender im Jahr 1993, der das Werk für einen Tenor und ein kleines Orchester arrangiert hatte. Das Besondere dabei ist, dass außer den klassischen Instrumenten wie Bläser und Streicher, auch Akkordeon, Gitarre und Schlagwerk mitspielen. Selbst Windmaschinen sind zu hören. Die in der „Winterreise“ beschriebene Natur wird so noch erlebbarer - man hört den Wind, das Brausen der wilden Stürme, das Knacken des Eises, auf dem der Wanderer geht. Beeindruckend: Die 24 Musiker der Augsburger Philharmoniker unter Leitung von Domonkos Heja.
Die Choreographie wirkt insgesamt sehr reduziert, allerdings gibt es zahlreiche starke Einzelmomente: Zum Beispiel Gonçalo Martins da Silva als Hirsch, Afonso Pereira als Frühling, Nikolaos Doede als Nacht. Die Personifizierung von Tieren und Bäumen, Sturm, Nacht- und Jahreszeiten verdeutlicht und verstärkt die emotionale Ausnahmesituation, in der sich der Wanderer (wunderbar kraftvoll gesungen von Jacques le Roux) befindet und der sich in seinen Bewegungen zurückhält, um den Tanzenden Raum zu geben.
Jacques le Roux. |
Das Bühnenbild (Peer Palmowski) ist schlicht: Wände an den Seiten deuten an, dass es sich um einen Innenhof handeln könnte, auf dem ein Baum steht ohne ein einziges Blatt. Sehr schlicht, sehr eindrücklich verdeutlicht dieses Bild die Hoffnungslosigkeit und Trostlosigkeit des Wanderers.
Auch die Kostüme (Stephan Stanisic) sind phantasievoll, so begleitet der Tod in weißem und roten Gewand unter dämonischen Masken den Wanderer. Krähen mit Skelettköpfen sind angsteinflößend und bedrohlich, dagegen wirkt die personifizierte Nacht in dunkelblauem Glitzergewand friedvoll und beruhigend.
Durch die Verbindung der manchmal verträumt, dann wieder alptraumhaft anmutenden Kostüme, den Bewegungen der Tänzer und die Musik, durch die alle Naturerlebnisse spürbar werden, bleibt auch der Zuschauer im Unklaren darüber, was nun Wirklichkeit oder Wahn ist. Reales Erleben eines Wanderers, oder ist am Ende alles nur Imagination?
Eine wunderbare Reise zwischen Traum und Wirklichkeit.
Eindrücklich und betroffen macht nach dem Schlussakkord das Verbeugen der Mitwirkenden in absoluter Stille im leeren Raum.
Maria-Anna Meißner
Kommentare
Kommentar veröffentlichen