Von Glaskugeln, (Immobilien-)Haien und Sahneschnittchen

Florian Gerteis (Mode Rator), Julius Kuhn (Yolanda, Aktivistin)
und Patrick Rupar (Martina).


Staatstheater Augsburg: Start der Streaming-Plattform Twitch


Die Theater müssen weiterhin geschlossen bleiben - das heißt jedoch nicht, dass man ohne Aufführungen auskommen muss. Das Staatstheater Augsburg startete etwas Außergewöhnliches: Vom letzten Montag bis Freitag war es möglich, über der Streaming-Plattform Twitch mit dabei sein, wie die Produktion „W - eine Stadt sucht eine Wohnung“ entsteht.

Darin geht es um die ehrgeizige Laura, die die beste Architektin der Welt werden möchte. Sie wird engagiert, in der (fiktiven) Stadt Adelma in einem denkmalgeschützten Viertel Häuser zu renovieren und umzubauen. Sie möchte aber nicht nur wegen des Auftrags dorthin, denn ihre verschwundene Freundin Emma stammt aus dieser Stadt. Aber nicht nur Emma ist verschwunden, sondern zehn Prozent der Bevölkerung sind urplötzlich weg. Bei ihrem Aufenthalt gerät nun Laura zwischen die Fronten von Politikern, Aktivisten und Immobilienspekulanten, zu denen auch ihr Auftraggeber Maurice Chef, Direktor der Firma Shark Trust gehört. Der aber hat mit Martina, der Polizeichefin von Adelma (und dazu Instagram-Influencerin), seine ganz eigene Agenda. Eingerahmt wird die Handlung durch Anmerkungen von Mode Rator in dessen täglicher Talksendung, der zwischendrin schon mal Sahne schlägt für den Kindergeburtstag seiner Tochter oder durch Product Placement für den Adelma-Champagner wirbt.

Ensemble.

Es war unheimlich spannend, die Entwicklung dieser neuen Inszenierung fünf Tage lang zu verfolgen.  Es begann wie in einer Lesung: die Schauspieler, Regisseur Nicola Bremer, dazu Regieassistent und Dramaturgin saßen im Halbkreis, gingen die Texte durch und stellten die Figuren vor, dann folgten erste szenische Proben. Am Dienstag steigerte sich das Bühnengeschehen und im Lauf der Woche änderten sich Musikauswahl und Kostüme. 

Spannend war es, die Entwicklung der Figuren zu beobachten: Laura, für die Ehrgeiz, Geld und Ruhm alles bedeutet, begann zu überlegen, welche Konsequenzen ihr Handeln hat und wie sie mit ihrer Arbeit anderen helfen könne. Deshalb ändert sie ihre Pläne für Gebäude 1, das umgebaut werden soll - sie hatte erst an Glaskugeln statt an Wohnungen gedacht, was weniger Platz bedeutet hätte. Sie ändert ihre Pläne, jetzt will sie nur noch Glasfassaden, damit mehr Wohnraum zur Verfügung stünde. Maurice Chef stellt sich als Fiesling heraus mit eigenen Ideen und beginnt das Denkmalviertel einzureißen. 

Ein besonderer Höhepunkt und äußerst beliebt bei den kommentierenden Zuschauern war Haidi, das „Haustier“ von Maurice - ein Haifisch ...

Nicola Bremer (Regisseur, der mit dem roten Helm) und Ensemble.


In den Tagesfolgen wurden auch die jeweiligen Zuschauer eingebunden: Sie sollten zum Beispiel Witze in den Kommentaren posten, die Mode Rator in seine Sendung einbaute, oder verhindern, dass Haidi zu Sushi verarbeitet wird, nachdem sie Chef ins Bein gebissen hatte. Und dann konnten die Zuschauer noch zwei Improszenen (Träume von Laura) vorschlagen.- Vom Ballett tanzen übers Seilhüpfen bis zur Rave Party war alles möglich.

Bis jetzt ein sehr unterhaltsames Projekt. Insgesamt soll es fünf Folgen von „W - eine Stadt sucht eine Wohnung“ geben und die Zuschauer fragen schon jetzt: Wie geht es weiter? Was passiert mit dem Denkmalviertel? Kehren die verschwundenen Bewohner von Adelma zurück?

Maria-Anna Meißner

Miriam Birkl (Laura).
Alle Fotos: Jan-Pieter Fuhr
 


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