Das erste Augsburger Luftkriegsopfer bekam auf dem Nordfriedhof Ehrensalven

Das Titelbild "1944" malte August Hofer. Auf der Rückseite des Buches ist die
Vereidigung des Volkssturms vor dem Augsburger Stadttheater zu sehen.



Wie verlief der Alltag in Augsburg, als der Zweite Weltkrieg von Deutschland aus über die Welt tobte? Bayerns drittgrößte Stadt wurde mit zahlreichen Kasernen und Rüstungsbetriebe zu einem wichtigen Ort für die Feldzüge der Nationalsozialisten-Diktatur gegen Polen, England, Frankreich, die Sowjetunion und USA. Es blieb trotzdem bis 1940 mit einer direkten Berührung mit dem Geschehen an der Front, wo Grauen und Tod herrschten, verschont. Erst als 17. August 1940 die ersten mit Bomben beladenen Flugzeuge der Engländer über der Stadt auftauchten und ihre tödliche Fracht auf Augsburg und ihre Bewohner abwarfen, erlebten sie unmittelbar das Elend des Krieges. 

Der erste Luftkriegstote war Andreas Linder, ein  Maschinist der Mechanischen Buntweberei. "Auf dem Nordfriedhof wurde dem ersten Bombenopfer der Stadt in einem festlich inszenierten Akt die letzte Ehre erwiesen: Unter Ehrensalven wurde der Sarg des Opfers eines feigen englischen Angriffs vor Hakenkreuzfahne und rauchenden Pechschalen in die Erde gesenkt. Kreisleiter Schneider ergriff im Namen der Partei das Wort: 'So stehen wir heute an deinem Grabe uns dessen bewusst, dass es für uns nur eines gibt, Deinen Tod zu rächen, und wenn es sein müsste unter dem Einsatz unseres eigenen Lebens. Die Welt muss wissen, dass kein deutscher Mensch ungestraft geschädigt werden kann.'"

Augsburger Frauen im Rüstungsbetrieb.
Der Soldat schaut seiner Gattin über den Rücken.

 

Die 12 Bombenopfer im April 1942 bekamen eine pompöse Todesfeier, ausgestattet auf dem Elias-Holl-Platz mit Hakenkreuzfahnen an der Rückseite des Rathauses, dazu Blumen, Kränze und eine Bühne auf dem in ein Hakenkreuzbanner  gewickelter Sarg symbolisch für elf Tote aufgebahrt war. Ein Musikkorps der Luftwaffe spielte Beethovens Trauermarsch. 

Erwähnt sind einige bemerkenswerte Geschichten wie der Abflug am 10. Mai 1941 von Rudolf Heß, Hitlers Stellvertreter, der mit einer Messerschmitt Me 110, ausgestattet mit Zusatztanks, vom Augsburger Flugplatz nach England mit einer mysteriösen Mission flog. Die NSDAP-Medien erklärten ihn daraufhin zum "Geisteskranken." In Augsburg war das in den zwei großen Zeitungen zu lesen: "Augsburger National Zeitung" (NSDAP-Organ für Augsburg und Schwaben) und "Neue Augsburger Zeitung", die beide besonders über regionale Kriegsverordnungen, Fürsorgeansprüche, Lebensmittelbeschaffungen und Veranstaltungs- und Kultur-Termine berichteten. Das "Amtsblatt der Stadt Augsburg" wurde 1940 eingestellt.

"Sie starben, damit Deutschland lebe", wurde auch in Augsburg als Durchhalteparole verkündet, nachdem bekannt geworden war, dass die 6. Armee der Deutschen Wehrmacht in Stalingrad untergegangen war. Das senkte auch in Augsburg, damals noch fern von Ost- und Westfront, die Stimmung. Aus Schwaben und aus Augsburg waren Soldaten in der 6. Armee. Gerüchte über Massenerfrierungen, Lazarette voll von Amputierten, schlechte Verpflegung an der russischen Front, verschlimmerten noch mehr die schlechte Stimmung "auf einen bisher nicht gekannten Tiefstand", notierte der Regierungspräsident intern. 

Als Zeichen der Trauer für die toten deutschen Soldaten in Stalingrad mussten die Theater, Kinos und Varietés für drei Tage geschlossen bleiben, laut einer Anordnung des Propagandaministers Joseph Goebbels. 

Kirchliche Kreise legten die feindlichen Bomben auf Augsburg als Gottesstrafe aus, die vielleicht durch Beten und Kirchgang verhindert werden konnte. Bei der Bombennacht im Februar 1944 wurde Augsburg stark zerstört und viele Menschen starben. Von der NSDAP wurde der "Frontgeist" begrüßt, der nun in Augsburg eingezogen sei, dessen Bürger sich in der "Terrornacht heroisch" verhalten hätten. Die meisten Kinder waren schon im vorherigen Sommer aus der Stadt verschwunden. Zur Vorsorge hatte das Nazi-Regime schon Leichensammelstellen, Sarglager, Chlorkalk gegen Seuchen, und große Massengräber in drei Augsburger Friedhöfen anlegen lassen, die im Durchhalte-Ton "Sammel-Ehrengräber" genannt wurden. Mit 14 Männern der Polizei und der Wehrmacht wurden Leichensuchtrupps zusammengestellt. 

Die Kripo wurde zur Identifizierung der Leichen geschult. Diese waren nach einer Bombardierung oft entsetzlich entstellt. Fünf Tage und länger lagen die Leichen neben oder im Schutt der zerstörten Straßen und Gebäude nach dem vernichtenden Bombenhagel aus rund 500 Flugzeugen in der Nacht des 25. auf den 26. Februar 1944, wobei 730 Menschen starben, über 1300 verletzt und 70.000 obdachlos wurden.  

Felix Bellaire: "Die Körperlichkeit des gewaltsamen Todes im Luftangriff in allen seinen schrecklichen Spielarten war für die allermeisten Bürger etwas vollkommen Neues und Unbekanntes. Die Opfer waren durch Verbrennungen entstellt, unter Trümmern zerquetscht oder von Explosionen zerrissen worden."

Bei den Trauerfeiern der Massenbestattungen, die direkt auf den Friedhöfen stattfanden, musste auch Gauleiter Karl Wahl antreten. Die Neue Augsburger Zeitung spendete den Angehörigen Propaganda-Trost: "Das Leben geht weiter, der Alltag fordert seine Rechte. Es ist ohne Sinn, die Hände fassungslos und mutlos in den Schoß zu legen. Über die Trauer hinweg ist es unsere Pflicht, noch fanatischer zu kämpfen und zu arbeiten, sich nicht unterkriegen zu lassen bis zu dem Tag da auch für diesen feigen Massenmord ein Rächer entsteht." Der SS-Kommandeur schrie wütend durchs Mikrofon: "Hier hat das Plärren von Gebeten keinen Wert und Sinn. Hier gilt nur noch der Haß! Wir verkünden den Haß, wir entflammen den Haß! Wir rufen hier an den Särgen der Toten alle zum Hassen auf!"   


Augsburg: Stadt der Kasernen, Soldaten und Umzüge.



Viel Platz wird auch den Frauen gewidmet, die die Arbeitsplätze in den Werkstätten, in den Fabriken und im öffentlichen Dienst übernehmen mussten, da viele Männer an der Front waren. Der Einsatz von Fremd- und Zwangsarbeitern (Kriegsgefangene, KZ-Insassen) wird ebenso geschildert. 

Die Bevölkerung registrierte mit Ärger die Bevorzugung von Frauen in besser gestellten Haushalten. Personal und Material wird bevorzugt für die Rüstungsindustrie in Augsburg bereitgestellt. In der Metallbranche arbeiteten damals bis zu 75.000 Menschen, weitaus mehr als in der Textilbranche, die in allen Belangen gegenüber der Rüstungsindustrie, die für die Wehrmacht, Waffen, Munition und  Ausrüstung herstellte, zurückstehen musste und Arbeitskräfte an das Heer oder die Rüstungsindustrie abtreten musste. 

Organisiert wurden die örtlichen Rüstungsbetriebe durch das "Rüstungskommando Augsburg". Zu Beginn des Krieges waren es nur 15 solcher Betriebe und wurden im Verlauf des Krieges über 600 "Wehrmachts-Betriebe", kurz "W-Betriebe", mit über 75.000 Beschäftigten, bei denen sich viele Kriegsgefangene befanden. Die meisten Beschäftigten waren bei den Rüstungsbetrieben MAN und Messerschmitt. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Augsburger Firmen kamen auch als Zulieferer zur Rüstungsindustrie hinzu. 

Kein Wunder, dass die Rüstungsstadt Augsburg zum Ziel der feindlichen Flieger und Bomben wurde. 

Kleine Geschichten wie die von den Schwestern des Maria-Ward-Klosters in Augsburg, die im "großen Umfang" schadhafte Kleidung wie Pullover und Socken der Wehrmachtssoldaten ausbesserten, oder von den Werkstätten der Augsburger Blindenschulen, die massenhaft Geschoss-Körbe flochten und Haarersatzbesen für das deutsche Heer herstellten, machen das Alltagsgeschehen in Augsburg während des Krieges anschaulicher und begreifbarer. Dazu gehören auch kleine Berichte von einem Verleihsystem für Haushaltsgegenstände, Tauschbörsen für Säuglingswäsche und Kinderschuhe. Aber auch von einer Frauenmilch-Sammelstelle in der Kinderklinik, eingerichtet von der Stadtverwaltung. Buchhandlungen mussten einen Teil ihrer Bücher zum Ausleihen hergeben. 

"Seit Kriegsausbruch allerdings hat sich in den Reihen der weiblichen Jugend eine immer größere Haltlosigkeit entwickelt, die vor allen Dingen dort, wo viel Militär liegt, in Erscheinung tritt", bekommt der Gebietsinspekteur der Hitler-Jugend-Streifendienst (HJ), der sich für die Einhaltung von Sitte und Moral der Jugend verantwortlich fühlt. "Es wird aus allen Untergauen gemeldet, dass die Mädel sich, sobald sie Freizeit haben, in der Nähe der Kasernen aufhalten und dann mit den Soldaten losziehen und sich mit ihnen herumtreiben. Es hat sich gezeigt, dass hier die Zahl der 14 bis15-jährigen Mädeln besonders groß ist, die auch in Bezug auf Besuch der Kinos, Kaffees und Tanzböden erheblich gestiegen ist."

Derartige Geschichten könnten ruhig noch mehr und ausführlicher in diesem Buch sein, das oft allzu sozial-wissenschaftlich mit vielen Zahlen rüberkommt und daher auch etwas herzlos erscheint. Die Themen NSDAP, Stadtverwaltung, Polizei und Justiz werden leider nicht besonders tief ausgeleuchtet. Viel mehr Worte sind beim Thema katholische, evangelische Kirche zu lesen. Erwähnt wird die brutale Auslöschung der jüdischen Gemeinde in Augsburg. 

Das ist allerdings oft der Mangel bei solchen Sachbüchern, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland beschäftigen. Wenn sie von den Kriegsschäden, den Nöten, den Opfern, dem Lebensmittelmangel und den Bombardierungen in deutschen Städten wie Augsburg berichten. Man bekommt beim Lesen den Eindruck, dass hier viel Leid geschah, dass nur wir hier ein Opfer des Zweiten Weltkrieges waren. Jedoch wird übersehen, dass die Städte und Menschen in den von uns überfallenen Gebieten wie Polen und Russland durch unsere Wehrmacht mit vernichtenden Waffen, auch unermüdlich produziert in unserem Augsburg, oft viel mehr Leid erdulden mussten.
 
Der Likias-Verlag meint zu seinem Buch: "Der Autor Felix Bellaire beschreibt die Zustände in Augsburg im 2. Weltkrieg, eine Stadt an der Heimatfront. Wobei neben Wirtschaft, Versorgungslage und Luftkriegsgeschehen vor allem bislang in der Forschung weniger beachtete Bereiche und Aspekte im Vordergrund stehen.
 
So wird etwa nachgezeichnet, inwiefern der Kulturbereich und das kirchliche Leben unter den Kriegseinwirkungen litten und wie das NS-Regime versuchte, die „Volksgemeinschaft“ für die Kriegsanstrengungen zu mobilisieren. Dabei wird bewiesen, dass alle Facetten eines totalen Krieges auch in einer Stadt zu finden waren, die zunächst fern von den militärischen Fronten lag."

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Aus dem Inhalt: Ausgangslagen: Die Stadt vor dem Krieg • Kriegsverlauf, Propaganda und Bevölkerungsstimmung • Kriegswirtschaft • Versorgung • Krankheit und Gesundheit • Repression: Recht und Ordnung? • Kultur und Unterhaltung • Die Kirchen im Krieg • Die jüdische Bevölkerung • Die Stadt im Luftkrieg • Die gescheiterte ›Volksgemeinschaft‹ • Das Ende

Dieses Buch ist eine Veröffentlichung der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft Reihe 1 und gehört als Band 47 zu den Studien zur Geschichte des Bayerischen-Schwabens. Herausgeber: Gerhard Hetzer. Redaktion: Anke Sczesny.

Felix Bellaire: Augsburg 1939–1945 Eine Stadt im Kriegszustand / Likias Verlag / 514 Seiten / Mit Bildern und Tabellen / 32,00 € / ISBN: 978-3-9820130-7-7


Arno Loeb

Das Ende: Die Rüstungsstadt Augsburg wurde zerbombt.

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