Blutiges Ostern 1919 in Augsburg - Flugzeug über Oberhausen abgeschossen!

Die Augsburger Arbeiter kämpften nach dem 1. Weltkrieg im Frühjahr 1919 für eine
neue Regierung, die die Rechte der Arbeiter durchsetzen sollten.
Auf dem Bild ist ihre Gefangennahme zu sehen, der Gegner war übermächtig.


Erbittert wehrten sich in Augsburg rund 800 Arbeiter aus der MAN und den Textilfabriken am Ostersonntag 1919 an Wertachbrücke, Eisernen Steg und Lechhauser Lechbrücke. Ihr Lebenseinsatz war gegen 10.000 Soldaten von Reichswehr und Freikorps erfolglos. 44 Tote, davon über 32 Unbeteiligte und je sechs der Kampfparteien. Die Augsburger Arbeiter versuchten mehr oder weniger symbolisch bewaffnet die Truppen des nach Bamberg ausgewichenen Ministerpräsidenten Hoffmann aufzuhalten.

In der bayerischen Landeshauptstadt München hatte sich im März 1919 eine Arbeiter- und Bauernvertretung des Volkes nach dem Vorbild einer Räterepublik gebildet. Sie war Reaktion auf politische Morde, Hunger, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit in Bayern.

Getragen von der Idee einer direkten Demokratie, Räte anstatt Parteilisten, sollte eine basisdemokratische Volksvertretung und Regierung gebildet werden. Augsburg war die erste bayerische Stadt, in der die Räterepublik ausgerufen wurde.

Vorgeschichte

Im Februar 1919 wurde der erste demokratisch gewählte bayerische Ministernpräsident Kurt Eisner von dem deutsch-national gesinnten Graf Arco erschossen. Dies führte neben den ohnehin schon bestehenden wirtschaftlichen Existenzängsten der „einfachen und armen Leit“ zu großer Empörung und Zorn. Die Gefahr eines Volksaufstandes bestand. Auf der einen Seite das Proletariat in ihrem erstarkten politischen Bewusstsein unter der Führung des Augsburger Lehrers Kurt Niekisch und auf der anderen Seite die Bürgerlichen, die die Restitution der Vorkriegsverhältnisse wollten.

In Augsburg, der nach München größten südbayerischen Industriestadt waren die Verhältnisse besonders krass. Die 9000 Arbeitslosen bei einer Erwerbstätigenzahl von rd. 60000 formierten sich zu einer den Gewerkschaften und der SPD kritisch gesinnten Protestgröße, weil die Arbeitslosenvereinigungen beide gesellschaftlichen Kräfte als unfähig zur Problemlösung sahen.

Diese radikalisierte Gruppen forderten, dass “sich alle endlich satt essen können und die sehnlich gewünschten Ideale der Massen erreicht werden“ (Zitat: aus -Beitrag zur Augsburger Arbeitergeschichte-).

Neun Tage im April 1919

Nach Auffassung der Augsburger Arbeitslosenvereinigungen, den Radikalen in- und außerhalb der SPD sollte eine zweite Revolution die erste vom November 1918 sichern, weil die gewählte Regierung unter Ministerpräsident Hoffmann nicht fähig war, sich gegen die revanchistischen Kräfte durchzusetzen.

Demonstrationen, Aufruhr und Streiks verunsicherten die Regierung Hoffmann derart, dass sie sich von München nach Bamberg absetzte. In dieses Machtvakuum fiel der Beschluss des Augsburger Arbeiter- und Soldatenrates vom 3. April gegen den willen der gemäßigten Kräfte eine Räterepublik auszurufen. Am 4. April folgten München und andere südbayerische Städte. Der Rätegedanke (direkte Verantwortung der Politiker gegenüber den Wählern, ohne dazwischengeschaltete Parteien) verbreitete sich schnell. Aus Sicht der Exilregierung war dies ein Staatsstreich. Augsburg wurde post- und eisenbahntechnisch isoliert und von der Lebensmittelversorgung ausgeschlossen.

Der Euphorie folgte Ernüchterung, keine Unterstützung etwa von Russland, keine weitere Verbreitung des Rätegedankens in Deutschland (nicht einmal die Nordbayern schlossen sich an) und faktische wirtschaftliche Handlungsunfähigkeit. Den Augsburgern blieb nichts anderes übrig in Bamberg gegen die Zusage, dass keine bayerischen und Republiktruppen nach Augsburg gesendet werden, den Beschluss zur Räterepublik am 12. April zurückzunehmen.

Die Münchner Radikalen schlossen sich dem jedoch nicht an. So war Regierung in Weimar der Auffassung, dass Bayern die Revolte nicht mit Verhandlungen beenden kann. Kriegsminister Nolte (SPD) setzte Mitte April bayerische und württembergische Truppen unterstützt durch Freikorps in Bewegung um die Räteregierungen in München, Rosenheim und vermeintlich auch Augsburg, militärisch zu entmachten.

Bestens bewaffnete Freikorpstruppen wurden gegen die Augsburger Arbeiter eingesetzt.
(Bilder: Stadtarchiv Augsburg)

 
Blutiger Kampf um Augsburg

Obgleich die Augsburger die Räterepublik widerrufen hatten, und Regierungspräsident Hoffmann zusagte, die Stadt würde nicht von Regierungstruppen besetzt, marschierten von Süden und Nordwesten mehrere Tausend Soldaten auf die Stadt zu. Die Militärs ignorierten das Versprechen des Regierungspräsidenten, denn Augsburg war wegen der Bahnlinien und Streckenkreuzungen strategisches Aufmarschgebiet nach München. Am 20. April 1919, Ostersonntag gegen 5 Uhr früh rückte die soldatische Übermacht auf der Haunstetterstraße gegen die Stadtmitte. 

Die Augsburger Arbeiter, erzürnt und verbittert über den Wortbruch des Ministerpräsidenten lieferten sich in Widerstandsgruppen bei der Nähfadenfabrik Schürer (heute Mercedes-Benz-Niederlassung, Haunstetterstraße 97) Barrikadenkämpfe. Die Verteidigungslinie zog sich bis zur Hutfabrik Lembert Haus Nr. 49.

Hutfabrik Lembert, Haunstetter Straße, südliche Kampflinie.

 Der Widerstand war vergeblich, zu massiv waren Beschuss und Überzahl. Zudem drohten die Militärs ganz Augsburg mit Granaten zu beschießen. Am Mittag sicherte der Stadtkommandant den Waffenstillstand zu.

Lechbrücke.

Anders in den Arbeitervorstädten: Dort verbarrikadierten sich wenige hunderte Arbeiter an den Lech- und Wertachbrücken und lieferten sich mit den hoch gerüsteten Regierungstruppen erbitterte Gefechte. Die Arbeiter hatten mit ihren Weltkriegskarabinern, einer erbeuteten Kanone und Kleinmörsern keine Chance. Doch schossen sie vom „Spartakistennest Hettenbach“ einen Aufklärungsflieger der Regierung ab. Jahrzehnte später tauchte das Sitzkissen des Piloten in einem privaten Fundus auf. Gegen 22 Uhr gaben die letzten Widerständler auf. Sechs tote Arbeiter und 32 zivile Opfer forderte der Einmarsch der Regierungstruppen. Sie beschlagnahmten alle Waffen der Arbeiter, verhafteten die Rädelsführer und die Widerständler mussten sich hinter die Brücken vor dem inneren Stadtgebiet zurückziehen.
Immerhin respektierten die Regierungstruppen das Arbeiterterritorium und besetzten nicht die Wertach- und Lechvorstädte.

Wertachbrücke.

Die Geschichte schreiben die Sieger

Der Kampf um eine andere Republikform war zu Ende. Letztlich begann mit der wechselseitigen Radikalisierung in der Weimarer Republik durch Kommunisten und Rechtsradikale schon 1919 der Niedergang der ersten deutschen Demokratie. Ab 1933 verleugnete die lokale Geschichtsschreibung konsequent den heldenhaften Einsatz der Augsburger Arbeiter um eine gerechtere Gesellschaft. Auch nach 1945 findet sich bis heute keine offizielle Aufarbeitung dieser Zeit. Lediglich Privatinitiativen haben sich sporadisch diesem Thema angenommen. Erinnerungskultur hat in Augsburg andere Schwerpunkte. Arbeitergeschichte trägt in der großen Industriestadt den Makel des Unbedeutenden.

So ist es der Stadträtin Sieglinde Wisniewski aus Lechhausen zu verdanken, dass sie angeregt durch eine Stadtführung von Kurt Idrizovic (Büchergilde am Obstmark) im November 2018 (!) einen Stadtratsantrag für eine Gedenktafel gestellt hat. Nach Rückfrage bei Frau Wisniewski soll die Gedenktafel nach zweieinhalb Jahren Vorbereitung nunmehr fertig beim Tiefbauamt zur Aufstellung liegen. Coronabedingt kann dies derzeit nicht erfolgen. Hätten die Arbeiter im Jahr 1918/19 ebenso gehandelt, dann wäre die Revolution wegen der Spanischen Grippe ausgefallen.


Edgar Mathe


Dies ist ein Artikel aus der Reihe „Andere Augsburger Orte“.


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