Durch einen Arier-Paragrafen kein Jude mehr im Sport-Verein

Jüdische Sportler auf dem Buchcover.



Die Ausgrenzung jüdischer Sportler durch die Nazis in Bayerisch-Schwaben


Die Nationalsozialisten ließen keinen gesellschaftlichen Bereich im Zusammenleben mit den Juden unzerstört. Bereits vor der Machtübernahme 1933 trennten sie ideologisch in die „Guten“(Arier) und die „Schlechten“(Untermenschen). Nach Ansicht der Rassisten waren ein Hauptfeind der Deutschen Volksgemeinschaft die Juden. Rechtlich vervollständigt wurde die „Entjudung“ mit den Nürnberger Rassegesetzen von 1938. Mit der Reichspogromnacht begann der größte Völkermord in der Menschheitsgeschichte.

Zwischen 1933 und 1938 gab es viele graduell unterschiedliche Unrechtsgesetze, aber auch völkisch konditionierte Verhaltensweisen um die Juden durch Boykott, Terror und Ausgrenzung gesellschaftlich zu ächten.


Die Ausgrenzung im Sport - anfangs mehr situativ als normativ


Markwart Herzog und Peter Fassl veröffentlichten Anfang 2021 einen Sammelband von Einzelforschungsergebnissen über Sportler jüdischer Herkunft in Süddeutschland (Kohlhammer, Stuttgart). Ein Teil des Buches widmet sich den Geschehnissen in Schwaben und Augsburg. In Einzelkapiteln werden die perfiden Methoden, oft auch ohne gesetzlichen Zwang zur Behinderung der Juden im Sportlertum, erläutert. Die Zerstörung von Mitglieder-, Vorstands- und Vermögensstrukturen zeigen drastisch die Gnadenlosigkeit der sog. Volksgemeinschaft.

Damals wie heute waren/sind Sportvereine mit die effizientesten Integrations-Multiplikatoren. Keiner fragte bis 1933 auf dem Fußballfeld ob der Augsburger Isidor Zimmer Jude war. Hauptsache der „famose Stürmer“ schoss Tore. Vorstände, Übungsleiter und akademische Sportdozenten wurden bis 1936 ebenso ethnisch nicht stigmatisiert wie Mitglieder in den Vereinen, allerdings mit zunehmender Diskriminierung. Für die jüdischen Bürger der Weimarer Republik war der Sport mit seinen leicht zu messenden Leistungs- und Erfolgsmerkmalen Maßstab für Integration und Gleichheit (Die Erfolge der sportbegeisterten jüdischen Jugend widerlegten auch das angebliche „Trägheitsgen der Ethnie“).

Dies änderte sich mit den Gleichschaltungsprozessen der Nazis, verdeutlichen die Autoren. Sukzessive wurden mittels Satzungsänderungen und Vereinskodizes die unterschiedlichen Sportarten arisiert. So waren noch 1933 beim TSV in Wertingen rund 12% der Mitglieder jüdische Sportler bei einem Bevölkerungsanteil von rd. 5 %.

Ein Jahr später, bedingt durch einen Arier-Paragrafen in der Satzung war kein Jude mehr im Verein. Auch in Augsburg erließ der Sportreferent Willy Förg (Beitrag von Georg Feuerer) ein Badeverbot in Sport- und Familienbädern „wegen Beschwerden, weil die Juden die notwendige Zurückhaltung vermissen lassen“. Dadurch wurde Sportschwimmen für Juden unmöglich.

Dennoch vollzog sich die Arisierung nicht direkt durch staatliche Verordnungen oder Gesetze. Es waren vielmehr vorauseilende devote Treuebekundungen der Verbandsfunktionäre gegenüber dem Regime die den jeweiligen Vereinen Ausgrenzung und Hinauswurf „dringend nahelegten“.

Entgegen der funktionärsgewählten Entrechtung der Juden in den Vereinen hatte das Reichspropagandaministerium, zumindest bis zur Olympiade 1936 ein Ansehens-Interesse damit Deutschland international als toleranter Staat wahrgenommen wurde und auf direkte Ausgrenzung öffentlich verzichtet.

Tennisplatz des TSG Hochzoll, früher Private Tennisgesellschaft Augsburg-


Wagenburg und Refugium


Frau Benigna Schönhagen deckt als Mitautorin ein für nahezu alle Augsburger im Alter unter 100 Jahren ein interessantes Erbe der jüdischen Sportkultur auf. Wohl keiner kennt die Geschichte der PTGA-Private Tennisgesellschaft Augsburg, es sei denn er ist Mitglied der TSG Hochzoll oder Historiker. Am Clubheim der TSG erinnert eine Tafel an die Existenz des zwischen 1925 und 1938 bestehenden Vereins.

Frau Schönhagens Text geht auf die akribische Arbeit von Herrn Gernot Römer, ehemaliger Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen, zurück. Er hat anhand von Zeitzeugenberichten, die Geschichte der PTGA aufgearbeitet. Mittels zweier Fotoalben, davon eines von Henry (Heinrich) Landmann, (von den Nazis vertriebenen jüdischen Augsburger, der als amerikanischer Besatzungssoldat am 28. April 1945 in seine ehemalige Heimatstadt zurückkam), wurde ein inmitten von den Nazis bedrohtem Umfeld ein vergleichsweise unbeschwertes Sportlerdasein dokumentiert.

Die PTGA entstand je nach Quellen in den frühen oder späten 1920ern als Tennisverein, gegründet von Heizstoffgroßhändler Leo Lehmann, unterstützt von anderen jüdischen Augsburger Kaufleuten (M.S. Landauer). Unabhängig der ethnischen Zugehörigkeit war Tennis zu dieser Zeit ein exklusiver Sport des gehobenen bürgerlichen Mittelstandes. Deshalb konnte die Interessengemeinschaft auch ein eigenes Grundstück erwerben. So war sie nach der Machtergreifung zumindest wirtschaftlich wenig erpressbar. Heute findet man die Urzelle des PTGA zwischen Alten Heuweg und Wilhelm-Hauff-Straße. Das vormalige Gesellschaftsgelände ist seit 1976 im Besitz des TSV Hochzoll.

Die Autorin beschreibt das Vereinsleben insbesondere nach 1933 als besonders intensiv und von hohem Zusammengehörigkeitsgefühl geprägt. Da nahezu alle anderen Augsburger Sportvereine ihre jüdischen Mitglieder ausgeschlossen hatten, unterstützte die jüdische Gemeinde die PTGA als Ort der Verdrängten. Entsprechend wurde das Spartenangebot ausgebaut und zusätzliches Freigelände dazugekauft. Leichtathletik, Fuß- und Feldhandball, Skifahren oder Tischtennis erweiterten das Angebot. Möglich war dies nur da der nicht im Vereinsregister eingetragene Verein durch die Verfügung zur Schließung aller jüdischen Vereinigungen vom 1933 nicht erfasst war.

Gedenktafel.



Die PTGA wurde zunehmend zum Hort und Zuflucht für unbeschwerte Freizeitgestaltung um dem wachsenden Hass gegenüber den Juden zu entfliehen. Vor allem Jugendliche sollten im Sport Selbstvertrauen aber auch Selbstbehauptung finden.

Der Verein verstand sich nicht als Förderer des Spitzensports, sondern wollte in diesen verheerenden Jahren durch Breitensportangebote identitätsstiftend sein. Bis zu den Novemberpogromen 1938, so Frau Schönhagen, konnte die PTGA im Gegensatz zu anderen jüdischen Sportvereinen die stark unter der zunehmenden Emigration litten, Spielbetrieb und Mitgliederzahl halten. Danach wurde der laut- und gewaltlos den Nazis Widerstand leistende Verein zwangsaufgelöst. Den Vorstand Joseph Landmann verhaftete die Gestapo und zog das Vereinsvermögen entschädigungslos ein.

Dank privater Bilder, Zeitzeugenberichten und der Analyse von Frau Schönhagen bietet dieses besonders lesenswerte Kapitel einen weiteren erschütternden Einblick in ein Stück dunkler Augsburger Geschichte.

Den räumlichen Bogen zum Untergang der jüdischen Sportkultur spannen Herzog/Fassl von Memmingen bis Offenbach/Hessen. Der Leser gewinnt einen aufschlussreichen Überblick zu den differenzierten Methoden der Vertreibung und Ausgrenzung jüdischer Bürger im Stadt-Land Vergleich und den einzelnen Sportarten.


Edgar Mathe





 
Sportler Jüdischer Herkunft in Süddeutschland
Aus der Reihe
Irseer Dialoge
Band 22
Markwart Herzog / Peter Fassl (Hrsg.)



Preis: EUR 29,00


ISBN / Artikel-Nr: 978-3-17-038583-2
Einbandart: kartoniert
Auflage: 1. Auflage
Seiten: 326
Illustrationen etc.: 55 Abb.

Mit Beiträgen von Belda, Dirk / Engelhardt, Christoph / Feuerer, Georg / Kapfer, Anton / Schäfer, Claus W. / Schönhagen, Benigna / Tobias, Jim / Voges, Dietmar-H.

Dr. Markwart Herzog, Religionsphilosoph und Sporthistoriker, ist Direktor der Schwabenakademie Irsee.
Dr. Peter Fassl, Historiker und Theologe, ist Heimatpfleger i. R. des Bezirks Schwaben.



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