Mehr Dialekte als Windkrafträder in Bayerisch-Schwaben

Der Kartenmacher Aventinus.


Neue Landkarten über schwäbisches Land und schwäbische Leute

„Hoi, des hab`i garnet gwusst“, so kommentiert der Schwabe ihm bislang unbekannte Informationen zwischen Neugierde und Gleichgültigkeit.

Genau so geht es dem Leser wenn er die 6. Ergänzungslieferung (Wißner Verlag, Augsburg) des Historischen Atlas durchblättert. Die Schwäbische Forschungsstelle Augsburg, als Einrichtung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften dokumentiert in Form von Landkarten die Entwicklungsgeschichte Schwabens und im Detail auch Augsburgs, räumliche Ränder wie Neuburg und Aichach-Friedberg sind eingeschlossen.

Wichtiges und Nebensächliches

Den historischen Atlas gibt es seit 1982. In regelmäßigen Abständen werden „landesgeschichtliche Basisinformationen sowie aktuelle Themen vermittelt“. Dazu bedienen sich die Herausgeber Frei/Hetzer/Kießling (+) der klassischen Kartografie. Old fashioned anstatt new files. In der Aufmachung erinnern die Einzelblätter an den Diercke Schulatlas in dem jahrzehntelang Pennäler trefflich nachlesen konnten, wo in Madagaskar der Pfeffer wächst, unverzichtbares Wissen für die Geografie-Klausur.

Energiegewinnung in Schwaben. Auch mit Windkrafträder.


So ist der Adressat der Karten aus Sicht der Autoren klar benannt, „ein breiter Kreis aus Verwaltung, Schule und für die Volksbildung“. Ansonsten dürfte die ansehnliche Hardcopy Ausgabe nur noch eingefleischte Historiker interessieren. Alle anderen Leser, sofern sie die teilweise grenzwertigen Informationen ( z.B. Karten zu Dauerlandgrün oder das Vorderösterreichische Postkommissariat Augsburg/Ulm) überhaupt aufnehmen, bevorzugen die Online-Version der bayerischen Staatsbibliothek.


Spannendes und Banales


Die wissenschaftlich akribisch zusammengetragenen Themen reichen von der frühgeschichtlichen Entwicklung der Kulturlandschaften und der politischen Geschichte im Mittelalter bis zur Kirchengegenwart. Mit mehr als 70 Karten vermitteln die Autoren seit den 1980er-Jahren ein Konvolut an Ereignissen, Strukturen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in Schwaben.

Verkehrs-, Wirtschafts- und Arbeitergeschichte werden nur kursorisch „bemappt“. Die Industrialisierung als Grundlage für die Demokratiebewegung von 1860 bis zur Weimarer Republik, finden sich (noch) nirgends. Gerade Schwaben mit den Textil- und Metallindustrien hätten eine historische intensive Betrachtung verdient. Dafür gibt es in epischer Breite fünf Karten zur Verwaltungseinteilung des Regierungsbezirkes Schwaben.

Dialekte in Schwaben.


Auch die 6. Lieferung des Historischen Atlas ist wieder eine Kartensammlung aller Wissenschaftsdisziplinen die sich mit Schwaben/ Augsburg befassen. Wenn auch die Inhalte unterschiedlich spannend sind, so präsentieren die Autoren verständliche ergänzende Texte. Die 17 Einzelkarten im angenäherten DIN-A3-Format übersetzen z.B. die Bedeutung der kleinräumigen Dorfstruktur für die Grundbuchordnung (Kataster) im 18. Jahrhundert anhand eines „verjüngten Maßstabs von 1650 Schuh“. Eine weitere Karte zeigt die schwäbischen Aufenthalte der Nobligen aus Adel und Klerus im Mittelalter, eine andere die ländlichen Zunftgründungen oder zum wiederholten Male die Ergebnisse der Reichstagswahlen von 1933. Beigelegt ist auch eine tischdeckengroße Generalkarte Schwabens von 1725 die in kaum lesbarer Wimmelschrift alle Ortsnamen dieser Zeit enthält.

Völlig seltsam ist die Karte zu den 172 schwäbisch-bayerischen Dialekten und seinen Varianten, die ohne beispielhafte Erläuterungen geliefert wird. Hätten die Autoren etwa den in Bayerisch-Schwaben unterschiedlich ausgesprochenen Begriff für Steine: “Stoiner Steana, Brogga“ den Sprachgebieten zugeordnet, dann wüsste der Nicht-Sprachenforscher, wo in Schwaben wie gschwätzd wird.


Gegenwart besser lesbar als Geschichte


Besser sind die Karten zur Verkehrs- und Energieinfrastruktur. Denkt man an die Energiewende, so liest man fast wehmütig welche Eisenbahnstrecken aufgegeben wurden und wenigstens teilweise reaktiviert werden könnten. Tatsächlich neu ist die Karte über die ca. 80 Wasserkraftwerke, 23 Solar- und 30 Windkraftparks. Da wirkt Schwaben durchaus zukunftsfähig.




Widmet man sich den allen Karten der 6. Lieferung angegliederten Klappentexten, dann findet man die Quellen des Respekt verdienenden Projektes, hochwissenschaftlich aus Promotions-, Seminar- und Historikerarbeiten zusammengetragen, eine Sammlung für Spezialisten.

Die Eingangsfrage bleibt: Wen interessiert es sonst noch?


Edgar Mathe

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Die besprochenen Karten können hier bestellt werden.

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