Hausbesetzer im US-Offiziersclub

Der singende Cowboy Fred Rai im Offiziersclub.


La Cucaracha

Zwangsräumung! Das Horrorszenario für alle Mieter, Nutzer und Hausbesetzer. Mittels hoheitlicher Gewalt aus dem angestammten Zuhause vertrieben zu werden ist ein Alptraum. So ging es im Jahr 2002 den letzten Nutzern des US-amerikanischen Offiziersclubs an der Leitershofer Straße. Gerade erst hatte die Stadt Augsburg die Sheridan-Kaserne von der Bundesvermögensanstalt als sogenannte Friedensdividende, als Folge des zu Ende gegangenen „Kalten Krieges“, erworben.

Dazu gehörte auch der Offiziersclub am südlichen Ende der Kaserne. Der Club war mehr als 50 Jahre gesellschaftlicher Mittelpunkt der US-amerikanischen Präsenz. Er war Repräsentationsort als Hotel und Veranstaltungshalle mit Großküche.

Ehemalige Küche.

 
In letzterer spielte sich das Räumungsdrama ab. Wie überall, wo in Großküchen Nahrungsmittel verwahrt werden, gibt es ungebetene Gäste. Hier wuselten auch nach dem Großen Zapfenstreich zur Verabschiedung der US-Soldaten noch Amerikaner herum. Zugewandert sind diese ungewöhnlichen Besatzer meist aus den Südstaaten der USA aber auch aus Südost Asien wo große US-Stützpunkte waren. Ihre klimatische Heimat sind die feuchtwarmen Gegenden. Meist in Materialcontainern wie Kücheneinrichtungen aber auch in Möbeln überquerten sie den Großen Teich, um in den Lagerräumen des Offiziersclubs heimisch zu werden.


Die Periplaneta Americana (Amerikanische Küchenschabe) wollte partout nicht die Koffer mit den Speisekrümeln packen. Johannes Kneißl, langjähriger Haustechniker für US-Liegenschaften, spricht von bis zu 7 cm großen Exemplaren die so gar nichts mit der Blattella Germanica (Deutschen Küchenschabe) gemeinsam haben. Die „Amis“ sind viel größer - wie alles in den USA, Häuser, Autos, Regentropfen oder Blinddarmnarben - schneller und widerstandsfähiger, weil Ihr Chitinpanzer dick-krustig ist. „Kurz drauftreten ist nicht, die tragen dich davon wie auf Rollschuhen“, so Kneißl in einer nicht ganz ernst gemeinten Artenbeschreibung. Nicht einmal Kälte bedroht die Biester. Manchmal, erläutert Kneißl, rannten sie aus einem tagelang verschlossenem Kühlschrank auf und davon. Hinterherhetzen, um sie einzufangen war ebenso erfolglos wie einen Sprint gegen Usain Bolt zu gewinnen. Letztlich hilft nur der Kammerjäger mit geballter Chemie um die „Gestalten“ zum Auszug zu bewegen - tot oder lebendig. Mittlerweile ist der Offiziersclub geräumt.


Bemalte Fliese.


Dunkle Geschichte

Das US-Army Offizierscasino geht auf die Deutsche Wehrmacht zurück. Als die Nationalsozialisten ab 1934 in Augsburg mit der militärischen Aufrüstung begannen, wurden im Westen von Pfersee drei Kasernen gebaut. Dazu gehörte auch ein Repräsentationsbau für den militärischen Führungsarm des Naziregimes. Eine monumentale Kathedrale der Macht entstand. Innen wie außen sollte durch Architektur und Baumaterialien die Unzerstörbarkeit des „Tausendjährigen Reiches“ gezeigt werden. Drinnen düster durch Holzkassettendecken gestaltet und außen mit den Stilelementen einer mittelalterlichen Trutzburg errichtet, vermittelt das Gebäude auch heute noch das Selbstverständnis der deutschen Wehrmacht. Bestes Beispiel ist der Festsaal mit seinen raumhohen Fenstern die aber nur bei direkter Sonneneinstrahlung Helligkeit in den Raum lassen. Nahezu eine ganze Wand ist mit einem 3 x 4 m großen Gemälde verhängt, das den heldenhaften Kampf der christlichen Ritter gegen die heidnischen Ungarn im Jahr 955 auf dem Lechfeld zeigt. Dieses martialische optische Monster wurde in den 1950er-Jahren mit einer US-Highway Szene amateurhaft übermalt bald aber wieder in den Ursprungszustand, sehr zur Freude der Denkmalschützer, zurückgeführt. Oberhalb der nördlichen Festsaalwand befand sich hinter drei Wandöffnungen der Musikraum. In dem klimperte ein faktisch unsichtbarer Klavierspieler zur Erbauung der Offiziere.

Bilder vom Weinkeller.

Im Keller der damaligen Wehrmachtrepräsentanz gab es ein Trinkgewölbe und Kartenspielräume. Entsprechend der „gehobenen Nutzer“ stattete die Militärbauadministration die Räume aus. Holzvertäfelungen oder ein mit Schafkopfkarten-Motiven geschmückter Kachelofen erfreuten die deutsche Offiziersseele. Selbst nach mehr als 80 Jahren gruselt sich der Besucher vor solcher Tümelei.

„Schmerzfreie“ Nutzung durch die US-Armee

Mit Kriegsende und Übernahme der Augsburger Kasernen im Jahr 1945 bekam das Wehrmachtkasino eine neue Nutzung. Rang und Titel der Nutzer änderten sich nicht. Die amerikanischen Offiziere zogen ein. Sie hatten keine Berührungsvorbehalte mit den Naziattributen und nutzen das Casino genauso wie die Vorgänger.

Im Hintergrund die Ungarnschlacht.

Finanziert über das Besatzungstruppenstatut bauten die Amis einen wunderschönen Ballsaal dazu. Anderes blieb unverändert, die Wandmalereien dräuen ebenso wie das Schlachtengemälde und weitere Insignien der Nazis. An manchen Stellen des gruftigen Zugangs zum Weinkeller finden sich doch Verhübschungen des American Way of life. So hat der dort aufgemalte Kellermönch seine Monsur in Waagrecht- und Senkrechtlinien, die genau betrachtet die Worte „good evening“ lesen lassen.
Die Hausbar.

Die amerikanischen Militärführungskräfte feierten anfangs unter sich. Mit fortschreitender Annäherung und der zunehmenden Bedeutung Deutschlands im Kalten Krieg trafen sich im Offiziersclub auch viele Augsburger im Rahmen der gemeinsamen Einrichtungen wie der Deutsch-Amerikanischer Frauenclub zu Jahresbällen des Standorts oder Konzerten der Militärbands. Country- und Westernbands traten auf. Der örtliche Berufs-Cowboy Fred Rai ritt singend auf seinem Pferd "Spitzbub" durch den Saal. Das Pferd hatte über dem Schweif einen „Bollasack“ gebunden, damit es im Falle des Verlustes von festen Stoffwechselendprodukten nicht den edlen Veloursteppichboden im Ballsaal verschmutzte.

Ungeklärte Zukunft

Im August 1998 war Schluss. Der US-Standort Augsburg wurde aufgegeben und mit ihm der Offiziersclub, da half es auch nichts, dass noch 1989 für viel Geld im Hoteltrakt drei Generalsuiten neu eingerichtet wurden. Seitdem wird das große Gebäude nur sporadisch für Veranstaltungen genutzt. Meist sind es Architektentreffen oder Bürgermeetings in Sachen Stadtentwicklung. Nur einmal, zu Beginn der 2000er-Jahre schrieb sich der Offiziersclub in die Öffentlichkeit als eine völlig überfüllte Silvesterfeier im Chaos endete. Die Veranstalter verkauften zu viel Eintrittskarten und besorgten zu wenig Essen, sodass die hungrige Meute schon weit vor Mitternacht renitent wurde, jakobinisches Verhalten an den Tag (Nacht) legte und den überforderten Veranstaltern an die Gurgel wollte.

Die US-amerikanische Küchenschabe, gefunden im Augsburger Offiziersclub,
wurde eingegossen.


Gegenwärtig sucht die Stadt Augsburg für das denkmalgeschützte Objekt einen Investor. Das ist nicht einfach, da jede wirtschaftliche der historischen Nutzung gerecht werden muss. Für eine ertragbringende Revitalisierung bedarf es großer Eingriffe in die Bausubstanz unter den Restriktionen des Denkmalschutzes. Dies bleibt für die Stadt Augsburg ein schwieriger Prozess. Dennoch lohnt es zu warten, bis der richtige Investitionsprinz kommt und das bauliche Dornröschen wach küsst.

Vielleicht spielt dann eine Mariachi-Band das Lied von der Küchenschabe: "La Cucaracha".

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Der Offiziersclub kann nur mit Erlaubnis der Stadt Augsburg oder zu besonderen Anlässen wie am Tag des offenen Denkmals besichtigt werden.


Edgar Mathe


Bildquellen: Autor

Dieser Artikel erscheint in der Reihe - Andere Augsburger Orte (Teil 5)


Eingang zum Offiziersclub.

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