MAN-Stahlhäuser auf Römergrund

Am Augsburger Pfannenstiel, vermuteter Ort des Römischen Statthalterpalastes.


Leerstehende MAN-Stahlhäuser im Dornröschenschlaf unterhalb des Statthalterpalast-Geländes.



Erstochene Römer und verhungerte Kelten


Wenn man vom  Augsburger Fischertor aus den Pfannenstiel hinuntergeht bewegt man sich auf historischem Boden. Hinter den Häusern am östlichen Straßenrand krauterten und scharrten  die Fabrikler aus Augsburgs bedeutendem Metallunternehmen in ihren Schrebergärten. In den 2000er-Jahren wollte der MAN Konzern die Flächen zur Wohnbebauung verkaufen und beendete die Gartennutzung. Wie bei jedem inner-städtischen Planungsvorhaben wurden die Archäologen konsultiert. 


Die Freude bei den Augsburger Nachfolgern Schliemanns (Troja-Entdecker) war überschwänglich, bei der MAN eher verhalten.  Hatte man doch den Statthalterpalast der römischen Provinz Raetia entdeckt. Am nördlichen Ende der sog. Endmoräne von Lech und Wertach an der Augsburger Oberstadt soll nach der Aufgabe des Heerlagers in Oberhausen die opulente römische Stadt Augusta Vindelicum entstanden sein. Oberhausen war offensichtlich schon vor 2000 Jahren  ein Ort den man verließ sobald es möglich war.


Zwischen Thomm- und Buzstraße suchten alsbald „die Kollegen mit Besele und Schäufele“ nach den erstochenen Römern und verhungerten Kelten zum Nachweis der „Genese der Augsburger Siedlungsgeschichte“. Es wurde nichts aus der Wohnbebauung des im MAN-Arbeiterjargon  so genannten Feldherrnhügel (auf ihm standen die Direktorenvillen der Konzernvorstände) und der hoch gelegenen Schrebergartenfläche. 


Aber auch von der Freilegung des schwäbischen Machu Picchu ist nichts zu sehen. Nach anfänglicher wissenschaftlicher Euphorie kam die wirtschaftliche Ernüchterung, zu wenig Aurei (Goldmünzen) waren im  kommunalen Haushalt für die Grabungen verfügbar. Derzeit schlendert man über eine Blumenwiese die gelegentlich, so die städtische Hinweistafel von diversen Rindviehern bekäut wird. Folglich ist über den Statthalterpalast im Wortsinn Gras gewachsen.


MAN Produkte - Ideenreich und ungewöhnlich


Dagegen viel zu sehen, aber gut versteckt, gibt es im nur einhundert Meter weiter dicht wuchernden Großstadtdschungel. Das üppige Grün reicht bis zur Sebastianstraße mit seinen ehemaligen Arbeiterwohnungen. Wenn man sich von dieser Seite nähert entdeckt man ein Highlight Augsburger Ingenieurkunst, die sog. Stahlhäuser. Die vier Einfamilienhäuser in unterschiedlichen Größen waren Ende der 1940er und zu Beginn der 1950er Jahre etwas ähnliches wie die Musterhaus-Ausstellungen der heutigen Fertighausanbieter. Die MAN offerierte kurz nach dem 2. Weltkrieg  in Konkurrenz zu den  Holzbaracken und einfachen steinernen Hütten der Bauindustrie „etwas Solides“.


Häuser und Wurstmaschinen anstelle von Kanonen

 

Jeder deutsche Großkonzern der für die Nazis tätig war, so baute beispielsweise  MAN-Augsburg fast alle U-Boot Dieselmotoren und lieferte Spezialgeschütze für die Wehrmacht, wurde  von den Siegermächten zerschlagen.. Den Einzelunternehmen wie Waggon-, Brücken- und Dieselmotorenwerke blieb danach nichts übrig als ab 1945 neue „friedliche Produkte“ zu entwickeln. 

Häuserbau ist auf den ersten Blick ein ungewöhnliches Geschäftsfeld für einen Dieselmotoren- und  Druckmaschinenproduzenten. Ebenso wie die Nähmaschinenherstellung oder der Kabinenroller beim Flugzeugbauer Messerschmitt, entsprang die Idee des Häuserbaus der gesellschaftlichen Not im vom Krieg zerstörten Deutschland. Die MAN lieferte  was gebraucht wurde, erfand eine Wurststopfmaschine, baute Ackerdiesel oder  Küchenherde. 


Die Wellblechgarage -- Urahn der Stahlhäuser


Schon 1925 entwarf der MAN Ingenieur Heinz Bauer Tragwerkskonstruktionen  für  Wellblechgaragen oder Gewerbehallen. Dabei standardisierte er die Rastermaße.  Aus der Verbindung von einzelnen Elementen entstand ein „wachsendes System“ mit vielen variablen doch sich wiederholenden  Abmessungen. Die Stahlhäuser waren alle 8m breit aber bis zu 12m lang. Im Meter-Abstand folgten die jeweiligen Zwischenträger. Verbunden wurden sie außen mit ebenfalls standardisierten 1mm starken Metallplatten ( KFZ-Bleche haben im Vergleich dazu nur 0,7mm) und den Aussparungen für Fenster und Türen. 


Geniales Rastersystem schafft Platz für Familien


Das stabile Metallskelett erübrigte Innenstützen. Die Raumaufteilung konnte deshalb  fast beliebig gestaltet werden. Gedämmt waren die Gebäude mit dicken Glasfaser- matten die auch heute noch den durchschnittlichen Energiewerten genügen. Dagegen waren die zeitgenössischen Ziegel- und Holzhäuser mit  26cm Wandstärken nur Frostbuden. Die Gebäude wurden zwar in Augsburg entworfen, der Bau erfolgte jedoch im Werk Gustavsburg-Mainz, dem Zentrum für Stahl- und Brückenbau. Zwischen 1949 und 1952 verkaufte die MAN ca. 250 dieser Häuser.

 

Je nach Dachstuhlneigung konnte das Obergeschoss ausgebaut werden und bot mit seinen im besten Fall ca. 120qm Nettowohnfläche Platz für eine sechsköpfige Familie (Die Reihenhäuser der frühen 50er Jahre hatten nur ca. 85-90qm).

Eine grandioser Idee zur Beseitigung der Nachkriegswohnungsnot, wäre da nicht der Preis mit ca. 20000 DM doppelt so hoch wie der eines steinernen Reihen- oder Holzhauses gewesen. Deshalb verkauften sich die Häuser nicht häufig. Nur „Sehrgutverdiener“ konnten sich die stabilen und wertigen Gebäude leisten. 

Die Vorzeigeobjekte im Grün der Thommstraße stehen leer. Selbst die steuerlichen Vorzüge der unter Denkmalsschutz stehenden Gebäude sind nicht genug Anreiz  zur Revitalisierung. Bis ca. 1995, nach Aussagen eines ehemaligen leitenden Mitarbeiter des Konzerns, lebten sogar Vorstände der MAN Maschinenbau AG in den Häusern.



Der letzte Mohikaner


Eines der formidablen Häuser im Augsburger Raum wird noch genutzt. In Leitershofen bewohnt die  Familie Jandl das Fünf Zimmer Haus. Am Berg gelegen steht es auf einem Kellerfundament welches durch die Hanglage das renovierte Haus prominent zur Geltung kommen lässt. Kantig, praktisch, gut. Als der freundliche  Herr Jandl anlässlich einer Besichtigung die Tür öffnete, war der erste Eindruck kein optischer, sondern ein olfaktorischer. Das mehr als 70jährige Gebäude muffelt nicht und kein Grabesgeruch entspringt dem Treppenabgang wie bei gemauerten Häusern vergleichbaren Alters. Herr Jandl begründete dies mit dem stählernen Wandaufbau. Während gemauerte Häuser, dies bestätigte ein Bausachverständiger alle Pollen, Flusen, Ausdünstungen von Innen und Außen aufnimmt und  geruchlich wie ein alter ungewaschener Wollpulli wiedergibt, sorgt die metallene Außenfassade, die übrigens rostfrei ist, für gutes Klima. 


Das letzte bewohnte Stahlhaus der MAN Augsburg.

Eigentümer Herr Jandl auf dem original Parkettboden.


Ein Original und Modell für Deutschlands „Grüne“ Zukunft ?


Die Innenräume sind nutzungsgerecht aufgeteilt, der gepflegte Parkettboden ist noch aus dem Baujahr 1950. Die Haustechnik wie Heizung, Elektrik und Bad erinnern an das Entstehungsjahr sind aber in Topzustand  und funktionieren gut. Die Familie Jandl hat das Haus vor Jahren von den Kindern des Erstbesitzers, eines  ranghohen MAN-Mitarbeiters, erworben. Sie wohnen gerne im Stahlhaus und pflegen es sorgsam. Es ist heimelig, einzigartig und robust. Eine Aussage des damaligen Werbeprospektes meint Herr Jandl stimmt nicht. „Montieren Sie Ihr Haus selbst, ein Mann genügt !“.  „Die Stahlplatten sind  zu schwer“, erläutert Herr Jandl, „und fallen deshalb dem Monteur ohne Abstützhilfe durch einen Zweiten auf den Kopf“.


Filigrane Dachkonstruktion.


Original Innendämmung.


Dennoch, sollte sich Deutschland nach der Bundestagswahl in eine „grüne“ Besserungsanstalt verwandeln, muss das Stahlhaus eine gebotspolitische Renaissance erleben.  Es ist nachhaltig, weil seit mehr als siebzig Jahren unverwüstlich und auch teuer („grün“ muss man sich leisten können), energetisch optimal, dazu nicht aus Erdölprodukten entwickelt. Das Fertighaus zeigt in großer Stückzahl gebaut, schnell die Erfolge eines gesellschaftlichen Umbaus im Sinne wohlmeinenden Bevormunder..  Außerdem können es zwei vegan ernährte Baumänner*frauen  auch ohne praktische Erfahrung aufstellen. Es sei denn, deren arbeitsbedingter Flüssigkeitskonsum aus gewaltfrei geerntetem Bachblütentee verhindert den mineralisch notwendigen Muskelaufbau.


Kein Rost.

Stahlhaus an der Bergstraße in Leitershofen.


Edgar Mathe 


Dieser Artikel erscheint in der Serie „Andere Augsburger Orte“, Teil 6 


Bilder: Alle Autor

Textquellen: "40 Jahre MAN-Technologie, Von Ideen und Erfolgen".


Urahn aller Stahlhäuser: Die MAN Wellblechgarage.


Kommentare