Schwarzhändler, Schmuggler und Raufbolde in Augsburg`s Little America

Daniel Cermak als Military Police im Wachhaus der Sheridan Kaserne 1970.



Unverzollter Whisky

Die Vernehmungsvorladung der deutschen Zollpolizei für Herrn E. kam unerwartet. E. betrieb vor dem US-amerikanischen Einkaufszentrum PX (heute die Seniorenresidenz Albaretto) einen Gebrauchtwagenhandel. Er wurde beim Army Department-Customs, Military Police, angezeigt, unverzollten Whisky entgegengenommen zu haben, „... drei Flaschen amerikanischer Whisky wurden von US-Soldaten in den Wohnwagen von Herrn E. getragen und die Soldaten kamen ohne diese wieder heraus ...“


Little America

„Alltag der frühen 1970er Jahre in den US-Quartieren“, so Daniel Cermak der zu dieser Zeit Militärpolizist(MP) in der Sheridan Kaserne war. Nach seiner Erinnerung futterten zur Thanksgiving Zeit „viele Bürger Pfersees und Kriegshaber“ unverzollte Truthähne und tranken Spirituosen ohne deutsche Zollbanderolen.

„Dan the man“ (D. Cermak) fuhr mit seinem jüngeren Partner „Steve the boy“ (Steve N.) regelmäßig Streife durch das Little America in Augsburg, oft auch mit deutschen Kollegen um die lässlichen und mittleren Delikte im Zusammenleben der GIs, (Goverment Issue = Eigentum der Regierung) untereinander und mit den Augsburgern zu klären. Gewaltverbrechen, wie Morde lagen im Zuständigkeitsbereich des Criminal Investigation Command-CID.

Das Streifengebiet von Dan Cermak umfasste fast den gesamten Augsburger Westen. Die heute umgewidmeten Quartiere, Kasernen und amerikanischen Versorgungseinrichtungen wie PX (Warenhaus), Commisary (Lebensmittel) oder Quatermaster Supply (Militärwaren) hatten rd. 200 ha Fläche. Die entspricht in etwa der gesamten Altstadt Augsburgs.

Ex Militärpolizist Daniel Cermak bei seinem Augsburg-Besuch 2019.



Peter Nardo`s Areal Plan

Da sich nach fast 25 Jahren ohne US-Soldaten in Augsburg nur noch Zeitzeugen an diese Aera erinnern, entwarf der Architekt Peter Nardo einen Liegenschaftsplan zu den wichtigsten, skurrilsten und besonderen Orten amerikanischer Präsenz. Nardo hat den Plan als Wanderweg angelegt. Man kann sich mit dem Rad oder zu Fuß von Nordwesten, beginnend bei der Kapelle in der ehemaligen Flak-Kaserne in Richtung Reesepark aufmachen. Nardo erläutert in Stichworten (Broschüre folgt), die Bedeutung der ausgewählten Orte. Vom US-Hospital über die Motorpools, heute von der Kriegshaber Feuerwehr genutzt, bis zur vorgenannten Chapel in der nach Abzug der GIs die Augsburger Band „The Seer“ eine CD aufgenommen haben, reichen die Hinweise. Man kann dem Weg mit seinen steinernen Erinnerungen bis zum Sheridan Quartier folgen und entdeckt immer wieder faszinierenden Artefakte des mehr als 50jährigen Präsenz der US-Amerikaner in Augsburg.

Ehemaliger Kasernen-Zaun bei der ehemaligen Gaststätte Heimgarten,
deren Namen noch als Tram-Haltestelle präsent ist.



Einblick in den amerikanischen Lifestyle

Peter Nardo`s Plan führt die Interessierten auch durch das letzte im baulichen Originalzustand erhaltene Wohnquartier Centerville Nord, vorbei an High- und Elementary School (Grundschule), in das Sheridan Areal. Dort endet der Weg am Offiziersclub, nachdem man die frühere Standortkommandantur und den heute noch genutzten Kindergarten passiert hat.

Nardo empfiehlt einen Besuch im Neuen Amerika Haus im Gebäude 116. Dort ist seit 2020 die für Augsburg bedeutende Geschichte der amerikanischen Militärpräsenz in einer temporären Ausstellung dokumentiert. Leider sind die Öffnungszeiten sehr eingeschränkt, wie überhaupt der Eindruck entsteht daß nach anfänglichem Schwung die Akteure von Amerika in Augsburg und die American Car Friends in der Fortführung und auch inhaltlich etwas ermattet sind.

Daniel Cermak im Manöver.


Seltsame Adressen

Peter Nardo`s Plan enthüllt auch Kryptisches. So kennt außer den damaligen Taxi-Chauffeuren niemand die Abholadresse „Heimgarten über`n Zaun“ an der Ecke Ulmer/Langemarckstraße. Dorthin bestellten die US Soldaten, wenn sie sich am Wochenende zur Bar-Tour ins Augsburger Nachtleben aufmachten, das Taxi. Dabei sprangen sie über den 2 Meter hohen Zaun, um schneller aus der Kaserne zu gelangen. Ansonsten hätten sie den langen Weg von den Mannschaftsgebäuden über das Kasernentor nehmen müssen, Auslass- und Einlasskontrolle eingeschlossen.

Schreiben wegen angeblich unverzolltem Whisky.


VW Käfer als Schmuggler Wagen

Für Ex-Militärpolizist Daniel Cermak war der sogenannte Gate-Job eine zweischneidige Sache. Einerseits musste er für Sicherheit in der Kaserne sorgen, andererseits sollten die Privates und NCOs (Soldaten und Unteroffiziere) auch einen vertretbaren Freiraum haben. Um den auszunutzen waren die GIs erfinderisch. So wußten sie, daß der VW-Käfer den Kofferraum vorn hatte und dies in den 60er Jahren in den USA nicht allgemein bekannt war. Der ideale Schmugglerraum, da die Militärpolizisten lange Zeit nur US-Fahrzeuge kannten, die hatten den Kofferraum hinten. Und auch für die deutschen Frolleins, die die Klubs der Kaserne besuchen wollten war der Käfer mit seinem ungewöhnlich großen Stauraum hinter der Rückbank zum Verstecken geeignet um das Einlassverbot zu umgehen.

Architekt Peter Nardo



Rassismus, Drogen und Off Limits

Es gab auch große Probleme im Zusammenleben der GIs untereinander, so Daniel Cermak. Der alltägliche Rassismus und das Drogenkonsum waren für die Militärpolizei ein schwer zu lösendes Problem. Kamen Soldaten nach ihrem Vietnameinsatz zum „cooling down“, also vor der Heimreise in die USA nach Augsburg, waren sie oft überdreht, aggressiv und normenfern. Sie brachten das Gesetz des Dschungels mit. Cermak berichtet von einem völlig zugedröhnten Soldaten, zu dem sie aufgrund einer Schlägerei gerufen wurden. Er ließ sich nicht festnehmen und sprang lieber vom ersten Stock aus dem Fenster. Dabei brach er sich beide Beine.

Die für US-Amerikaner zugänglichen Gasthäuser, Kneipen und Bars waren streng nach Rasse getrennt. Das Playboy (Pfersee), Las Vegas oder die Bounty Bar (beide Oberhausen) besuchten ausschließlich die Nicht-Weißen (damals von den Augsburgern auch gerne als "Neger" bezeichnet, jetzt politisch korrekt: POC-people of Colour). Andere Musikgaststätten wie die Tenne (sprich: Tienie-Bar), Bonanca, Pussy Cat oder die Uno Bar waren den Weißen vorbehalten. Nicht wenige Gaststätten in Augsburg verbaten sich mit dem „Off Limits“ Hinweis insgesamt sogar den Besuch von GIs. Das war nicht rassistisch gemeint sondern nur Selbstschutz vor zerkleinertem Mobiliar, blutigen Gästenasen und blauen Augen.


Kings Club: Home of the Hillbillys

In der Dienstzeit von Daniel Cermak Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre gab es eine Kneipe die ihm besonders in Erinnerung blieb. Der Kings Club am Oberhauser Bahnhof. So wie Bayern die besonderen Deutschen sind, waren unter den weißen GIs auch Soldaten aus den Mittelgebirgen der Appalachen, den Wäldern um die Ozarks und den Sümpfen Louisianas. Diese Jungs galten als besonders trinkfest, streitlustig und schmerzunempfindlich. Meist um den Payday, Zahltag für den Sold, der durch den Wechselkurs 4 DM/1$ den US Soldaten zu einem üppiges Budget verhalf, gab es mit zunehmender Nacht und Alkoholpegel im Kings Club auch zunehmende Meinungsverschiedenheiten. Die Auslöser waren nichtig, aber ehrenhaft. Mal war es ein Streit um Höflichkeiten gegenüber deutschen Mädchen, mal um Wetteinsätze oder dumme Bemerkungen zu militärischen Fähigkeiten der einzelnen Waffengattungen.


Der frühere Kings-Club, heute ein Spielsalon auf einer Anhöhe beim Oberhauser Bahnhof.



„All on board“

Spätestens nach 2 Uhr morgens wurden die Diskussionen handgreiflich. Die Taxifahrer am Standplatz gegenüber am Oberhauser Bahnhof hatten Logenplätze, denn man hörte das Schreien und Brüllen der Kombattanten auch vor der Gaststätte. Fäuste flogen, jetzt war klar, so Militärpolizist Cermak, wurde vom Wirt die MP gerufen. Die kam schnell und lautlos meist mit farbigen und weißen Polizisten im Team damit sich keiner der Streithähne bei der Festnahme diskriminiert fühlte. Die Einsatzwagen waren ein Jeep und ein Fünf -Tonner Army-Truck mit offener Pritsche. Der fuhr zum Club die Einfahrt hoch, stellte sich nahe an die Hauswand und die Friedensstiftung ging los. Die MP stürmte die Gaststätte ,die Taxler unten hörten das Geschreie und Geplärre der GIs, schwupps öffnete die MP die Fenster im 1. Stock der Kneipe und warf die Raufbolde, nicht ohne vorher ihnen eins mit dem Holzknüppel über zu ziehen, auf den Lastwagen. Die Fallhöhe war durch die Ladepritsche nicht hoch, der Schmerz durch den Knüppel schon. Die Gemüter beruhigten sich und der Sergeant gab mit dem amerikanischen Eisenbahner-Ruf: “All on board !“ Befehl zur Abfahrt.

Peter Nardo hat die auch diese spektakulären Orte des Little America in Augsburg in seiner Wegkarte aufgenommen.


Unverzollter Whisky-pragmatische Lösung

Ach ja, das zu Beginn des Artikels beschriebene potentielle Zollvergehen, kein US-Whisky außerhalb der US-Liegenschaften an Nichtberechtigte, löste sich pragmatisch. Bei der Vernehmung von Autohändler E. gab dieser zu Protokoll, daß seine später in den Wohnwagen gekommenen beiden US-Freunde die drei Whisky-Flaschen alle am Nachmittag geleert hatten. Einstellungsvermerk des deutschen Zolls: „Gegenteil können wir nicht nachweisen“.


Edgar Mathe


Bilder: Privat

Quellen:

Interview mit Peter Nardo, Augsburg und Daniel Cermak, St. Paul Minnesota USA

Dieser Artikel erscheint in der Serie „Andere Augsburger Orte Teil 10“

Die Buchhandlung am Obstmarkt veranstaltet Führungen entlang des „Little America in Augsburg“

Der Liegenschaftsplan ist gegen Schutzgebühr über die Chefredaktion der Neuen Augsburger Rundschau von Peter Nardo zu erhalten


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