Georg Klein: Augsburg-Roman mit Zeitungschefin mit heimlicher Liebes-Beziehung zum Sportredakteur

Flüstert Georg Klein dem Literatur-Kritiker Wolfgang Schütz die Lösung eines Räsels zu?
(Foto: Lima423)

Bruder aller Bilder" ist ein weiterer Augsburg-Roman von Georg Klein, wenn die Leser seinen früheren "Roman unserer Kindheit" dazu rechnen, der sich um das Leben im Augsburger Stadtteil Bärenkeller dreht. Hier soll Georg Klein, der 1953 in Augsburger geboren wurde, seine Kindheit verbracht haben. Manche Leser wie die Kinderbuch-Autorin und -Illustratorin Daniela Kulot liefen sogar im Bärenkeller herum, um die Szenen im Roman nachzuspüren, die sich in den 1960ern abspielen. Die Kritikerin der Frankfurter Allgemeinen schrieb zum Bärenkeller-Roman: "Intimer Kosmos einer Kindheitserinnerung. Und dann hat er es gären, zischen und blubbern lassen und es seinen Lesern überlassen, in die braunrote Brühe aus Staub, Blut und Gebein hinabzusteigen." Wobei die FAZ-Schreiberin Katharina Teutsch fälschlicherweise davon ausgeht, dass es sich um einen Ruhrpott-Roman handelt, da die Siedlung Bärenkeller "am Rande von Oberhausen" liegt, wobei Teutsch nicht erkennt, dass es sich um den Augsburger Ortsteil Oberhausen handelt und nicht um die Stadt Oberhausen im Ruhrgebiet. Mit der Überschrift "Wenn die Stollen trauer tragen" unterstreicht sie ihren Geo-Fehler.

In seinem neuesten Roman "Bruder aller Bilder" hat Georg Klein unmissverständlich seine Geburtsstadt zwischen Lech und Wertach als Handlungsort hergenommen. Die Hauptrollen darin spielen vier Menschen: die junge Journalistin Monika Gottlieb, der Sportredakteur Addi Schmuck, die Zeitungschefin und der "Auskenner". Erwähnt werden so typische Augsburg-Dinge wie das Marionettentheater Puppenkiste, das Zentralklinikum, das alte Flugplatzgelände, der Siebentischwald, die Zeitung Allgemeine und vor allem das Rosenaustadion. Das Stadion, das zwischen Schrebergärten, Park und Wertachkanal liegt, gebaut aus Schutt, beschreibt Klein mit viel Liebe und Sorgfalt. An ihm scheint sein Herz zu hängen. 

Monika Gottlieb, die Klein meistens MoGo nennt, ihr Kürzel als Journalistin bei der Allgemeinen, hat als Schülerin im Rosenaustadion einen Laufwettbewerb gewonnen, barfuß. Sportreporter Schmuck, ein Flaneur, der schon länger eine Liebesbeziehung zu seiner Jaguar fahrenden Zeitungschefin unterhält, die geheim ist, will eine Woche die Jungjournalistin neben sich haben. Es scheint um die Recherche zu einem Artikel zu gehen. Sie besuchen den "Auskenner", der unter merkwürdigen Umständen in einer zugewachsenen Halle am Rande des Siebentischwalds lebt.

Genau durchschaubar ist die Handlung des Klein-Romans nicht, der wie ein ruhiger Fluss dahinfließt. Mehr erholsam meditativ als aufregend. Keine Figur darin ist richtig böse. Wenn der Schönheitschirurg Feinmiller mit groben Wollsocken seiner Nachbarin MoGo näherkommt, dann schimmert ein wenig Dreiecks-Erotik durch, denn dieser kümmert sich mit seinem Skalpell um das Aussehen der Zeitungschefin. Versteckte Erotik zwischen den Zeilen taucht auf, wenn Klein den Morgenmantel auf der nackten Haut des Sportredakteurs beschreibt, der mit Pflanzen und Vögeln bedruckt ist und auseinanderklafft, wenn er seine Geliebte küsst. Weitere Rollen spielen in "Bruder aller Bilder" eine Katze mit ausfallenden Haaren, eine Zeitungssekretärin, eine Sportlehrerin und MoGos Mutter, die verstorben ist. Redet sie mit ihrer Tochter aus dem Jenseits? Damit sind Klein einige Roman-Helden mit mehr oder weniger skurrilem Charakter gelungen. Klein ist wahrlich ein Meister der geschliffenen und detailreichen Sätze. Nicht umsonst bekam er dafür schon etliche Literaturpreise: 1999: Brüder-Grimm-Preis der Stadt Hanau, 2000: Ingeborg-Bachmann-Preis, 2010: Preis der Leipziger Buchmesse (Kategorie: Belletristik) und 2012: Niedersächsischer Staatspreis.

Judith von Sternburg, die Rezensentin der Frankfurter Rundschau meint: Der Autor umkreise in seinem so raffinierten wie traurigen Rätselroman, der gleichzeitig auch Augsburg- und Redaktionsroman sei, viele verschiedene Dinge, vor allem aber den Tod. Die zahlreich beschriebenen Gänge und Untergründe der Stadt erinnern an seinen "Roman unserer Kindheit" und auch die für sein Schreiben typischen und virtuos eingesetzten Motive, darunter vor allem Uhren, Durchgänge, Pflanzen und Tiere.

Vielleicht bringt der Rowohlt-Verlag beim Klappentext einige Sätze aus dem Roman, damit wir den Satz-Zauberer erkennen. "MoGo nahm wie immer das Treppenhaus. Draußen war es noch kühl, der Himmel dunstfrei und stählern blau. Die ersten beiden Septemberwochen hatten mit einem Licht verwöhnt, das jeden, dessen Gemüt für Wetter mehr als bloß beiläufig empfänglich war, euphorisch wehmütig stimmen musste, da das Glänzen allzu vieler Oberflächen das Verenden dieses ausnahmsherrlichen Herbstes bereits wie eine Drohung in sich trug", sind solche Sätze im Roman.

Der Literatur-Kritiker Richard Kämmerlings, der für die Zeitung Die Welt schreibt, sieht das Klein-Buch so: Wie von einem Archivar ausgestattet wirke der BRD-Mystery-Roman, in der eine Jungredakteurin dem Sportredakteur in einer mysteriösen Angelegenheit weiterhelfen muss - vom orangefarbenen Ford Mustang bis zum klotzigen Farbfernseher sei hier alles dabei. Er bewundert auch die Verquickung von Medialem und Metaphysik.

Kaum ein Schriftsteller unserer Zeit handhabt die Mittel der erzählenden Literatur subtiler als Georg Klein, kaum einer treibt das Spiel mit größerem Vergnügen und Eigensinn voran. Sein neuer Roman führt uns in die Redaktion einer traditionsreichen süddeutschen Regionalzeitung – und in das Zwischenreich von Medialität und belebter Natur. Eine dunkle Komödie in leuchtender Prosa", beschreibt die Verlagswerbung die Wortkunst Kleins, der in Ostfriesland auf dem Land lebt.

Der Deutschlandfunk Kultur meint zu diesem "Kleinstadt"-Roman von Klein, ohne Augsburg zu erwähnen: "Dieser spannend aufgebaute Roman, der ganz wirklichkeitsnah anfängt, führt – wie oft in den Geschichten von Georg Klein – bald ins Geheimnisvolle: Heiter und mit Kolorit aus dem publizistischen Arbeitsleben beginnt er und wechselt dann auf fantastische Weise in eine traumverlorene Wirklichkeit. Eine Tote beobachtet eine Lebende, eine Frau verschwindet, eine erotische Begegnung führt in die Irre und der rosa Nagellack der Redaktionssekretärin hat am Ende ebenso wenig Bedeutung wie die schwarzen Herrenschlafanzüge, die die junge Journalistin von ihrer Mutter geerbt hat."

Georg Klein liebt mystische Bilder, die zum Nachdenken zwingen.
(Foto: Lima423)

Literatur-Kritiker Wolfgang Schütz, der bei der Augsburger Allgemeinen arbeitet, bemerkt bei einem Gespräch mit Klein über sein Buch, das im September 2021 in die Buchhandlungen kommt: "Wie eigentlich immer ist es ziemlich schwer, über einen genauen Inhalt Ihres Romans zu sprechen. Denn vom Titel bis zu dem, um was eigentlich in dieser Recherche geht und was letztlich wirklich passiert ... - nach fast ungewöhnlich leichtfüßigem Auftakt entwickelt sich immer mehr eine Geschichte der vielen Ebenen, zwischenzeitlich mit Suspense-artiger Spannung, dann wieder mit Stimmen und Bildern über Tod und Zeiten hinweg. Warum diese Verrätselung? Soll, wer Klein liest, nie genau wissen, was er da in Händen hält, alles für möglich halten und sich herausgefordert fühlen?" Klein antwortet darauf: "Wenn der Roman sich etwas von mir wünschen dürfte, würde er mir womöglich zuflüstern: Mach mich so, dass ich vielleicht noch einmal - ein zweites Mal! von vorne gelesen werde!" Vielleicht kommt man so auf den Sinn des mysteriösen Fernsehgeräts mit einer durchsichtigen Fernsteuerung?

Wir lesen in kulturnews: "Klar ist: Es geht um die Natur – nicht umsonst hat Klein alle Kapitel mit Pflanzen- oder Tiernamen überschrieben. Wirklich fesselnd wird „Bruder aller Bilder“, sobald der Autor sich endgültig dem Rätsel überlässt und die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, Leben und Tod, Damals und Jetzt einreißt. Vielleicht, weil wir selbst auch aufgehört haben, auf Antworten zu warten."

Auch der Rowohlt-Verlag will nicht alles verraten: "Irgendetwas führt Sportreporter Addi Schmuck im Schilde, als er arrangiert, dass seine junge Kollegin Moni Gottlieb für ihn von allen redaktionellen Pflichten freigestellt wird. Ebenso zwingend selbstverständlich scheint, dass sie ihr Smartphone zu Hause lassen muss, bevor sie die Arena des Bundesliga-Clubs am Südrand der Stadt ansteuern. Der dortige Greenkeeper hat mit einem rätselhaften Naturphänomen zu kämpfen und erhofft sich von Schmuck einen rettenden Rat. Allerdings ist Schmuck in dieser Frage selbst des Beistands bedürftig."

Neben der Katze Monique, dürfen auch - oder gerade deswegen, Vögel wie Tauben, Eulen und Flugmäuse auftreten. Das führt sogar zu einem kaum bemerkbaren Horrormoment mit viel Blut. Dabei widmet er der Farbbeschreibung, die vom brutalen Geschehen ablenkt, viele Wörter: "Schon sehe ich auf seiner Brust das anstehende Rot. Man könnte glauben, einem sanddornfarbenen Meer wäre der Umriss eines dunklen Erdteils aufgeprägt. Geduld, Geduld. In Bälde soll die Küstenlinie dieses Kontinents mit frischem Blut erneuert werden." Umfangreiche Gegenstands- und Farbbeschreibungen sind Kleins Leidenschaft. 

Doch bevor wir nach 269 Seiten beschließen das Buch "Bruder aller Bilder" ein weiteres Mal zu lesen, um herauszubekommen, warum ein alter verstaubter Videorekorder vom Strom genommen wird, sollten wir uns in der Altstadtbäckerei eine Riesenbreze besorgen und sie derart kunstvoll genießen, wie es Klein beschreibt. 

Ach ja, rätsel, rätsel, ist nun MoGo die Tochter des Bäckers, oder von wem wurde sie gebacken?


Arno Loeb

Georg Klein: Bruder aller Bilder / 269 Seiten / Rowohlt / Hardcover / 22,00 Euro  

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