Strafkolonie: Abstraktes Grauen

Kampf der Protagonisten, in höchst artifizieller Ausstattung.


Das Staatstheater Augsburg brilliert mit „In der Strafkolonie“

Franz Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“ ist nun wirklich nichts für schwache Nerven. So realistisch wie selten erzählt er von einer industrialisierten Form der Folter bis zum Tod: Ein Apparat schreibt das Vergehen des Verurteilten mit Nadeln in seinen Körper – ein tödliches Tattoo. Die Erzählung, geschrieben 1914, wirkt prophetisch sowohl mit Blick auf die industrialisierten Weltkriege als auch auf die Tötungsmaschinerie der KZs; auch heutige Bezüge auf Folter und unmenschliche Behandlung von Gefangenen fallen sofort ins Auge.

Da wirkt es vordergründig erleichternd, dass die Inszenierung der auf Kafkas Erzählung basierenden Kammeroper von Philip Glass (Uraufführung 2000 in Seattle) von Aileen Schneider so artifiziell angelegt ist, dass der Realismus zunächst verschwindet. Ein großer leerer Raum ermöglicht den Protagonisten (Reisender: Roman Poboinyi, Offizier: Wiard Witholt) große Gesten, in Abgrenzung zum eingeschüchterten Verurteilten, der sich so klein wie möglich macht. Die beeindruckende Körpergröße von Wiard Witholt verleiht der Figur des Offiziers eine noch größere Macht als in der Rolle ohnehin angelegt.

Die Kostüme von Florian Parkitny, zurückhaltend in Farben und Ausstattung (aber: die Frisuren!!!), befremden anfangs, fügen sich jedoch in die Abstraktion der gesamten Inszenierung.

Das Bühnenbild (Lisa Marie Damm) besticht ebenfalls durch maximale Reduktion: der Apparat wird nur durch ein paar Kabel und einen großen Industriehaken angedeutet – an dem der Verurteilte in einem Klettergeschirr aufgehängt anstatt wie bei Kafka auf ein Bett geschnallt wird. Die Vertikale ermöglicht die Zurschaustellung des Verurteilten. Unterhalb der Ebene des Apparats ist das Streichquartett untergebracht.

Die Minimal Music von Philip Glass bildet auch akustisch einen untergründigen Klangteppich: klar und schnörkellos wie Kafkas Sprache und die Handlung unterstützend, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Das Streichquartett der Augsburger Philharmoniker setzt die Musik gefällig um und moduliert nur an manchen dramatischen Szenen vorwiegend durch größere Lautstärke.

Geschickt weckt die Inszenierung öfters doppelte Assoziationen. So wird die Strafe dem Verurteilten nicht nur in die Haut tätowiert; hier sind die Vorlagen der Schrift Tattoos auf den Armen des Offiziers. Requisiten werden doppelt verwendet; ein Blumentischchen wird zum Grabstein, ein Mikrofon zum Degen. Auch dies eine raffinierte Methode zur Abstraktion. Der Regieeinfall, dem Reisenden eine Kamera und Mikrofon in die Hand zu geben und damit das grausame Geschehen wie ein Reporter zu dokumentieren, überzeugt und bietet der Inszenierung ein weites Feld an Möglichkeiten samt Projektionen. Auch Corona-Assoziationen fehlen nicht; es gibt eine Desinfektionsstation, und der Verurteilte trägt eine Maske. 

Große Gesten.
(Fotos: Jan-Pieter Furh)

Nun hat man also lauter abstrakte Elemente; das Grauen beim Zuschauer entsteht über den Text. Durch die extrem klare Artikulation versteht man jedes gesungene Wort, und so schafft die eigene Fantasie intensive Bilder. Große schauspielerische Leistungen sind die Darstellung des Unverständnisses und Mitleids beim Reisenden; das Leid des Verurteilten ist ohnehin herausragend gespielt und intensiv nachfühlbar. Die Macht des Offiziers, anfangs noch mit Zärtlichkeit gegenüber dem Verurteilten, am Ende zerstört durch das Unverständnis für seine Hinrichtungsmethode, verschwindet parallel zum Nicht-Funktionieren seines Apparats.

Das Ganze ist eine Parabel auf die Frage nach Gerechtigkeit, von der Offizier und Reisender komplett entgegengesetzte Auffassungen haben. Alt- und neutestamentliche Auffassung von Strafe und Rache, Schuld und Sühne, Gericht (ohne Prozess!) und Urteil treffen aufeinander. Natürlich ist man als Zuschauer auf der Seite des Reisenden und damit von Gerechtigkeit und Mitleid. Es bleibt das Bewusstsein, dass auch heute die Auffassung des Offiziers noch zur Genüge existiert. Da tröstet es, dass der Offizier seine erwartete Erlösung eben doch nicht findet.

Autorin: Sabine Sirach.

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