Nordafrika und der Nahe Osten: Staatszerfall und neue Kriegsgefahr

Andreas Zumach – mit umfangreichem Wissen über die Region.


Andreas Zumach über ein zukünftiges Pulverfass

Nordafrika und der Nahe/Mittlere Osten sind die Weltregion mit den meisten Konflikten; manche Länder werden mittlerweile als „failed states“ bezeichnet, also als gescheiterte Staaten, die ihre grundlegenden Pflichten nicht mehr erfüllen können. 

Die Ursachen für die Misere liegen oft in den Fehlern, die der Westen in der Vergangenheit gemacht hat. Darauf ging Andreas Zumach, freier Journalist, Buchautor und internationaler Korrespondent der Berliner Tageszeitung "taz", in seinem Vortrag am 16.11.2021 im Augustanasaal im Rahmen der Friedenswochen genauer ein. Es gelang ihm durch seinen strukturierten Vortrag, dass man trotz der undurchsichtigen Vorgänge den Überblick behielt.

Zumach stellte fest, dass alle Länder dieser Region während der Kolonialzeit ausgebeutet wurden. Am Ende des Kolonialismus zogen die Westmächte dann noch sehr fragwürdige Grenzen zwischen den Ländern – und auch seither mischen sich USA, Großbritannien, Russland und weitere Großmächte dort ein.

Mit umfangreichem Wissen schilderte er das Beispiel Afghanistan:

   * Im Kalten Krieg galt die Doktrin, dass sich USA und UdSSR nicht in den „Hinterhöfen“ des jeweils anderen einmischen dürften. Das Interesse der USA an den Rohstoffen der Region führte jedoch dazu, dass die UdSSR nach vermeintlicher Einmischung der USA (die sich dann tatsächlich als Falle herausstellte) in Afghanistan einmarschierte.

  *  Die USA unterstützten während der sowjetischen Besatzung die Mujaheddin-Gruppen – die Geburtsstunde von Al-Qaida. Nach dem Abzug der Sowjets folgte dann auch die erste Herrschaft der Taliban.

  * Nach 9/11 rief George W. Bush einen „Rachefeldzug“ gegen Afghanistan aus, wo sich zu der Zeit Osama Bin Laden aufhielt.

  *  Der nach einhelliger Meinung gescheiterte 20jährige Afghanistan-Krieg ist in seiner Länge wesentlich auf die Schönfärberei der Regierungen zurückzuführen – auch in Deutschland, gegen die Meinung der Bevölkerungsmehrheit.

   * Ein Grund für die Einmischungen des Westens in Afghanistan ist dessen Lage als Transitland für Öl aus den ehemaligen südlichen Sowjetrepubliken, bzw. ein „Verhinderungsinteresse“ gegenüber einer Pipeline aus dem Iran bis nach China. Eigene Rohstoffe sowie die Drogen aus Afghanistan spielen ebenfalls eine wesentliche Rolle.

   * Auch auf andere Länder der Region ging Zumach ein. Im Irak entstanden nach dem Sturz Saddam Husseins sunnitisch-schiitische Auseinandersetzungen, aus denen der Islamische Staat hervorging (der sich ursprünglich als „Schutzmacht“ für die Sunniten verstand). Die Auseinandersetzungen sind auch in anderen Ländern eskaliert. Im Osten Syriens nutzte der IS die Bürgerkriegs-Situation, um sich dort festzusetzen. Mittlerweile sind viele der zigtausenden Kämpfer weitergezogen nach Libyen und Mali, wo sie die Tuareg in ihrem Autonomiebestreben unterstützen. Es sei absehbar, dass sich der Westen bald auch aus Mali als gescheitertem Staat zurückziehen würde.

   * Libyen wiederum ist bereits jetzt ein gespaltenes Land, hervorgegangen aus einer traditionellen Stammesgesellschaft. Westliche Länder unterstützen je nach eigenen Interessen die verschiedenen Seiten. Im Iran haben die Sanktionen des Westens zu einer katastrophalen ökonomischen Situation geführt; mit der Folge, dass insbesondere die jungen Iraner bitter enttäuscht sind – was wiederum zum Wahlsieg der Erzkonservativen im Juni 2021 führte. Ob das Abkommen zum Nuklearprogramm gerettet werden kann, oder ob der Konflikt weiter und möglicherweise bis zu einem Krieg eskaliert, ist offen.

 *   Momentan versuchen die Regierenden in der Region, für Ruhe zu sorgen; die Vorgänge des Arabischen Frühlings haben Schockwellen ausgelöst. Dazu kommt das absehbare Ende der Erdöl-Ökonomie. Kleine symbolische Aktionen wie die Zulassung von Frauenfußball in Saudi-Arabien, aber auch die Annäherung an Israel, sollen die Macht sichern.

Die Karte der Region während des Vortrags.



Die „zweite Arabellion“

Die Protestierenden der sogenannten „zweiten Arabellion“, die momentan in einigen Ländern aufkeimt, haben aus den Vorgängen seit 2011 gelernt und gehen jetzt intelligenter vor. Ihre Maximen:

- Es braucht einen langen Atem! In Ägypten wurde 2011 nur 18 Tage lang demonstriert, bis Mubarak gestürzt war – aber die Folgen waren nicht im Sinne der Protestierenden.

- Bleibt friedlich – auch im Angesicht harten Vorgehens von Polizei und Armee!

- Vorsicht bei Übergangslösungen! Wenn das Militär die Macht übernimmt oder Wahlen zu früh angesetzt werden, geht das meistens schief.

- Wichtig für die Durchsetzung der Ziele ist eine funktionierende zivile Organisation. In Tunesien und Algerien konnte man auf Strukturen der Zivilgesellschaft aufbauen.

- Vorsicht vor den Nachbarn! Zu oft mischen sich Nachbarländer – oder gar verbündete Großmächte – in die Entwicklungen während der Rebellion ein.


Lebhafte Diskussion

Im Anschluss an den Vortrag kamen insbesondere Fragen zu den Hintergründen und Motiven für das Handeln der westlichen Länder auf. Deutschland erklärte seine „uneingeschränkte Solidarität“ mit dem Nato-Partner USA und geriet immer wieder unter Rechtfertigungsdruck, man würde ja „nur“ zivile Aufbauhilfe leisten und nicht kämpfen. Unkontrollierbare Waffenexporte sorgen dafür, dass Kriegs- und Kleinwaffen über Jahrzehnte immer wieder in andere Hände geraten. Und natürlich befeuern ökonomische und geostrategische Interessen der Großmächte die Konflikte.


Wer mehr von Andreas Zumach lesen möchte, dem sei sein neu erschienenes Buch empfohlen: „Reform oder Blockade: Welche Zukunft hat die UNO?“

Text und Fotos: Sabine Sirach.


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