Augsburger Faust: Als Menetekel an die Wand

Der erste Teil der Oper beginnt mit einem großen Schriftzug und einem saufenden Faust.



Eine zwiespältige Inszenierung am Staatstheater:
die Oper „Faust – Margarethe“



Am Wochenende durfte endlich die Premiere von Charles Gounods Faust-Oper über die Bühne gehen. Lang musste man darauf warten: eigentlich war sie für März 2020 geplant gewesen, dann kam der Lockdown.

Die Oper »Faust« (in der deutschen Fassung »Margarethe« genannt) gilt als Inbegriff romantischen Komponierens im Frankreich des 19. Jahrhunderts und basiert auf Goethes »Faust«. Das Libretto konzentriert sich auf Fausts Affäre mit Margarethe.

Als Gastregisseur bringt Jochen Biganzoli die Oper auf die Bühne im martini-Park und nimmt sie zum Anlass, sich mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Themen und Rollenbildern auseinanderzusetzen.

Das Geschlechterverhältnis im Zentrum

Alles kreist in dieser Inszenierung um das Verhältnis der Geschlechter. Der erste Teil sieht das Geschehen vorwiegend aus Fausts Sicht, der zweite Teil – in dessen Zentrum nun die Frau als sitzengelassene Schwangere steht – aus Margarethes Blickwinkel. Dementsprechend sind die Teile auch mit riesiger Schrift überschrieben: „FAUST“ und „MARGARETHE“, und zum Schluss versöhnend, aus Goethes Faust II entlehnt, „DAS EWIG-WEIBLICHE ZIEHT UNS HINAN“ als Menetekel an die weiße Wand projiziert.

Nur die Kostüme von Gretchen bringen mal Farbe in die Inszenierung.


Musikalisch ist die Oper von romantischen Melodien dominiert; lebendig wird sie durch Szenen wie den Faustwalzer und Rezitative wie in Valentins Gebet und im Dom. Die Augsburger Philharmoniker unter Domonkos Héja mit Opern- und Extrachor setzt sie überzeugend, freudig und abwechslungsreich um. Gesanglich wie schauspielerisch ragt Jihyun Cecilia Lee als Margarethe heraus und bekam daher vom Premierenpublikum jubelnden Applaus. Besonders die Juwelenarie und die finale Kerkerszene sind absolute Höhepunkte! Daneben glänzen die anderen Solisten: Jacques Le Roux als Faust und Alejandro Marco-Buhrmester als Mephisto, Natalya Boeva als Siebel (bei Gounod als Sopran angelegt und in der Augsburger Inszenierung als Lesbe zu verstehen), Wiard Witholt als Valentin und Kate Allen in der Rolle der Marthe. Gesungen wird auf Französisch, mit deutschen Übertiteln.

Schwarz-weiß, aber nicht farblos

Das Bühnenbild besteht aus nichts als weißen Wänden; in zwei Szenen plagen sich mal Faust, mal Margarethe damit ab, die Rückwand nach hinten zu verschieben und dadurch Platz für die großen Massenszenen zu schaffen. Farblich sind Bühne und Kostüme fast komplett in Schwarz-Weiß gehalten, nur ein paar Requisiten und die häufig wechselnden Kleider Margarethes bringen Farbtupfer ins Spiel. Die Herren des Chors, die in der Oper eigentlich das Volk darstellen sollen, mimen im – ebenfalls schwarz-weißen – Smoking leider nur Fausts Saufkumpane. Die schwarz-weißen, in Augsburg gedrehten Videoszenen, die an die Rückwand projiziert werden, demonstrieren, wie ein Kennenlernen auf der Straße auch im heutigen Alltag noch möglich ist. Im Video wird dann sogar noch die Geburt des Kindes aus Sicht der Gebärenden gezeigt, nahe am Rand des Geschmacklosen.

Die Liebesgeschichte von Faust und Gretchen wird dramatisch auf der Bühne
und alltäglich im Video gezeigt.


Ohnehin wirkt die Inszenierung trotz des kargen Bühnenbilds und der Kürzungen symbolisch überfrachtet. Biganzoli will den Stoff durch Einsatz von Video, Mikrofonen und Handys modernisieren, er banalisiert durch manch unpassende Requisiten (Putzeimer für den Blumenstrauß des liebenden Siebel) oder Effekte wie den brennenden Kinderwagen in der Schlussszene, zeigt minutenlang tonloses Video und kürzt dafür ganze Szenen aus der Oper heraus (Siebel-Blumenmetapher, Walpurgisnacht). An manchen Stellen knirscht es dadurch auch in der Logik der Geschichte.

Unnötig sind feministische Sprüche aus Zeiten der Abtreibungsdebatte auf Plakaten, hochgehalten von Frauen, die sich dadurch mit Margarethe solidarisch erklären – was das Weibervolk im Faust ja eben nicht tut! Die Modernisierung der Geschlechterrollen geht hier am Stoff vorbei. Endgültig unverständlich ist der Einsatz von zwei maskierten Kindern in der Gefängnisszene. Im gesamten Stück wird viel mit Pistolen herumgefuchtelt, und am Ende erschießt Margarethe gar Mephisto (den Teufel! ein zweifelhafter Regieeinfall), schafft es aber nicht, sich an Faust zu rächen.

Nein! In der Schlussszene wehrt sich Margarethe nicht nur ironisch.


Peinlichkeiten wie böse grammatikalische Schnitzer in der deutschen Übertitelung oder die nicht synchrone und dadurch irritierende Videoprojektion des singenden Mephisto lassen sich vielleicht in den kommenden Aufführungen noch verbessern.

Brillante Ironie zum Schluss

Hervorragend ist dagegen die von Jihyun Cecilia Lee brillant gespielte Ironie in der Kerkerszene am Schluss: Da schreibt sie ein großes NEIN an die Wand, legt die Füße auf den Tisch, begrüßt Faust nicht freudig, sondern sarkastisch. Und so wird die Geschichte doch schlüssig modern, wenn Margarethe in den Himmel auffährt („gerettet, nicht gerichtet“).


Text: Sabine Sirach
Fotos: Jan-Pieter Fuhr

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