„50% bringt auch nicht viel“ - Durch die Corona-Kulturpolitik wurde viel Vertrauen verspielt

 

Vom Kultur-Club zur Corona-Teststation mutiert.

Geht die Kultur in Bayern unter?

Die bayerische Corona-Politik macht es besonders der Kultur extrem schwer. Seit November gelten 2Gplus-Regel, Maskenpflicht auch am Sitzplatz während Vorstellungen und eine Beschränkung der Auslastung auf 25% - übersetzt: nur noch ein Viertel der Zuschauer durften plötzlich in Theater, Kinos und Konzerte! Ende Januar wurde zwar diese Beschränkung auf 50% und jetzt 75% ausgeweitet, damit dürfen nun wieder dreimal so viele Zuschauer kommen. Dass die 50%-Ausweitung nicht viel gebracht hat, stellte sich aber schnell heraus.

Wir haben uns bei den Augsburger Kulturschaffenden und Bühnenbetreibern umgehört, was die Corona-Kulturpolitik angerichtet hat und ob die neuen Regeln die Folgen abmildern.

Es trifft die Großen, aber noch viel mehr die Kleinen

Auf dem Spielplan des Staatstheaters stand wochenlang bei den meisten Vorstellungen ein Kästchen „Für diese Veranstaltung gibt es zur Zeit keine Karten. Der Grund ist die aktuelle Auflage von 25% Maximalauslastung.“

Vorstellungen fallen ganz aus (sogar die großen, höchst beliebten Knüller wie die Internationale Ballett- und Tanzgala), und das Stammpublikum, das seine Abos oder vor langem gekaufte Karten hat, muss umständlich an der Kasse seine Tickets umtauschen, um mit dem nötigen Abstand platziert zu werden. Da musste sich das Theater seit November drei Mal eine wechselnde Platzierungslogik einfallen lassen! Und jetzt gleich wieder…

Wenn es das Staatstheater schon hart trifft, ist es für die kleinen, privat betriebenen Bühnen umso schlimmer. Anne Schuester, Leiterin des Sensemble und Vorstand beim Verband Freie Darstellende Künste Bayern sagt, dass die rund 57 privat geführten Theater in Bayern zwar die Möglichkeit hätten, staatliche Hilfen zu beantragen. "Wirtschaftlich arbeiten können sie aber in keinem Fall", sagt sie. Spiele ein freies Theater trotz aller Beschränkungen, zahle es jeden einzelnen Abend drauf. Der Aufwand bleibe ja der gleiche, egal ob man nun für 25, 50 oder 75 Leute spielen könne.

Die Puppenkiste hatte seit November geschlossen (öffnet jetzt aber am 18. Februar wieder), sie war wirtschaftlich einfach nicht in der Lage, bei 25% Auslastung ohne hohe Defizite zu öffnen. Viele freie Puppenspieler, die im Verein Freunde des Augsburger Puppenspiels organisiert sind, sind als Amateur-Spieler unterwegs und verdienen nicht mit dem Spielen ihren Lebensunterhalt, daher trifft es sie nicht so schlimm. Im Puppenspiel-Museum “Die Kiste“ hingegen brach die Besucherzahl abrupt ein: am Tag der Einführung von 2G+ kamen in 4 Stunden nur 3 Besucher, dann zwischen 3 und 15 Besucher täglich. Seit dem 23.12. war es dann ganz geschlossen, kann jetzt aber ab 12. Februar wieder öffnen.

Im Abraxas musste eine Veranstaltung vom Veranstalter abgesagt werden, weil sie bereits überbucht und damit undurchführbar war. Drei Veranstaltungen wurden aus demselben Grund auf Mai, Juni und Juli 2022 verschoben.

Für den Jazzclub Augsburg war die 25%-Quote ausgesprochen schmerzhaft, die Lockerung der Auslastungsquote sei aber wenigstens eine Perspektive.

Gefragt, ob denn die Filmvorführungen in seinen Kinos wenigstens ausverkauft waren, antwortet Franz Fischer vom Lechflimmern: Das wäre schön gewesen! Im Oktober war es noch stabil, aber ab November sind die Besucherzahlen komplett eingebrochen, weil die Leute einfach daheim geblieben sind.

Karla Andrä vom Fakstheater und „Text will Töne“: „Die Beschränkung auf 25% Auslastung war für die kleinen freien Theater wirtschaftlich kaum tragbar. Außerdem wurde damit von der Regierung wieder ein Signal gesendet, welches heißt: Kulturveranstaltungen meiden! Gerade als sich die Theater trotz der Hygienebestimmungen wieder einen annehmbaren Spielbetrieb erarbeitet hatten und sich ihr Publikum zurückerobern wollten.“

Dazu kommt bei allen die Befürchtung, dass Personal in andere Branchen abwandern könnte; viele freischaffende Künstler suchen sich jetzt andere berufliche Standbeine; das gilt aber ebenso für Techniker und weitere Angestellte der nun als unsicher angesehenen Arbeitgeber.

Es hagelt Absagen und Verschiebungen

Im Sensemble mussten seit Herbst 25 Vorstellungen komplett abgesagt werden. Die Vorstellungen, die mit 25% Auslastung im November/Dezember/Januar gespielt wurden, waren aber alle ausverkauft.

Auch im Kongress am Park mussten reihenweise Veranstaltungen abgesagt oder verschoben werden (so ist beispielsweise der für 4. Februar geplante Auftritt von Josef Hader um ein ganzes Jahr verschoben).

Den Kinos bereitet nicht nur die Kapazitätsbeschränkung Probleme, sondern gleichzeitig auch der Filmverleih. "Viele Filme werden mittlerweile auf bessere Zeiten verschoben, zum Beispiel Arthouse-Produktionen, deutsche Produktionen und auch amerikanische", wie Franz Fischer vom Lechflimmern betont.

Irrwitziger Verwaltungsaufwand

„Man ist permanent am Verwalten“, hört man von vielen Kulturschaffenden. Da geht es um Corona-Tests bei den Mitarbeitenden, Kurzarbeit, Fördergelder, neue Termine, Umplatzierungen von bereits verkauften Tickets und vieles mehr.

"Die Unmöglichkeit, Dinge längerfristig zu planen, das ständige Umplanen zermürbt die Verantwortlichen", ergänzt Anne Schuester.

Franz Fischer wird etwas deutlicher: „Was München sich da immer Neues einfallen lässt! Dienstag wird was beschlossen, Mittwoch soll man´s schon umsetzen. Die Kreativität der Unternehmer (und auch der Behörden) wird wirklich auf eine harte Probe gestellt.“

Karla Andrä ist entsprechend genervt: „Wir schieben permanent unsere Gastspiele in die nächsten Monate. Das Weihnachtsgeschäft war sehr schlecht. Es gab wenige Aufführungen in den Schulen mit extra dafür konzipierten Corona-Klassenzimmer-Formaten, was sich wirtschaftlich natürlich nicht gerechnet hat. Konzerte wurden und werden geschoben, bei jedem Vertrag steht die Klausel der Verschiebung, ein enormer Büro-Aufwand! Auch jetzt wissen wir nicht, wann wir wieder in unseren Gastspielorten (Brechthaus, Stadtbücherei…) zu akzeptablen Bedingungen auftreten können. Ob die geplanten Gastspiele stattfinden können? Überall ein großes Fragezeichen!

Besonders widersinnig: die Regelungen bei kombinierter Bühne und Gastronomie

Speziell die ungleiche Behandlung im Vergleich mit Gastronomie (dafür wurde die Umsetzung von 2Gplus durch die Staatsregierung abgelehnt) und Einzelhandel (da wurde sie sogar ganz abgeschafft) verärgert Kulturschaffende und verunsichert Besucher.

Sensemble: Da hier die Vorstellungen meist erst um 20:30 Uhr beginnen, die Bar aber schon um 22 Uhr schließen musste, blieb den Besuchern keine Möglichkeit mehr, nach der Vorstellung noch etwas zu trinken und das Gesehene gemeinsam Revue passieren zu lassen. Wenigstens das wird nun doch wieder möglich sein!

Thalia: Da gelten im selben Haus weiterhin zwei verschiedene Regeln; während im Kaffeehaus 2G gilt, muss man fürs Kino noch zusätzlich Test oder Booster-Impfung vorweisen, obwohl man nur ein paar Meter weiter geht. "Das versteht doch niemand mehr", sagt Inhaber Franz Fischer: Im Restaurant sitzen Menschen an einem Tisch einander gegenüber und reden, während sie in den Vorstellungen mit Maske, stumm und nebeneinander nach vorne gerichtet sitzen. Und das noch mit der Kapazitätsbeschränkung!

Was ist der Stellenwert von Kultur?

Anne Schuester vom Sensemble ärgert sich: „Vom Umgang der Politik mit den Kulturschaffenden in der Krise sind wir immer wieder ziemlich entsetzt, die Signale waren einfach immer wieder fatal: die Schlechterstellung als die Gastronomie über die ganzen letzten Monate hinweg ist ein Nackenschlag für viele KünstlerInnen und sendet die Botschaft, dass trotz besserer Schutzkonzepte auf Kultur leichter verzichtet werden kann als auf Bier …“

Franz Fischer findet, dass die Botschaft verbreitet wurde: „Kultur ist gefährlich!“ und moniert vor allem die Ungleichbehandlung: Der Öffentliche Nahverkehr und die Supermärkte sind voll, die Leute auf engem Raum beieinander. „An die Maskenpflicht haben sich jetzt alle gewöhnt, sie wird aber nicht konsequent eingehalten. In der Kultur hingegen: strengste Regeln, maximale Abstände. Selbst der Gastronomie gegenüber ist die Kultur benachteiligt, obwohl hier praktisch keine Ansteckungsgefahr besteht! Offenbar hat sogar der Stadtmarkt eine bessere Lobby!“ Was ihn auch nervt, sind die verschiedenen Regeln in den Bundesländern, Bayern sei da einfach unverhältnismäßig. „Das Ganze ist ein Aktionismus. Kultur wird als nicht systemrelevant kommuniziert, und letztlich bin ich als Unternehmer verantwortlich. Die ganze Kulturförderung ist auch langwierig: wenn man wegen Corona pleite ist, gibt’s ohnehin kein Geld mehr. Wir haben da eine Vertrauenskrise, die uns auch nach der Corona-Pandemie noch ein bis zwei Jahre beschäftigen wird. Kulturveranstaltungen werden jetzt unterbewusst mit Gefahr verbunden."

Frust bei den Besuchern

Aus Angst vor Ansteckung kommen viele gar nicht mehr zu den Veranstaltungen. Kultur wird mit Gefahr assoziiert, und es wird noch einige Zeit dauern, bis sich dieses Misstrauen wieder verflüchtigt.

Karla Andrä: „Wir verspürten diese Verwirrung des Publikums beim zaghaften Kauf der Karten. Die Leute waren verunsichert. Hinzu kam die Regel 2G+ und viele scheuten den zusätzlichen Test, der leider im Abraxas nicht angeboten wurde.“

Im Jazzclub ist „insbesondere für die Musiker ein fast leerer Club ziemlich deprimierend. Was sich allerdings nicht auf die Stimmung auswirkte, Bands und Publikum waren gut drauf. 2G+ wurde und wird vom Publikum akzeptiert und konsequent eingehalten. Es gab in den sozialen Medien einige dumme Kommentare, aber ansonsten viel Verständnis.“

Wenn man es, wie im Staatstheater oder der Puppenkiste, mehrfach erlebt hat, dass bereits gekaufte Karten nicht mehr gültig sind, und man beim besten Willen keine Karten mehr bekam, weil mit 25% sowieso alles gleich ausverkauft war, verliert man einfach die Lust, sich noch um ein Ticket zu bemühen. Und dass man sogar während der ganzen Vorstellung Maske tragen muss, verdirbt Besuchern die Lust auf Kultur. Es ist zu befürchten, dass sich die Menschen irgendwann daran gewöhnen könnten, nicht ins Theater, Kino oder Konzert zu gehen. Damit wäre dann durch die ganzen Regelungen auch ein langfristiger Imageschaden entstanden.

Was ändert sich jetzt?

Die freie Theaterszene, die unter der Beschränkung der Saalkapazität stark gelitten hat und auch den Spielbetrieb wegen Unwirtschaftlichkeit einstellen musste, sieht eine Erleichterung in den neuen Regeln, allerdings noch keine Lösung der problematischen Situation

Im Sensemble verspricht man sich von der Kapazitätserhöhung nicht viel, etwas mehr Umsatz, etwas mehr Zuschauer, aber man zahlt trotzdem jeden Abend drauf. Es sei aber ein erster Schritt in die richtige Richtung: Am ersten Wochenende mit 50% war alles ausverkauft, man müsse jetzt aber sehen, wie sich die Besucher weiter verhalten.

"Die Auslastung erhöht sich zwar, aber das kann nur ein Zwischenschritt sein! Es wird nicht mehr Kultur möglich im Sinne von mehr Veranstaltungen, aber Kultur für mehr Menschen", sagt Anne Schuester. Solange es die Maskenpflicht im Theater gibt, werden auch weiterhin die Improvisationstheater-Vorstellungen im Sensemble ausfallen.

Karla Andrä: „Jetzt mit der Erhöhung von heute auf morgen ist ebenfalls unklar, wie schnell das von den ZuschauerInnen akzeptiert wird. Alles braucht Zeit und Vertrauen! Das größte Problem für uns war und ist die Perspektivlosigkeit und fehlende Planbarkeit.“

Lichtblicke

Sogar während der 25%-Regel lief der Spielbetrieb der freien Kindertheater, die im Abraxas ihre feste Bühne haben, kontinuierlich weiter. Bei diesen Vorstellungen waren alle zulässigen Plätze gebucht.

Es gibt jetzt einen „Hoffnungsschimmer am Horizont“, meint man beim Verein Freunde des Puppenspiels Augsburg. Ab dem 12. Februar ist das Puppenspielmuseum „Die Kiste“ und ab 18. auch die Puppenkiste wieder geöffnet.

Franz Fischer vom Lechflimmern freut sich jetzt auf das Open-Air-Kino im Sommer, weil dies im Freien stattfindet und die meisten Einschränkungen daher nicht greifen. Die Konzerte und Jamsessions  im Jazzclub sind zu 100% ausverkauft, was auf den Hunger nach Kultur zurückschließen lässt.

Dieselben Regeln für alle, Einzelhandel, Gastronomie und Kultur gleichstellen: Das fordern alle Kulturschaffenden von der Politik. Von den Menschen wünschen sie sich, dass sie auch weiterhin in die Vorstellungen kommen.

Alle sind sich einig: Momentan fährt man auf Sicht, da keiner weiß, wie es mit Corona und den Regeln weitergeht! Frei nach Bertolt Brecht: „Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan…“


Text und Interviews: Sabine Sirach

Kommentare