Stephan Suschke, Herausgeber der Original-Tonaufnahmen, im lockeren Dialog mit Festivalleiter Jürgen Kuttner. |
Am letzten Tag des Brecht-Festivals gab es für Brecht-Fans noch ein ganz besonderes Zuckerstück! Stephan Suschke, langjähriger Mitarbeiter von Heiner Müller und Intendant des Berliner Ensembles von 1997-99, hat eine Zusammenstellung mit den Original-Tonaufnahmen von Brechts Proben für „Das Leben des Galilei“ 1955/56 herausgegeben und stellte diese nun in der Festival-Zentrale im tim vor.
Er inszenierte 2015 am Hessischen Landestheater Marburg selber den „Galilei“ und ging für Hintergrundinformationen ins Brecht-Archiv. Und was für einen Schatz er da entdeckte! 92 Stunden Audio-Material auf Tonbändern, die während Brechts Probenarbeit aufgenommen wurden. Allein das Anhören – und dann in mehreren Stufen: Kondensieren – des Materials war ein großer zeitlicher Aufwand; umso schöner dann die Ausbeute. Man kann Brecht bei seiner Arbeit über die Schulter schauen (also natürlich hören), und entdeckt dabei den leidenschaftlichen Theatermacher bei seiner praktischen Arbeit, ganz unverstellt von irgendwelchen Theoriegebäuden.
Im Dialog mit Festivalleiter Jürgen Kuttner erzählte Suschke im tim über sein Erleben dieser Tondokumente. Was ihm besonders auffiel: Brechts ungeheure Ruhe, seine zupackende Sinnlichkeit, die sehr differenzierte Arbeit mit den einzelnen Schauspielern, und seine Freundlichkeit. Er sei sogar in seinem letzten Lebensjahr, schon sehr krank, immer noch kraftvoll und witzig gewesen.
Den „Galilei“ gibt es in drei Fassungen, die jeweils von ihrer Entstehungszeit geprägt sind: die Svendborger Fassung, wo Brecht die Verteidigung der Wahrheit in den Vordergrund stellt – sein Ringen um Wahrheit gegenüber der Nazipropaganda ist hier der Hintergrund. Die zweite Fassung entstand im amerikanischen Exil in der Arbeit mit dem oscarprämierten Charles Laughton. Dies ist die kürzeste Fassung, quasi kondensiert erstens durch die fremde Sprachumgebung und zweitens durch die Arbeit mit dem massigen Laughton, der vorwiegend sinnlich und körperlich vorging. Die Arbeit an der dritten, Berliner Fassung, vor dem Hintergrund der Atombombe und Brechts Zweifeln an den Geschehnissen des 17. Juni, ist auf den Tonbändern zu hören.
Suschke sieht in der Figur des Galilei das Alter Ego Brechts: dort die Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche, hier mit der SED und dem DDR-Staat. Beide Male ein Leben zwischen Anpassung und Widerstand, ohne simple Gut-/Böse-Zuschreibungen.
Was Brecht umtrieb: Die Frage, was man als Einzelner tun kann, um die Welt zu ändern („…sie braucht es“). Die Frage, die uns alle sicherlich momentan auch umtreibt!
Die Original-Tonaufnahmen sind in dem (sehr schön gemachten) Buch veröffentlicht:
Brecht probt Galilei: 1955/56. Ein Mann, der keine Zeit mehr hat.
Originaltonaufnahmen ausgewählt und kommentiert von Stephan Suschke
mit 3 Audio-CDs
Edition speak low
ISBN: 978-3940018960
23,39€ (es gibt auch eine nicht so schöne Billig-Version für 7,00€ bei der Bundeszentrale für politische Bildung)
Text und Foto: Sabine Sirach
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