Der dreifache Hofmeister

Geisterhaft verwischte Figuren aus der Vergangenheit: der Film der Brecht´schen
Inszenierung von 1950.



Gastspiel des Deutschen Theaters (Berlin) im Rahmen des Augsburger Brecht-Festivals


Das Drama vom gedemütigten Hofmeister überspannt in seiner Aufführungsgeschichte drei Epochen: Das ursprüngliche Stück von 1778, von Jakob Michael Reinhold Lenz, wurde 1950 von Bertolt Brecht inszeniert, und dessen Inszenierung bringen Tom Kühnel und Jürgen Kuttner in einem „medialen Experiment“ neu auf die Bühne – nun als Gastspiel in der Brechtbühne zu sehen.

Nach ihrer Rückkehr aus dem Exil gründeten Bertolt Brecht und Helene Weigel 1949 das Berliner Ensemble. Weil das ihnen zugedachte Theater am Schiffbauerdamm einstweilen vergeben war, kam die Truppe am Deutschen Theater unter (und blieb da für vier Jahre). Hier feierte am 15. April 1950 in den Kammerspielen „Der Hofmeister“ Premiere.

Künstlerisch war Brecht nicht an der Klassik interessiert (die ohnehin „im Angesicht der deutschen Misere versagt“ hatte), sondern an der vorangegangenen Zeit des Sturm und Drang. Mit seiner Bearbeitung des Dramas von Jakob Michael Reinhold Lenz entdeckte Brecht nicht nur den bis dahin weithin vergessenen Sturm und Drang-Dichter für die Gegenwart wieder. Er formulierte durch die Beschäftigung mit dem genialischen Außenseiter auch einen Einspruch gegen die von ihm als spießbürgerlich empfundene Kulturpolitik der SED, sah er sich doch selbst wie der Hofmeister, der vor der Obrigkeit den Knicks machen soll. „Der Hofmeister“ ist die Geschichte eines Erziehers, der sich selbst kastriert, um nicht mehr den jungen Damen hinterherzusteigen und so gesellschaftsfähig zu werden.

Jürgen Kuttner und Stefan Leibold bei der Einführung. Man sieht das Bühnenarrangement: hinten die große Leinwand für den Film der Brecht-Inszenierung, vorne links die Mikrofone der Schauspieler und rechts die Musik.


Wie Jürgen Kuttner in seiner Vorrede erläuterte, rief die Brecht´sche Inszenierung bei Publikum und Kritik in Ost und West euphorische Begeisterung hervor und brachte es innerhalb eines Jahres auf 72 Vorstellungen! Dabei wurde Brecht in der DDR zu der Zeit nicht als linientreu angesehen – während er heutzutage „in Schulbüchern eingegipst“ ist (Kuttner).

„Der Hofmeister“, schrieb Heiner Müller, „war der Höhepunkt von Brechts Arbeit am Berliner Ensemble.“ Bei einer der damaligen Aufführungen entstanden auf Weisung von Ruth Berlau Szenenfotos, in kurzem Takt aufgenommen, die zu einem Film montiert wurden. Was der Kameramann damals nicht ganz nachvollziehen konnte, aber dennoch der Frau Berlau gehorchte. Das Ergebnis ist ein etwas „zappeliger“ Film mit geisterhaft scheinenden, weil durch schnelle Bewegung verwischten Gestalten – nun das Zentrum eines Abends, den die beiden Leiter des Augsburger Brechtfestivals, Tom Kühnel und Jürgen Kuttner, vor rund zwei Jahren in Berlin eingerichtet haben.

Die Schauspieler des Deutschen Theaters beim Applaus.

 

Fünf Schauspieler (Jürgen Kuttner, Peter René Lüdicke, Helmut Mooshammer, Kathleen Morgeneyer, Birgit Unterweger) begleiten den Film auf offener Bühne mit dem gesprochenen Stücktext und ein paar Geräuschen. Das Resultat ist ausgesprochen lebendig. Als Zuschauer verfolgt man mal den Film, mal die Schauspieler, aber immer ist man mitten im Geschehen – das mediale Experiment funktioniert also!

Stefan Leibold, musikalischer Leiter an der Schauspielsparte des Augsburger Staatstheaters, sprang kurzfristig für den Musiker ein, der wegen eines positiven Corona-Tests in Berlin bleiben musste – und er machte das wunderbar, obwohl die Musik nicht einmal notiert war! Eine perfekte Untermalung aus Stummfilmmusik und -geräusch aus verschiedenen Elektronikklavier-Lagen.

Eine sehr gelungene Aufführung, bei der man gleich drei Epochen besichtigen konnte.


Text: Sabine Sirach

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