Einmal um die Welt mit Brecht

Zoe Beloff (Mitte, mit Übersetzer) im Interview bei Anja Hartl.


Gleich vier Ausstellungen und eine Lesung beim Brecht-Festival im tim



In der Festivalzentrale im Staatlichen Textil- und Industriemuseum (tim) sind im Rahmen des Brechts-Festivals seit Sonntag gleich vier Ausstellungen zu sehen. Bei der Eröffnung am Sonntag waren alle Leihgeber anwesend und konnten von Dr. Anja Hartl, Anglistik-Dozentin an der Uni Konstanz, zu den Hintergründen befragt werden.


Zoe Beloff: „Parade of the Old New“
40 Meter Zeitgeschichte: „Parade of the old New“ von Zoe Beloff.
Auf Karton malte Zoe Beloff während der Präsidentschaft von Donald Trump tagesaktuelle Ereignisse. Hier kam sogar Bert Brecht mit ins Bild (mit Schild „Change the World“).


Zoe Beloff ist im schottischen Edinburgh aufgewachsen, lebt seit Langem in New York und wirkt dort als Künstlerin und Professorin am Queens College. Im Mittelpunkt ihrer künstlerischen Arbeit steht die aktuelle Zeitgeschichte; sie möchte damit immer unterhalten und Diskussionen hervorrufen. In diesem Sinne ist auch „Parade of the Old New“ Historienmalerei in zeitgenössischem Gewand. Der Titel ist dem Brecht Gedicht „Parade des alten Neuen“ entnommen. Beloff begann das Werk kurz nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten; beendet hat sie es kurz nach der Vereidigung Joe Bidens. Auf 40 Metern sind tagesaktuelle politische Themen dargestellt, wie die Black Lives Matter-Bewegung, die Mauer zu Mexiko, Armut und Corona. Gemalt sind sie mit Acrylfarben auf 1,50 Meter hohen und 1 Meter breiten Kartons, dem Material, das bei Demo-Schildern eingesetzt wird und mit dem sich Obdachlose nachts zudecken. Im Stil poppig, fast naiv und in kräftigen Farben werden die Ereignisse teils realistisch, direkt angelehnt an die Nachrichtenbilder, teils allegorisch (Polizisten als Deutsche Schäferhunde) gezeigt und kritisiert. Mit großer Wut, die auch im Interview zu spüren war, klagt die zierliche Zoe Beloff die sozialen Ungerechtigkeiten und den Faschismus der Trump-Ära an. Auch Brecht hat sie gemalt: In der Sequenz, wo Schwarze in gelber Farbe „Black Lives Matter“ in Washington auf den Boden malen, steht er mit einem – wieder – Pappschild, auf dem zu lesen steht: „CHANGE THE WORLD, IT NEEDS IT“. Auf der letzten Tafel ist Amanda Gorman zu sehen, in ihrem gelben Mantel mit rotem Haarband, und einem Zitat aus ihrem Gedicht „The Hill We Climb“, das sie bei der Amtseinführung von Joe Biden vortrug. Ein hoffnungsvoller Schluss.


Grischa Meyer/ Holger Teschke: „Bertolt Brechts Papierkrieg. Exil in Amerika (1941-1947)“

Die Ausstellung ist dem JOURNAL und der KRIEGSFIBEL gewidmet, zwei Projekten, die Brecht während der Zeit des Exils zunächst in Dänemark und dann fortgesetzt in Schweden, Finnland und den USA verfolgte und die zu den außergewöhnlichsten Werken seines literarischen Schaffens gehören. Als Dramatiker ohne Bühne und in einer sprachfremden Umgebung, fand er eine dokumentarische Form der Auseinandersetzung mit der Gegenwartsgeschichte von Krieg und Exil – und zunehmend auch mit der zunehmend brutalen amerikanischen Realität der McCarthy-Ära.

Die Ausstellung „Papierkrieg“ gibt Einblicke in Brechts JOURNAL im amerikanischen Exil.

Grischa Meyer und Holger Teschke erzählen über ihre Ausstellung „Papierkrieg“.


Ausgangspunkt der aufwändigen Recherchen war die Frage, wo all die Dokumente aus Tageszeitungen und Magazinen herstammten, die Brecht in seinem Journal verwendete. Grischa Meyer vergrub sich noch zu Zeiten ohne Internet in Mikrofiche-Archiven in Amerika. Wie er im Interview erzählt, sieht er das Journal als mediales Gesamtkunstwerk mit „feinfühligem Layout“ und nicht nur als Buch. Bis heute ist es nicht in seiner Gesamtheit veröffentlicht, da die Zeitungsausschnitte und Bilder meist nur als Illustrationen der Brecht'schen Texte aufgefasst werden. Vielmehr ist das Journal selbst als historische Quelle wertvoll, anhand derer man so manchen Anlass für Brechts Schreiben finden kann: Beispielsweise ist im Journal ein Ausschnitt aus einer Reportage im LIFE Magazine vom 7. Mai 1945 verwendet, die vom Einmarsch der Amerikaner in deutschen Städten berichtet und die Basis für Brechts „Epistel an die Augsburger“ bildete.

Anschauliche Darstellungen ergänzen Brechts Dokumente: hier seine Fluchtroute.
 

Der Titel „Papierkrieg“ bezieht sich in seiner Doppeldeutigkeit auf Brechts Befassung mit dem vielen Papier der Zeitungen, deutet aber auch die vielen bürokratischen Hürden an, die ihm auf seiner Flucht immer wieder in den Weg gestellt (und meist von Helene Weigel aus dem Weg geräumt) wurden. Ergänzt werden die Ausschnitte aus den Journal-Seiten durch Zeichnungen und Grafiken. Bringen Sie etwas Zeit mit, um sich auf diese wirklich interessanten Zusammenhänge einzulassen!

Projektidee/Konzept/Gestaltung: Grischa Meyer
Text/Dramaturgie: Holger Teschke
Zeichnungen: Gerhard Oschatz


„Post von Papa“

Obwohl die Eröffnung mit Preisverleihung erst am 25.2. stattfindet, ist bereits jetzt die Ausstellung zu sehen, die als Projekt des Bert Brecht Kreises Augsburg in Zusammenarbeit mit dem Brechtbüro entstand.



Brecht und seine Familie waren im dänischen Exil oft viele Monate voneinander getrennt. Briefe und Postkarten waren die einzige Möglichkeit miteinander in Kontakt zu bleiben. Brecht war ein eifriger Briefeschreiber. An seinen Sohn Stefan schickte er 1938 eine besonders schöne Postkarte mit einem chinesischen Motiv. Darauf zu sehen sind sechs Kinder, die mit Figuren eine Theaterszene probieren. Für das Brechtfestival 2022 haben der Brechtkreis und das Brechtbüro Augsburger Schüler*innen eingeladen eine kreative Antwort auf Brechts Postkarte zu entwickeln. Das Brechtfestival präsentiert eine Auswahl der besten Arbeiten. Sie sind teils sehr anrührend.

Die Beiträge kommen aus diesen Schulen:

Frére Roger Förderschule
Werner-von-Siemens-Mittelschule
Gymnasium bei St. Stephan
Maria-Theresia-Gymnasium


Emine Sevgi Özdamar: „Collagen“

In der Vorbereitung zu ihrem Brasch Abend „Morgen wird auch ein schöner Tag, sagte die Eintagsfliege“ (Premiere: 18.2.2022) stießen Tom Kühnel und Jürgen Kuttner auf das Arbeitsjournal von Thomas Brasch und auf Emine Sevgi Özdamars Collagen. Özdamar begleitete als Mitarbeiterin von Thomas Langhoff und Manfred Karge die Inszenierung von „Lieber Georg“ von Thomas Brasch am Schauspiel Bochum.

„Collagen“ von Emine Sevgi Özdamar.
 

In ihrem jüngsten autobiographischen Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“ wird auch diese Theaterarbeit zum Thema. „Ich fing an, auf Davids Billardtisch Collagen zu machen. Der ganze Tisch voll mit geschnippelten Bildern, Papieren. Die Wörter des Brasch-Stücks wurden bald Bilder. Nach einem Monat Collagenarbeit saß ich mit Thomas in seiner Wohnung. Thomas schaute sich die Collagen an, sagte: „Ich werde Karge und Langhoff sagen, wenn sie beim Inszenieren des Stücks nicht weiter wissen, sollen sie Deine Gefühle fragen.‘“ Diese kleinformatigen Collagen sind jetzt erstmals in Augsburg zu besichtigen.

Emine Sevgi Özdamar und ihr neuer autobiografischen Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“

Emine Sevgi Özdamar liest aus ihrem neuen Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“.

In der Lesung, die sich an die Ausstellungseröffnung anschloss, las Emine Sevgi Özdamar dann aus ihrem neuen, autobiografischen Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“. Sie schildert, wie sie 1971 nach dem Militärputsch in der Türkei nach Deutschland flieht. Özdamar war in Istanbul auf die Schauspielschule gegangen und hatte Brecht von ganzem Herzen geliebt. Plötzlich wurden ihre an Brecht und anderen europäischen Denkern geschulten Wörter „durch die Wörter des Militärs unterbrochen“: „Meine türkischen Wörter waren krank geworden; Brecht war mein Sanatorium“, sagt sie. Aus ihrem neuen Roman liest sie einige sehr lebendige Szenen aus ihrer Anfangszeit in Ost-Berlin und Paris, wo sie mit den bewunderten Theaterleuten, Dichtern und Denkern arbeitet, aber auch Kontakt mit den Menschen auf den Straßen und Boulevards sucht. Anrührend und in feinem trockenen Humor erzählt sie von zwei Nutten, die ihr das Fahrradfahren beibringen, aber auch von ihrer Karriere als Putzfrau in zwei Stücken von Thomas Brasch, in denen sie es immerhin vom Putzkübel zum Staubsauger schafft!


Emine Sevgi Özdamar, 1946 im kurdischen Teil der Osttürkei geboren, wuchs in Istanbul auf, wo sie auch die Schauspielschule besuchte. Auch aufgrund der sich zuspitzenden politischen Lage in ihrem Land entschied sie sich in den späten 1970er-Jahren nach Berlin zu gehen. Sie wurde Assistentin von Regisseuren wie Matthias Langhoff, Einar Schleef und Claus Peymann. Neben ihrer Arbeit Schauspielerin begann Özdamar selbst Regie zu führen und Theaterstücke zu schreiben, später auch Erzählungen und Romane. Seit 2017 ist sie Mitglied der Akademie der Künste Berlin. Für den neuen Roman erhielt sie den Bayerischen Buchpreis und ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.


Text und Fotos: Sabine Sirach

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