Eröffnung Brecht-Festival: Thomas Brasch – Zorn und Verzweiflung

Immer wieder in Filmaufnahmen präsent: Thomas Brasch .



Ein intensiver Eröffnungsabend für das Brechtfestival

Der Auftakt für das Brechtfestival bestand nicht wie sonst aus langen Reden und Selbstlob, sondern aus einem lockeren Frage-und-Antwort-Wechsel, flott moderiert von Marion „Kleo“ Buk-Kluger. Da gab Eva Weber zu, dass sie zu Brecht erst im Erwachsenenalter einen Zugang fand – und ihn bis heute „anstrengend“ findet. Die Aktualität Brechts sieht sie gerade jetzt in seinem Pazifismus.

Kulturreferent Jürgen Enninger hob hervor, dass die beiden Festivalleiter Tom Kühnel und Jürgen Kuttner der Stadt einen neuen Blick auf Brecht beschert hätten, und war stolz darauf, dass sogar das Goethe-Institut zu den Förderern des Festivals gehört. Intendant André Bücker freute sich, dem Festival das Staatstheater als Plattform bieten zu können.

Marion Buk-Kluger moderierte die Eröffnung des Brecht-Festivals: Oberbürgermeisterin Eva Weber und Kulturreferent Jürgen Enninger ...
… sowie Intendant André Bücker und die Festivalleiter Jürgen Kuttner und Tom Kühnel gaben Auskunft über das Festival.

Ganz lapdiar antwortete einer der beiden Festivalleiter Jürgen Kuttner, ob er denn jetzt nach drei Festivals einen anderen Blick auf Brecht hätte?: „Nö!“ und setzte dann nach: „aber auf den anderen Sohn der Stadt, Roy Black.“ Die Arbeit am Festival habe sich dieses Jahr „wie im Schlauchboot auf wildem Wasser“ angefühlt, „zwischen der Skylla Pandemie und Charybdis Bürokratie“.

Das dieses Jahr betont international ausgerichtete „World Wide Brecht“-Festival begann dann mit einem sehr deutsch-deutschen Autor. Überleitend zur folgenden Uraufführung des Theaterabends mit Texten von Thomas Brasch sagte Kuttner, der „Brecht-Enkel“ Brasch sei „unter dem Schutt der Wiedervereinigung untergegangen“ und mittlerweile fast schon unbekannt.

"Morgen wird auch ein schöner Tag, sagte die Eintagsfliege"

Der Eröffnungsbeitrag des Festivals war die neueste Inszenierung der beiden Festivalkuratoren Tom Kühnel und Jürgen Kuttner. Bertolt Brecht – Heiner Müller – Thomas Brasch. So lautet der Dreischritt, den sie seit ihrem ersten Festival 2019 gegangen sind. Wie Brecht für Müller, war auch Müller für Brasch eine wichtige literarische Vaterfigur. Müller seinerseits nannte Brasch eine der »größten Begabungen« seiner Generation. Mit Brecht verband Brasch auch seine Arbeit im Brecht-Archiv zum Thema „Brecht und Film“.

Die Rotfront-Kämpfer des Spanischen Bürgerkriegs.



Die erste Szene, „Der Zweikampf“ mit Textprojektion übertitelt, stellt die von Brasch bearbeitete Sage um das lyrische Duell zwischen Marsyas und Apoll dar. Marsyas weigert sich in Braschs Bearbeitung, gegen Apoll anzutreten, und zur Strafe wird ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen. Die drei Musen spielen in der Augsburger Inszenierung auf Flöte, Trompete und kleiner harter Drum die ohrenbetäubende Begleitmusik zur grausamen Geschichte.

Andere Texte und Gedichte sind sehr sensibel und eng am Menschlichen des kleinen Mannes oder der kleinen Frau (deren Emanzipation in „Der Sprung“ besonders anrührt). Immer wieder geht es Brasch um die Verbesserung der Verhältnisse.

"Komm, wir lassen uns erschießen!"
 
Stark abstrahiert, aber ausgesprochen eindrücklich die Szene zwischen dem jungen (durch drei Schauspieler dargestellten) und dem alten Mann, der vom Spanischen Bürgerkrieg erzählt; die Rotfront-Kämpfer werden von den dreien mit Gewehren und Fahne verkörpert. Dazu das Lied „Komm wir lassen uns erschießen“ von Ideal aus der Neuen Deutschen Welle, passend zu der Zeit, in der sich Brasch im Westen assimilieren musste.

Eine schöne Abwechslung zum Schauspiel wird in einem indonesischen Schattentheater die Auseinandersetzung des Autors, der sich aus der grauen Stadt in die heile Natur zurückgezogen hat und doch der großen, bedrohlichen Allegorie der DDR nicht entkommt – schließlich verführt sie ihn als hübsches junges Mädchen und zieht ihn wieder auf ihre Seite.

Der Abend bietet eine Collage aus Texten von und über Thomas Brasch, seinen Bearbeitungen von Heine, Goethe, Brecht, Heiner Müller und historischen Filmaufnahmen. Nach und nach erschließen sich seine Biografie, sein existenzielles Leiden an und in der DDR und sein Scheitern auch im Westen. 20 Jahre ist es her, dass Thomas Brasch – wie Brecht – mit 56 Jahren an Herzversagen starb. Wie Brecht hielt Brasch die Unabhängigkeit von Kunst und Geist für unabdingbar und kritisierte die Widersprüche in der DDR.

Schön und bedrohlich: die DDR im Schattenspiel.

 

Der Staat mit den hohen Idealen verkommt zum totalitären Überwachungsstaat. Brasch verliert seinen Journalistik-Studienplatz wegen „Verunglimpfung führender Persönlichkeiten der DDR“, kommt wegen „staatsfeindlicher Hetze“ ins Gefängnis und wird schließlich von der DDR in den Westen abgeschoben. 1976 trifft er mit seiner Freundin Katharina Thalbach in West-Berlin ein. Doch auch mit dem kapitalistischen System kommt Brasch nicht zurecht.

Sogar in seiner Dankesrede bei der Verleihung des Bayerischen Filmpreises 1981 im Cuvilliés-Theater thematisierte er die Widersprüche der Systeme. Dass er in seiner Rede dem DDR-Staat für seine Filmausbildung dankte, führte zum Eklat und einer beleidigten Replik durch den anwesenden Franz Josef Strauß.

Staatstragende Beerdigung

Aber auch mit seinem Vater setzte sich Brasch scharf auseinander. Seine Rolle als Sohn des hochrangigen DDR-Funktionärs nahm er nie an. Dessen staatstragende Beerdigung mit viel Politprominenz wirkt mit ihrem Pomp, gezeigt in Originalfilmaufnahmen von 1989, gleichzeitig traurig und komisch.

Gezeigt wird all dies in einem weißen Schaukasten mit wenigen Requisiten, dafür kommen mal wieder die derzeit am Augsburger Staatstheater sehr beliebten Videoprojektionen zum Einsatz, samt Bühnennebel und (bewusst?) asynchronem Live-Sprech zu vorab gefilmten Aufnahmen. In all den vielen Rollen agieren schwungvoll und spielfreudig die Augsburger Ensemblemitglieder Natalie Hünig, Christina Jung, Paul Langemann, Sebastian Müller-Stahl und Pascal Riedel.

Auch beim Verlassen der Brechtbühne ist noch einmal „Komm wir lassen uns erschießen“ zu hören…und danach hört man im Radio wieder die Nachrichten über Russland und die Ukraine. Politischer und aktueller kann Theater kaum sein.


Text: Sabine Sirach
Fotos: Sabine Sirach, Jan-Pieter Fuhr

Kommentare