FRIEDEN im Goldenen Saal. |
Vorsichtiger Optimismus in der Pandemie:
Das Friedensgespräch „Pandemie und Frieden – was macht Corona mit unserer Gesellschaft?“ mit Ulrike Protzer und Armin Nassehi im Goldenen Saal
Bürgermeisterin Martina Wild wies in ihrer Begrüßung auf die 6 Millionen Corona-Toten weltweit und über 600 in Augsburg hin. Die Kennzahlen seien immer noch sehr hoch und ernst zu nehmen: „Wir dürfen nicht zu nachlässig sein!“ Mit Bezug auf den Ukraine-Krieg sagte sie, dass Augsburg als Friedensstadt mit der Aufnahme von Flüchtlingen und der Unterstützung der Menschen in der Ukraine helfen könne. In diesem Sinne wolle die Stadt mit dem Friedensgespräch auch Mut machen.
„Es braucht nur einen für den Krieg, aber uns alle für den Frieden.“ Martina Wild
Birgit Frank, Moderatorin vom Bayerischen Rundfunk, fragte nachdenklich: „Wer hätte gedacht, dass Corona mal das positivere Nachrichtenthema sein würde, verglichen mit dem Krieg?“. Von dem Friedensgespräch erwarte sie sich Antworten auf die Fragen: Was haben wir gelernt? Wie geht es weiter?
In ihrem Eingangsstatement stellte die bekannte Virologin Prof. Ulrike Protzer aus München die Frage, wo wir in der Pandemie momentan stehen – und beantwortete sie mit einem klaren „Auch wir wissen´s nicht!“ Die derzeitige Corona-Welle werde brechen, aber man könne nicht wissen wann. Sie betonte, dass aus virologischer Sicht ein Ende der Maßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu empfehlen sei. Den Ausbruch der Pandemie skizzierte sie mit dem Blick darauf, dass uns das Virus zunächst völlig unbekannt gewesen sei – nicht nur mental, auch dem menschlichen Immunsystem. Jetzt könne man besser damit umgehen; das Virus, medizinische Maßnahmen (Medikamente, Impfungen) seien bekannt. Sie warnte aber, dass die Omikron-Variante auch Geimpfte treffe – „es wird uns weiter beschäftigen!“ Die kritische Infrastruktur sei gefährdet, und jetzt komme noch die Belastung durch die Geflüchteten hinzu. „Dadurch haben wir jetzt gelernt, dass es noch GANZ andere Probleme als Corona gibt!“
Ulrike Protzer und Armin Nassehi verstanden sich gut, hatten aber durchaus auch verschiedene Ansichten. |
„Virologen sind keine Wahrsager.“ Ulrike Protzer
Der Soziologe Armin Nassehi stellte an den Anfang seines Statements die Frage „Was ist Krise?“ Das Problem sei ja, dass wir unsere Abhängigkeit von Situationen sehen, die wir nicht kontrollieren können – und dadurch entstehe Unsicherheit. Habe die Politik anfangs die richtigen Entscheidungen getroffen? Da kam einer der Nassehi-typischen, bodenständigen Sätze: „Man weiß in der aktuellen Situation nie, was die richtige Entscheidung sein wird. Sonst müsste man ja nicht entscheiden, sondern nur tun.“ Er definierte unsere Gesellschaft mit all ihren Institutionen als komplexes System – und diese Systeme seien strukturell immer stressanfällig bei Störungen, wie man auch jetzt in der Kriegssituation wieder sehe. Da Gesellschaften aber weniger durch kognitive als habituelle Verhaltensweisen geprägt würden, bewege sich nicht viel.
„Trotz der Krise geht alles erwartbar weiter, denn Gesellschaften sind träge!“ Armin Nassehi
Im Gespräch betonte Protzer wiederum, auch Virologen könnten nicht voraussagen, wie es weitergeht. „Ich wollte immer ehrlich sein und sagen, hier fängt die Glaskugel an“, gab sie zu. Beide Professoren haben die bayerische Staatsregierung in der Corona-Krise beraten; im Gegensatz zur Wissenschaft sei Politik auch dazu da, die Unsicherheit der Bevölkerung abzufangen. Sogar Angela Merkel habe gesagt, sie könne die Dinge, die sie für richtig finde, oft nicht durchsetzen. Es habe sich auch als negativ herausgestellt, wenn die Wissenschaft in der Öffentlichkeit polarisiere. Die Frage, ob es Situationen gab, wo sie von der Politik zu bestimmten Aussagen gedrängt worden sei, bejahte Protzer. Geärgert habe sie sich, als sie nach einer Entscheidung über bestimmte Maßnahmen gefragt worden sei, da habe man im Nachhinein eine Bestätigung gewollt – wozu?
Gefragt, ob wir aus der Pandemie etwas gelernt hätten, kam von Nassehi ein entschiedenes „Nein! In zwei Sommern wurde so getan, als sei die Pandemie weg, rein gegenwartsorientiert. In komplexen Systemen ist Zukunftsorientierung ja generell schwierig, aber in Deutschland wurden die Maßnahmen auch nur halbherzig ergriffen, dadurch hat sich alles verlängert. Ich habe mir abgewöhnt, an Lernprozesse zu glauben.“ Die komplexen Systeme und Strukturen hätten sich ohnehin nicht geändert.
Einig waren sich die beiden, dass Infrastrukturen ohne großes öffentliches Aufsehen im Hintergrund aufgebaut werden müssten, um in Krisenzeiten gewappnet zu sein. Dafür sei auch eine Institutionalisierung des Dialogs zwischen Wissenschaft und Politik nötig. Dennoch: „Deutschland ist vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen, sowohl medizinisch als auch ökonomisch.“, meint Ulrike Protzer.
Auch auf die Frage, ob sich mit der neuen Bundesregierung an der Pandemiepolitik etwas grundsätzlich ändern würde, waren sich die beiden Wissenschaftler einig: „Unsere Politiker sind brillante Köpfe“ (Protzer), „Die politischen Entscheidungsträger machen einen guten Job“ (Nassehi) In den komplexen politischen Entscheidungsprozessen werde manchmal sogar zu halblegalen Mitteln gegriffen, wie Bayern mit der Entscheidung zeige, einfach das ganze Bundesland zum Hotspot zu erklären. Das ist nach Nassehis Meinung aber eine „produktive Illegalität“.
Bürgermeisterin Martina Wild bei der Begrüßung. |
„Die Krise ist zum Normalzustand geworden.“ Armin Nassehi
Das Thema einer allgemeinen Impfpflicht diskutierten die beiden sehr grundsätzlich. Die deutsche Gesellschaft sei stark durchreglementiert, wie an Beispielen aus dem Straßenverkehr zu sehen sei. Man solle sich am besten an die Maxime halten „wir reglementieren nur, was wir auch sanktionieren können“ (Nassehi). Und hier griffen natürlich auch die Grenzen der individuellen Freiheit, die da endet, wo sie andere einschränkt, erinnerte Protzer. Während man sich mit dem Anschnallen im Auto nur selbst schütze, eine Gurtpflicht aber durchsetzbar gewesen sei, schütze man mit Maske und Impfung auch andere – warum also ist es so schwer, die Masken- und Impfpflicht durchzusetzen? In diesem Sinne sei die Pandemie vor allem ein soziales Phänomen.
Eine Spaltung der Gesellschaft werde vorwiegend von den Medien herbeigeredet, empirisch nachzuweisen sei sie laut Nassehi nicht. Es gebe vorwiegend in den sozialen Medien viel Unruhe und immer wieder die üblichen Verdächtigen, die in den Verschwörungstheorien auftauchten. die Eliten, Bill Gates und andere. Schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts habe es viele „Quatsch-Argumente“ (Nassehi) gegen Impfungen gegeben, die heute ziemlich lächerlich klingen. Insofern seien die Querdenker ja noch nicht mal kreativ, findet Nassehi. Man müsse sich immer fragen, wo – auf der Mikro- und Makro-Ebene – die Interessen liegen: Wem nützt es, wenn der Gegner schlechter durch die Pandemie kommt?
Die Gesprächsrunde von links nach rechts: die Moderatorin Birgit Frank vom Bayerischen Rundfunk,, die Virologin Prof. Ulrike Protzer, der Soziologe Prof. Armin Nassehi. |
„Wer hätte gedacht, dass wir uns mal nach dem klassischen Stammtisch zurücksehnen würden?“ Protzer und Nassehi in der Diskussion über soziale Medien
Wie geht es weiter? Wie arbeiten wir die Erfahrungen aus der Pandemie auf? Hier setzen die beiden Diskutanten vor allem auf Diskurs, man solle „Semantiken des Streits“ anbieten. So habe der Bayerische Ethikrat für Ende des Jahres eine Konferenz geplant, um gemeinsam darüber nachzudenken. Änderungen gebe es vorwiegend auf den höchsten Ebenen; Protzer nannte Beispiele aus Gesprächen mit Konzernen wie Siemens und BMW, die weniger von der Pandemie als von den gestörten Lieferketten Angst gehabt hätten und die Situation aktiv für Umstellungen genutzt hätten: so würde nicht mehr so viel um die Welt gejettet, die Fließbänder seien auf E-Autos umgestellt worden.
Dann gab es doch noch einen kleinen Blick in die Glaskugel, als die Moderatorin die ungeliebte Frage stellte, wo wir denn wohl in einem Jahr stehen werden? Protzer meint, dass es im Herbst wieder einen Anstieg der Infektionszahlen geben werde – „aber wir sind jetzt viel besser vorbereitet“. Nassehi meinte, in der öffentlichen Wahrnehmung werde die Pandemie dann vorbei sein, wenn es die Aufmerksamkeitsökonomie zulasse, also wenn das Thema von anderen verdrängt worden sei. Was mit dem Ukraine-Krieg ja jetzt schon beginne.
Insgesamt bot der Abend einen Diskurs, wie man ihn sich wünscht. Schade, dass sich nur ein relativ kleines Publikum (bei hoher Honoratiorendichte) für die Veranstaltung interessierte!
Text und Fotos: Sabine Sirach
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