Volles Haus und viel Familie beim Literarischen Abend in der Stadtbücherei Augsburg

Monika Helfer liest aus „Löwenherz“.


Lesung Monika Helfer und Literarischer Salon in der Stadtbücherei

Ein Highlight des Augsburger Bücherfrühlings war der Literarische Abend in der Stadtbücherei, veranstaltet von der Augsburger Allgemeinen parallel zu ihrem Frühlings-Bücherjournal, das traditionell zur – dieses Jahr abgesagten – Leipziger Buchmesse erscheint. Mit der Bestsellerautorin Monika Helfer als Zugpferd des Abends war die Stadtbücherei bis zum letzten Platz ausverkauft.

Birgit Müller-Bardorff von der Augsburger Allgemeinen stellte Monika Helfer vor und interviewte sie über ihr neues Buch und ihr Leben. Helfer ist in Vorarlberg geboren und lebt dort mit ihrem Mann Michael Köhlmeier, ebenfalls ein bekannter Schriftsteller. „Löwenherz“ ist – nach „Bagage“ von 2020 und „Vati“ von 2021 – ihr dritter autofiktionaler Roman über ihre Familie (und, wie sie sagt, der Schluss der Trilogie); sie veröffentlicht aber bereits seit 1977 neben Romanen auch Hörspiele, Kinderbücher und Theaterstücke. Die Popularität ihrer Romane führt sie darauf zurück, dass die Leser denken „das ist ja wie bei uns“ in der Familie.

„So war mein Bruder Richard…“ beginnt Monika Helfer, elegant schwarz-weiß gekleidet,  mit leicht rauer Stimme zu lesen. Sie erzählt von Richard, seinem Hund Schamasch und seiner Tochter Putzi, flicht immer wieder Lokalkolorit vom Bodensee ein und legt ganz nebenbei auch ihren eigenen Schreibprozess offen. Das ermöglicht ihr auch einen raffinierten Dreh: Wie sie sagt, wolle jeder Schriftsteller mal eine Sexszene schreiben, das liege ihr aber so gar nicht. Und so schildert sie kurzerhand ihr Gespräch mit ihrem Mann darüber, wie Richards Sexleben wohl war – und das ist dann die Sexszene!

Befragt, wie es sich denn so lebe, in einem Schriftsteller-Haushalt: „Es ist einfach praktisch, wenn man dasselbe macht“ – die beiden lesen sich ihre neuesten Passagen vor und kritisieren sich gegenseitig. 

Lauter Familiengeschichten im Literarischen Salon

Da Stefanie Wirsching wegen Krankheit ausfiel, saß eine reine Männerrunde auf dem Podium, wie sie etwas peinlich berührt selber zugaben:  

Michael Schreiner (Journalist, Fotograf und Buchautor, früher Leiter der AZ-Kultur – kurzfristig eingesprungen in der Notlage), Marius Müller (Leiter der Studienbibliothek Dillingen, früher Stadtteilbücherei Göggingen) und Kurt Idrizovic (Buchhandlung am Obstmarkt, Brecht-Shop und vielfältiger Literaturvermittler), moderiert von Richard Mayr (Kulturredaktion der Augsburger Allgemeinen), diskutierten über drei aktuelle Romane aus dem Hanser-Verlag, allesamt Familiengeschichten – „die geben einfach am meisten her“, wie Schreiner betont.

Uneins über Yasmina Reza „Serge

Die erfolgreiche Bühnenautorin Yasmina Reza legt mit „Serge“ einen Roman über schwierige Themen vor, mit bissigen Dialogen und einer zynisch-unkommentierten Schilderung der Figuren. Im Zentrum steht die Fahrt der Familie nach Auschwitz – und das, obwohl die gerade verstorbene Mutter Jüdin war! Während Idrizovic beeindruckt war von dem ganz anderen Umgang mit der Shoah in Frankreich als in Deutschland, fiel Schreiner die lange Verdrängung des Themas in der Familie auf – und das kocht dann hoch („ständig eskaliert irgendwas“, so Idrizovic). Marius Müller kritisierte allerdings, das Buch sei in der Ausführung der Charaktere schludrig geschrieben und banal.

Alle begeistert über Percival Everett „Erschütterung“

Einen tragischen Familienroman um einen Paläontologen an einer amerikanischen Universität hat Percival Everett geschrieben. Dessen Tochter erkrankt an einer unheilbaren Krankheit, und der schmerzhafte Umgang der Eltern damit steht im Mittelpunkt des Romans. In einem zweiten Erzählstrang wird der Professor zum Helden: Er rettet Arbeitssklavinnen in New Mexico. Die Diskutanten befragten sich gegenseitig, ob sie die berührende Geschichte nun kitschig fanden oder nicht, waren sich aber einig, dass das Buch ein großartiger Unterhaltungsroman sei, der gleich verschiedene Genres in sich vereint. Eine interessante Information steuerte Idrizovic bei: Es gebe drei Fassungen des Romans, die sich aber nur geringfügig in einem Detail unterschieden. Ob das nun die Diskussion der Leser (wie der Autor kolportiert) oder einfach den Verkauf fördert, wusste die Runde aber auch nicht.


Schöne Männerköpfe von hinten: Fotoshooting für die Diskutanten des Literarischen Salons …

… und hier die Salonlöwen von vorne in Aktion.

Einig über den lang fälligen Gastarbeiterroman: Fatma Aydemir „Dschinns“

Jahrzehntelang hat Hüseyin in Deutschland als Gastarbeiter geschuftet und sich davon eine schöne Wohnung in Istanbul geleistet – nur um am Tag seines Einzugs an einem Herzinfarkt zu sterben. Zur Bestattung reist seine ganze Familie an; jedes Familienmitglied hat sein eigenes Schicksal zu tragen. So entsteht ein Kaleidoskop über zwei Generationen. Auf dem Podium war man sich einig, dass dies der schon lang fällige Roman über Gastarbeiter in Deutschland sei, über die man viel zu wenig wisse (als Einziger hatte Idrizovic, selbst Sohn eines Weltkriegsüberlebenden aus Montenegro, einen biografischen Bezug zu dem Thema: „Es war, als sei mein Vater wieder auferstanden!“). Aydemir stelle die existenziellen Seiten des Lebens der Ausgewanderten dar; ein Gegensatz zu den Mittelstandsproblemen, denen sich die deutschsprachige Literatur derzeit vorrangig widme. Allerdings sei in dem Roman alles ein bisschen zu viel und zu laut: „Das ist Punk!“ war das Resümee der Runde.

Zum Schluss stellte jeder noch drei Buch-Empfehlungen vor, aktuelle oder eher klassische Werke, Politisches, Persönliches, Historisches – und nicht alles Familiengeschichten.


Text und Fotos: Sabine Sirach

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