Was bleibt? Das Brecht-Festival in Augsburg zeigte Brechts aktuelle Relevanz

Die Festivalleiter Tom Kühnel (li.) und Jürgen Kuttner (re.) entwickelten das Brecht-Festival vom Spektakel über eine rein digitale Fassung hin zum Überblick über die internationale Brecht-Rezeption.


Festivals sind ja gut und schön, man kann bei einem so dicht gepackten Programm wie beim Augsburger Brecht-Festival 2022 alles andere absagen und fast in einen Rausch geraten. Danach darf man sich dann fragen, was einem das Ganze gebracht hat. Was bleibt?

Auf jeden Fall bleibt die Erkenntnis, dass die weltweite Brecht-Rezeption (unter dem gut gewählten Motto „Worldwide Brecht“ einer der beiden Schwerpunkte des Festivals) außerhalb des deutschen Sprachraums viel lebendiger, direkter, kritischer ist – hierzulande ist Brecht eher „zum Klassiker verkommen“, wie Jürgen Kuttner, einer der zwei Festivalleiter, sagte.
Themen wie Vertreibung, Arbeitsmigration, Armut, Unterdrückung, Ausbeutung, Faschismus und Krieg – das alles hat Brecht angeklagt, und seine Texte sind heute erst recht brandaktuell. Zu erleben war das in den Beiträgen aus Belarus, Togo, China, Indien, Israel, Afghanistan und sogar den USA.

Sehr schlicht inszeniert waren die beiden Inszenierungen aus Belarus und Togo, die Brecht-Stücke gerade dadurch aktualisierten, dass sie seine Texte praktisch nicht veränderten. Kupalaucy aus Belarus spielte im Martini-Park „Furcht/Fear“ nach Bertolt Brechts „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ – unter schwierigen Umständen: konnten doch nicht alle aus der Truppe nach Augsburg reisen, während ihres Auftritts wurden ihre Kollegen in Belarus verhaftet, und die Rückreise in ihre Heimat war alles andere als sicher! Die Compagnie Louxor de Lomé (Togo) kam mit ihrer „Mère Courage/Mutter Courage und ihre Kinder“ auf die Brechtbühne; ihre Aufführung erinnerte sehr an Brechts Inszenierung 1950 mit Helene Weigel. Und sie rief uns ins Gedächtnis, wie Menschen als Kriegsgewinnler profitieren; ein Thema übrigens, das Brecht in seinem Kriegsjournal ebenfalls beschrieb: „die großen verbrechen sind nur möglich durch ihre unglaublichkeit.. gewöhnlicher betrug, einfache lüge, schiebung mit einem mindestmaß an scham, das trifft viele unvorbereitet. (…) sie weigern sich entrüstet, staatsmänner mit pferdedieben, generäle mit börsenspekulanten zu ‚verwechseln‘ … “ (Kleinschreibung im Original, nachzulesen in der Ausstellung des Kriegsjournals.) Aktueller geht es nicht!

Brecht ganz unverstellt: Einen Einblick in Brechts Theaterschaffen boten die Tonaufnahmen seiner Probenarbeit, veröffentlicht von Stephan Suschke (links).



Kurzfilme trugen China, Indien, Israel, Afghanistan und die USA bei, initiiert durch das Brecht-Festival. Fünf Studenten-Gruppen der Central Academy of Drama in Beijing setzten sich mit Brecht-Texten wie „Vom Armen B.B.“ oder den „Fragen eines lesenden Arbeiters“ auseinander und plagten sich teils so sehr, dass ihnen ein „Fuck Brecht!“ entfuhr. Die frischen, mit unterschiedlichsten neuen und traditionellen Medien umgesetzten Ideen der Studenten aktualisierten Brechts Aussagen für die chinesische Gesellschaft (sogar erstaunlich kritisch) und auch ihre eigene studentische Situation.

An einem Nachmittag waren dann vier Kurzfilme aus USA, Indien, Israel und Afghanistan zu sehen. Die amerikanischen Studenten aus Missouri fragten sich sehr hintergründig, was ein Brecht’sches Lehrstück uns heute noch bringen kann (oder auch nicht); aus Indien erfuhr man von den Schicksalen der Wanderarbeiter, die im Lockdown plötzlich ohne Arbeit dastanden und sich zu Fuß über tausende von Kilometern auf den Heimweg in ihre Dörfer machten. Der israelische Beitrag (für Ihre Rezensentin das Highlight des ganzen Festivals!) thematisierte – ungeplant – die Gentrifizierung und Landnahme durch jüdische Einwanderer gegenüber den alteingesessenen Arabern. Und aus Afghanistan kam ein Film, unter allerschwierigsten, ja lebensbedrohlichen Umständen mit Handys gedreht, von den Frauen eines Theaterkollektivs, die jetzt nur noch im Untergrund überleben können.

Ganz besonders intensiv wurden diese internationalen Beiträge durch die direkte Einbeziehung der Künstler, mit ihrer Anwesenheit in Augsburg oder per Zoom-Konferenz auf digitalen Wegen. Die chinesischen Studenten schlugen sich dafür sogar ihre Nacht um die Ohren: sie standen bis 4:00 Uhr morgens für den Dialog mit Augsburg Rede und Antwort.



Der zweite Schwerpunkt des Festivals, die Befassung mit Thomas Brasch, als „Brecht-Enkel“ beworben, fiel dagegen ab. Brecht-Epigonen: Wenn sie uns heute noch etwas sagen, muss man sie nicht unter Brecht subsumieren und kann sie eigenständig würdigen. Wenn nicht, brauchen sie auch nicht beim Festival in den Vordergrund geschoben zu werden. Braschs Biografie und sein Ringen mit den beiden deutschen Systemen sind interessant und mitreißend genug, seine Gedichte so sensibel, dass es lohnt, ihm Respekt zu zollen. Beim Brecht-Festival war diese Würdigung allerdings einigermaßen zerfleddert; das rettete auch die prominente Platzierung von „Morgen wird auch ein schöner Tag…“ am Eröffnungsabend nicht.

So albern es klingt: Was dem Festival gutgetan hätte, wäre mehr Brecht gewesen! Mit seiner Biografie und Arbeit – nicht der aktuellen Rezeption – befassten sich nur zwei Beiträge: die Ausstellung über sein Kriegsjournal und die Veröffentlichung von „Brecht probt Galilei 1955/56“, wo man viel über den Menschen und großartigen Theatermann Brecht erfahren konnte. Natürlich tut man sich mittlerweile schwer, Zeitzeugen zu finden, die Brecht noch selbst in seiner Theaterarbeit erlebt haben – möglich wäre es, und wenn nicht live, dann medial.

Wie Brecht auch zum Dialog der Kulturen beitragen kann, zeigte der Kurzfilm aus Israel: Ungeplant kam ein Kontakt zwischen Israeli und Araber zustande.



Parallel bot sich auch im digitalen Raum die Möglichkeit, dem Festival per Livestream und Mediathek zu folgen. Es gab teils harsche Kritik über die technische Umsetzung, da gilt es Verbesserungen umzusetzen. Die aufgezeichneten Beiträge und Digitalprojekte sind noch weiter in der Mediathek unter brechtfestival.de verfügbar. Es wäre interessant, die Nutzerzahlen und -strukturen zu erfahren, um zu sehen, ob und an welchen Stellen sich der Aufwand lohnt.

Nun darf man gespannt sein, wie es weitergeht. Nach drei Jahren, in den sie sich konzeptionell erheblich weiterentwickelt haben, hören Jürgen Kuttner und Tom Kühnel als Festivalleiter auf; mit Julian Warner steht der neue Festivalleiter schon fest. Kuttner merkte im Interview an: „Ich habe generell den Eindruck, dass die Stadt nicht so richtig weiß, was sie mit dem Brechtfestival will. Die Kulturverantwortlichen sollten sich einmal wirklich darüber Gedanken machen, was man mit diesem Festival machen kann…“ Die Stadt habe es jedes Mal versäumt, nach dem Festival ein Resümee zu ziehen und daraus ein Verbesserungspotenzial abzuleiten. Wie wäre es, wenn Stadt und Festivalmacher diesmal aus den gemachten Erfahrungen lernen würden?


Text und Fotos: Sabine Sirach

Unsere Autorin Sabine Sirach beim Brecht-Festival 2022.

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