Otoo-Roman: Geflecht aus vier Frauenschicksalen

Erfahrungsaustausch zwischen zwei afrodeutschen Frauen: Sharon Dodua Otoo (li.) und Simone G. Bwalya (re.)



Über Nacht zur deutschen Autorin:
Die Autorin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo in der Stadtbücherei Augsburg


Es brauchte drei Anläufe, bis sie endlich stattfinden konnte: eine Lesung mit Sharon Dodua Otoo, als Hybridveranstaltung online und im S-Forum der Stadtbücherei. Organisiert wurde sie von Simone Bwalya, die auch moderierte, in Zusammenarbeit mit der Buchhandlung am Obstmarkt.

Die Autorin und Aktivistin Otoo ist in London aufgewachsen und hatte, wie sie berichtet, schon als Kind ein großes Mitteilungsbedürfnis – das sie nun als Schriftstellerin ausleben kann. In ihrer Jugend stellte sie sich die Frage: „Wo ist mein wirkliches Zuhause?“ – mit ghanaischen Eltern in Großbritannien. Die studierte Germanistin begann erst in Deutschland, als alleinerziehende Mutter, zu schreiben – zunächst Erzählungen auf Englisch, dann den Roman „Adas Raum“. 2016 las sie – auf Einladung von Sandra Kegel von der FAZ – beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt und gewann mit ihrer ungewöhnlichen Geschichte „Herr Gröttrup setzt sich hin“ den ersten Preis. „Und so wurde ich über Nacht zur deutschen Autorin!“

In ihrem Roman „Adas Raum“ greift sie die Figur der Ada aus der Gröttrup-Geschichte wieder auf und baut sie aus. In einem Geflecht aus vier Frauenschicksalen vom 15. bis ins 21. Jahrhundert erzählt sie von Kolonialismus, Frauendiskriminierung und einer faszinierenden Jenseitsvorstellung. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Verdrängtes wieder zum Vorschein kommt – im Roman symbolisiert durch verschüttete Erinnerungen, die die Reinkarnationen der vier Ada-Figuren vom einen Leben zum anderen mitnehmen, aber nicht erinnern können. 

Im 15. Jahrhundert muss Ada den Tod eines Babys verkraften, dann taucht der erste Weiße Mann auf: der Beginn des Kolonialismus. Im 19. Jahrhundert ist die Wesenheit von Ada Lovelace verkörpert, einer genialen Mathematikerin und Vordenkerin des Computers, die wirklich gelebt und sich unter anderem mit Charles Dickens getroffen hat (die Affäre mit ihm ist allerdings eine Erfindung Otoos); sie leidet darunter, als Frau in der Männerdomäne Wissenschaft nicht ernst genommen zu werden. Im 20. Jahrhundert die aufrüttelnde Geschichte von der im KZ Mittelbau-Dora Gefangenen, die im KZ-Bordell zur Prostitution gezwungen wurde, als Belohnung für Zwangsarbeiter. Diese Schilderung wurde vom Leiter der KZ-Gedenkstätte hoch gelobt, trug Otoo aber auch den Vorwurf ein, Geschichtsrelativierung zu betreiben, indem sie Kolonialismus und Holocaust auf eine Ebene stelle.

Der Roman ist vielschichtig und wurde von der Kritik häufig als verwirrend bezeichnet. Dies ist von Otoo beabsichtigt; der Leser soll die Verwirrung der Figuren miterleben, die Diskriminierung und Unterdrückung nicht verstehen: „Was passiert hier eigentlich gerade?“ Auch die Körperlichkeit, nach der sie aus dem Publikum gefragt wurde und die sich in allen Teilen des Romans deutlich wiederfindet, dient der Einfühlung: Damit will Otoo Nähe und Irritation herstellen und erfahrbar machen.

Diese Absichten verfolgt Sharon Dodua Otoo auch in ihrem politischen Aktivismus, wo sie die Anliegen von Schwarzen, Frauen und queeren Menschen vertritt Ihr Ziel: Empowerment für unterprivilegierte Menschen, die unter diskriminierenden Machtungleichheiten leiden. Befragt zum Thema Antirassismus sagt sie, der Begriff Rassismuskritik sei ihr lieber – beim Antirassismus gebe es immer die Möglichkeit, sich selbst aus der Diskriminierung herauszunehmen.

Im Erfahrungsaustausch mit Simone G. Bwalya, die den Abend leitete, ergaben sich interessante Aspekte des Aktivismus, die beide verbindet: Beide engagieren sich in mehreren Vereinen, die jeweils andere Schwerpunkte der Menschen mit verschiedenen Hintergründen und Brüchen repräsentieren. Dabei entstehen auch immer wieder neue Herausforderungen und Konflikte, innerhalb und zwischen den Gruppen. Der Wunsch von Bwalya: „Wir Afrodeutsche wollen als Community leben“ ist also nicht ganz einfach umzusetzen.

Das durchgängig Weiße – und fast ausschließlich weibliche – Publikum im voll besetzten Saal hatte einige interessierte, sehr unterschiedliche Fragen an die Autorin und bekam ganz neue Einsichten in ihre Themen.

Sharon Dodua Otoo wurde 1972 in London geboren und kam 2006 nach Deutschland, lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie schreibt Prosa und Essay und ist unter anderem bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V. politisch aktiv. 2016 gewann sie den Ingeborg-Bachmann-Preis mit dem Text „Herr Gröttrup setzt sich hin“ (online als pdf hier zu lesen!) 

Sharon Dodua Otoo liest aus “Adas Raum”.


2021 erschien ihr erster Roman „Adas Raum“. Derzeit organisiert sie ein Literaturfestival für afrodeutsche AutorInnen, das im Mai bei den Ruhrfestspielen stattfinden wird.

Das Gespräch wurde geführt und moderiert von Simone G. Bwalya, Sie ist freischaffende Künstlerin und Physiotherapeutin, sie lebt seit 1997 in Augsburg. Sie engagiert sich in zwei Vereinen und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die multikulturelle Vielfalt im Bereich von Kunst und Kultur mit ihrer Initiative „Diverse Kulturprojekte Augsburg“ sichtbar zu machen.


Text und Fotos: Sabine Sirach

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