Selbstoptimierung nach Affenart - Sinnlich, einfühlsam und anklagend dargestellt von Matthias Klösel

Auftritt: der Affe.



Kafkas EIN BERICHT FÜR EINE AKADEMIE von der Theaterwerkstatt im City Club

Mit lautem „Uh-Uh-Uh“ rennt ein als Affe verkleideter Mensch auf die Bühne, nimmt das Publikum ins Visier – und wirft dann seine Affenmaske und -hände ab. So eindringlich beginnt Matthias Klösel seinen Monolog des Affen, der die Menschwerdung als einzigen Ausweg aus seiner desolaten Lage sieht. Grandios erweckt er die Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“ von Franz Kafka zum Leben, eine von mehreren Auseinandersetzungen Kafkas mit der dünnen Grenze zwischen Mensch und Tier.

Raus aus der Affenmaske.

Der Affe, den die Menschen später „Rotpeter“ nennen werden, wird auf einer Expedition von Hagenbecks Tierpark in Afrika angeschossen und eingefangen. Auf der qualvollen Schiffsreise nach Europa hat er, eingesperrt in einen Käfig, die ersten Kontakte mit Menschen – und ihm dämmert, dass er sich nur so frei bewegen können wird wie sie, wenn er sich ihnen anpasst, sich selbst vermenschlicht. Er begreift, dass es für ihn nur zwei Möglichkeiten gibt: im Zoo ausgestellt zu werden oder im Varieté aufzutreten. Er wählt das Varieté als Ausweg, nicht als Freiheit, wie er immer wieder betont.

„Man lernt, wenn man muss“

Gegen seinen ursprünglichen Widerwillen zwingt er sich, Pfeife zu rauchen und Schnaps zu trinken, ja beginnt sich in der menschliche Sprache zu äußern. In Europa angekommen, beginnt er ein intensives Programm der Assimilation, lässt sich von fünf Lehrern gleichzeitig unterrichten und wird schließlich mit seinem menschlichen Auftreten zum Star. Seine Affengestalt verändert sich jedoch auch während seiner Menschwerdung nicht, und trotz seiner menschlichen Lebensweise (er geht auf Bankette, wissenschaftliche Gesellschaften und gemütliches Beisammensein) bleibt er der Fremde, der Außenseiter. Er selbst erinnert sich nicht mehr an sein Affendasein, an das nur noch das Hemd mit Dschungelmuster erinnert.

Schön machen für die Menschen.


Der Monolog des Affen ist sachlicher Bericht und Innenschau zugleich, Gefühle und Gedanken werden genauso beschrieben wie die äußeren Umstände seiner Gefangennahme und Entwicklung. Als „Bericht für eine Akademie“ angelegt, ist er doch eigentlich ein Selbstgespräch, ja fast eine Rechtfertigung für das ungewöhnliche Verhalten, das der Affe ausbreitet. Mit nur winzigen Textänderungen (so begrüßt er sein Publikum mit Damen und Herren – bei Kafka hatte die Akademie nur Herren; beim Handschlag grüßt er mit Grüß Gott und Servus, auch in Fremdsprachen) spielt Klösel den ganzen originalen Text.

Die Theaterwerkstatt hat kein festes Haus, sondern sucht, wenn möglich, für jede Inszenierung nach neuen, spannenden Aufführungsorten. Mit dem City Club ist ihr das für die Kafka-Inszenierung gelungen: Die rohe und düstere Umgebung lässt an die Atmosphäre des Eingesperrtseins im Käfig im Bauch des Schiffes denken.

Ich!


Mit sparsam, aber intensiv eingesetzten Medien unterstreicht der Regisseur Leif Eric Young vom theter ensemble die Darstellung Klösels. Der singt das Hagenbeck-Lied vom Affen Peter („Geh´n wir mal zu Hagenbeck…“), man sieht schwarzweiße Fotos und Filmschnipsel von den kolonialistischen Expeditionen, und gegen Ende der Menschwerdung ist der „Sonnenaufgang“ aus Richard Strauss´ „Also sprach Zarathustra“ zu hören, bekannt aus Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ – untermalt mit Filmclips der ersten bemannten Raumfahrtmissionen.

Mensch und Affe.


So entstehen alle möglichen aktuellen Assoziationen. Auch heute kommen Fremde –Flüchtlinge – in Schiffen übers Meer nach Europa, wird Selbstoptimierung mit manischem Lernen und Üben betrieben. Der Affe durchläuft quasi eine Evolution im Schnelldurchlauf und deutet an, dass sich ja jeder Mensch im Mutterleib entwickelt habe. Der „Bericht für eine Akademie“ wurde 1917 zuerst in der Zeitschrift „Der Jude“ veröffentlicht – auch die Kritik an der Assimilation der Juden in Europa liegt also nahe. Weiterführende Gedanken führen zu den Fragen: Ist der Mensch wirklich die Krone der Schöpfung, das Ende der Evolution? Oder geht es mit Selbstoptimierung, Roboterisierung, Künstlicher Intelligenz noch weiter?

Der Affe wird böse.
 

Ausweg, nicht Freiheit

Was sich der Affe dadurch ermöglicht, bleibt aber immer nur Ausweg und gibt ihm nicht „dieses große Gefühl der Freiheit nach allen Seiten“ wieder. Er leidet am Lernen, verzweifelt über anfängliche Misserfolge und versucht durch die Menschwerdung sein Trauma zu überwinden. Der Text enthält auch Kritik an der Tierdressur: Die kleine Schimpansin, mit der Rotpeter sich spät abends vergnügt, „hat nämlich den Irrsinn des verwirrten dressierten Tieres im Blick“. Der Affe hält gleichzeitig dem Menschen den Spiegel vor und ist doch auch stolz auf seine Anpassungsleistung.

  
Das Glück des Menschseins.


All das stellt Matthias Klösel mit feiner Mimik und großer Gestik dar – beim Wort „angenagelt“ breitet er die Arme aus wie der Gekreuzigte, am Ende hängt er sich an die Reste seines Käfigs. Als gebeugter Affe kommt Klösel herein, als stolz aufrecht gehender Mensch steht er am Ende da. Doch immer wieder scheint auch in seinen Gesten der Affe durch.

Was auch immer wir Heutigen an Assoziationen in dem Text finden mögen: Es bleibt die Verzweiflung des gefangenen, gequälten Tieres, das für sich den Ausweg sucht – und genau die arbeitet Klösel sinnlich, einfühlsam und anklagend heraus, schafft es aber gleichzeitig, Kafkas Ironie zu betonen. Bravo!

Befreiung aus dem Käfig.



In den nächsten zwei Monaten gibt es noch einige weitere Vorstellungen. Genaueres unter https://www.theaterwerkstatt-augsburg.de/index.php/aktuelle-programme


Text und Fotos: Sabine Sirach

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