John-Watts-Konzert im Spectrum: Blutroter Himmel über London

John Watts und seine Gitarre.

Fetzige und sozialkritische
Musik vom Energiebündel
John Watts

„Fischer-Z Solo“ im Spectrum


Über zwei Stunden rockte John Watts ganz allein auf der Bühne im Augsburger Spectrum. Er und seine Gitarre brauchen gar keine Band, um die Musik des legendären Albums „Red Skies over Paradise“ von 1981 wieder aufleben zu lassen! Mit schlappen 68 Jahren ist er immer noch ein einziges Energiebündel. Seine Stimme ist etwas tiefer als früher, und sein berühmter Falsett-Gesang weicht größtenteils einem Rock-Röhren. Er hat sichtbar Spaß an der Musik und mit dem Publikum („You´re a fantastic audience!“) – das begeistert alle Songs mitsingen kann.

Watts hat 32 Alben produziert, seit er 1979 die erste Platte („Word Salad“) mit der Band Fischer-Z herausbrachte. Damals fand sich auf drei Alben eine Mischung aus New Wave, Punk, Ska und Reggae, mit Protestsongs und auch mal Texten aus der Psychiatrie (Watts hat klinische Psychologie studiert). Die erfolgreichste Platte war 1981 „Red Skies over Paradise“ mit den Hit-Singles „Berlin“ und „Marliese“ (Anekdote am Rande: Die Popularität dieses Liedes in den Niederlanden führte dazu, dass Marliese dort zu einem sehr beliebten Mädchennamen wurde – immer wieder wird Watts nach Konzerten von einer Marliese angesprochen!), aber auch einigen politischen Anti-Kriegs- und Anti-Thatcher-Songs.


Man merkt ihm an, wie wichtig ihm seine engagierten Texte sind …
… und dass ihm das Konzert viel Freude macht: Immer wieder schmunzelt John Watts.

 Und dieses Album stand im Mittelpunkt seines „Celebration Tour“-Konzerts diese Woche im Spectrum, er spielte in der ersten Hälfte zum ersten Mal alle Songs des Albums – das er jetzt übrigens als „Berlin Sessions“ neu aufgenommen hat. Auch sein neues Album 'Til The Oceans Overflow' knüpft daran an: Es spielt wieder in Berlin und kontrastiert die persönlichen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen zwischen 1980 und 2020. Befragt, was ihn denn so eng mit Berlin verbindet, erwähnt er musikalische Wurzeln, insbesondere das Musical Cabaret mit seiner Atmosphäre der 1920er/30er-Jahre. Geprägt habe ihn aber das West-Berlin der späten 70er und frühen 80er – die Insellage, die extreme Haltungen hervorbrachte und den Kalten Krieg wie im Brennglas konzentrierte.

Seine Songtexte, samt der Musik alle von John Watts selber geschrieben, sind politisch und sozial engagiert. Auf der „Red Skies over Paradise“ sind es gerade die Lieder „Batallions of Strangers“, „Cruise-Missiles“ und „Song and Dance Brigade“, die die Bedrohung durch Krieg und Atomwaffen zum Inhalt haben und in der heutigen brenzligen Situation des Ukraine-Krieges leider wieder sehr aktuell sind. „Multinationals Bite“ lässt sich 1:1 auf die Oligarchen übertragen, und der Titelsong „Red Skies over Paradise“ imaginiert den blutroten Himmel über London nach einem Angriff. Aber auch sehr zarte, liebevolle Songs sind dabei: „You´ll Never find Brian Here“ beispielsweise thematisiert das Innenleben eines traumatisierten autistischen Jungen, den Watts eine Zeit lang bei sich aufnahm. Oder „Wristcutter´s Lullaby“, das die Schuldgefühle des Freundes eines Selbstmörders eindringlich nachvollziehbar macht.

Da lang zum Merchandising!



Nach der Pause bringt Watts eine Auswahl von Songs anderer Alben – gewünscht vom Publikum. Darunter einige, bei denen die Besucher wieder die Texte auswendig können: „The Worker“, „Destination Paradise“, „Tight Rope“ oder „So Long“. Beim einen oder anderen flicht er kurze Erläuterungen ein: „So Long“ habe er 1979 über die Trennung von seiner ersten Frau geschrieben. An „The Perfect Day“, dem erfolgreichsten Lied von Fischer-Z, habe er zwei Jahre lang geschrieben. „I Smelt Roses in the Underground“ gehe auf eine Zufalls-Begegnung mit der Schriftstellerin Edna O´Brien in der Londoner U-Bahn zurück: „Will You Be There?“, sei über Nelson Mandela. Die Zugabe „Room Service“ mokiert sich über die Behandlung chinesischer Hotel-Zimmermädchen durch arabische Geschäftsleute, und das letzte Lied des Abends, „Further From Love“, stellt wieder den Krieg aus Sicht der Opfer dar. Auch eine Anekdote über Peter Gabriel und Sinead O´Connor im Studio gibt er zum Besten; zwischendurch informiert er über den Zwischenstand im Fußballspiel Liverpool:Southhampton (1:0), das er mit dem Knopf im rechten Ohr hört. Und er scherzt über den Unterschied zwischen einem Superstar und ihm selbst: „Sting makes songs about girls and is hugely successful – I make songs about missiles and Russians, and look where I am!“

Viel Andrang gab es nach dem Konzert, weil …
… John Watts lange seine Alben und T-Shirts signierte, und immer
für ein kurzes Schwätzchen zu haben war.


Wie John Watts im Interview betont, geben seine Songtexte nicht immer seine eigenen Meinungen und Gefühle wieder, Einfühlung in andere Menschen („Brian“), dramatische Szenerien („The Writer“) und auch Ironie („Bathroom Scenario“) spielen eine große Rolle. Im Übrigen habe er sich während des Kalten Krieges sicherer gefühlt als heute! Auf die Frage, welche Kunstform ihm die wichtigste sei – immerhin ist er auch als Dichter, Buchautor, Multimedia-Künstler und im Filmbereich unterwegs –, antwortet er sehr klar: Songwriting! Es sei für ihn die komplexeste und deshalb interessanteste Ausdrucksform, weil hier Text und Musik immer zusammenpassen müssen. Sein persönliches Lieblingsalbum sei übrigens das Soloalbum „Thirteen Stories High“.

Mit der Musik angefangen hat John Watts bereits mit 15 Jahren, damals als Drummer. Er stammt aus einer musikalischen Familie („All my family were singers“): heute lebt er mit seiner Frau und fünf Kindern in Brighton. Fischer-Z als Band in der ursprünglichen Besetzung hatte er schon 1981 aufgelöst, weil sie sich von seinen Idealen als Punk-Band zu weit entfernt hatte. Danach wurde ihm allerdings vorgeworfen, sich zu sehr dem Mainstream-Pop angenähert zu haben. 1987 gründete er die Band in neuer Besetzung und gab immer wieder neue Alben heraus, entweder solo oder unter dem Bandnamen. Im Laufe seiner musikalischen Arbeit hat er immer wieder mit den ganz Großen zusammengearbeitet: mit Peter Gabriel (“what a hugely nice person!”), James Brown, The Police und den Dire Straits.


Nach dem Konzert nahm sich John Watts viel Zeit, um CDs, Vinylplatten und T-Shirts zu signieren, und mit den Zuhörern zu sprechen – was beide Seiten sehr genossen!


Text, Interview, Video und Fotos: Sabine Sirach

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