Wie macht man Antikapitalismus?

Gospodin: Der Künstler schwatzt ihm den Fernseher ab.



„Genannt Gospodin“ von Philipp Löhle auf der Studiobühne im Sensemble


Zu Anfang steht Gospodin tief schlafend da – er hat sich mal wieder aufgeregt, da schläft er immer ein. Am Ende ist von dieser Schlafsucht nichts mehr übrig, er findet die für ihn ideale Lebensweise. Dazwischen entspinnt sich seine Suche nach einem antikapitalistischen System, mit skurrilen Situationen, zugespitzten Dialogen und satirischem Witz.

Gospodin: Alle wollen ihm dreinreden.


Worüber er sich so aufgeregt hat: Greenpeace hat ihm sein Lama weggenommen – Tierschutz. Mit dem Lama sei er aber unabhängig gewesen; er war mit ihm zum Betteln unterwegs. Den Rat seiner Freundin Annette, sich arbeitslos zu melden und Arbeitslosengeld zu kassieren, schlägt er in den Wind: Er will nicht vom kapitalistischen System abhängig sein. Kapitalismus setzt er mit Spießertum gleich: „Ihr seid alle Spießer, und Greenpeace auch!“

Gospodin: Im Kaufrausch.


Seine Freunde plündern ihn nach und nach aus: Sie schwatzen ihm Kühlschrank, Fernseher und Mikrowelle ab, bis seine Wohnung nur noch ein paar Säcke Heu (zum drauf Schlafen) und Pakete mit Werbezeitungen (zum drauf Sitzen) enthält. Seine Mutter hingegen liebt und bewundert ihn, ohne ihn im Mindesten zu verstehen: „Warum sind nicht alle so wie du?“

Gospodin versucht dem System auf verschiedene ausgefallene Arten ein Schnippchen zu schlagen: Er lädt im Supermarkt für über 500 € Lebensmittel in den Wagen und sagt dann an der Kasse, er habe seinen Geldbeutel nicht dabei – er habe überhaupt keinen Geldbeutel. Er regt sich über die unnütze Warenflut auf: Wer braucht schon Milch in drei Fettstufen? Manchmal findet er für sein Anliegen ganz einfache Lösungen: Er geht zur Tauschwirtschaft über; es gelingt ihm, in der Bäckerei sieben Bücher gegen zwei Brote einzutauschen. Wenn ihm das Wort „Bürgersteig“ nicht passt (spießig), sagt er einfach Gehweg.

Er schreibt sein „Dogma“ an die Wand seiner Wohnung:

Nr. 1: Ein Weggang ist auszuschließen.
Nr. 2: Geld darf nicht nötig sein.
Nr. 3: Jedweder Besitz ist abzulehnen.
Nr. 4: Freiheit ist, keine Entscheidung treffen zu müssen.

Als bekannt wird, dass Gospodin viel Geld hat – die Summe steigert sich gerüchteweise von 50.000€ bis zu einer Million -, „kriechen alle vor mir“ und wollen etwas von dem Reichtum abhaben: Die Freundin will ein Auto, die Mutter eine Kreuzfahrt, er soll endlich seine Schulden in der Kneipe bezahlen…

Dabei gehört ihm das Geld gar nicht: Sein Freund Hajo hat es ihm zur Verwahrung in seiner Wohnung gegeben, holt es aber nicht mehr ab. Gospodin versucht verzweifelt, das Geld auf allen möglichen, auch skurrilen Wegen loszuwerden, aber es kommt immer wieder zu ihm zurück.

Gospodin: Will davonlaufen.


Am Ende findet er die Lösung für seine antikapitalistische Lebensweise (welche, sei hier nicht verraten): Alle seine Prinzipien werden erfüllt, er braucht nichts mehr, er ist frei!

In der Regie von Gianna Formicone entfalten die drei Schauspieler mit viel Witz und Spielfreude die Geschichte vom Aussteiger und den Reaktionen seines sozialen Umfelds. Patrick Schlegel als Gospodin wirkt zu Anfang verwirrt und verzweifelt – findet dann aber zu Leichtigkeit und Freiheit. Sehr zart und einfühlsam gespielt! Marina Lötschert und Martin Schülke spielen insgesamt zwölf Rollen – der schnelle Wechsel jeweils mit einem Accessoire oder Kleidungsstück angedeutet. Marina Lötschert mit ihrer starken, völlig überzogenen und dadurch sehr witzigen Mimik, Martin Schülke in polternder Männlichkeit und Kumpelei gegenüber Gospodin.

Gospodin: Hat sich wieder aufgeregt und schläft dann.


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Philipp Löhle (* 1978 in Ravensburg, aufgewachsen in Baden-Baden) ist Dramatiker und Theaterregisseur. Er studierte in Erlangen Geschichte, Theater- und Medienwissenschaften und Germanistik, schon während des Studiums schrieb er seine ersten Stücke. 2006 nahm er eine Stelle als Regieassistent am Theater Baden-Baden an und ging dann mit einem Stipendium an das renommierte Londoner Royal Court Theatre. Zur Spielzeit 2008/09 wurde er Hausautor am Berliner Maxim-Gorki-Theater, seit der Spielzeit 2018/19 ist er Hausautor am Schauspiel des Staatstheaters Nürnberg. Den Durchbruch schaffte Löhle mit Genannt Gospodin, das 2007 am Schauspielhaus Bochum erstmals zur Aufführung kam und mehrere Auszeichnungen erhielt.


Die nächsten Aufführungstermine für Gospodin im Sensemble Theater Augsburg:
25. Mai, 2. und 3., 24. und 25. Juni 2022


Text und Fotos: Sabine Sirach

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