Augsburgs Kampf um Olympia - Wie entstand vor 50 Jahren die berühmte Kanustrecke am Eiskanal?

Bild zur Kanu-Slalom Weltmeisterschaft 2022 auf der Olympia-Strecke 
am Augsburger Eiskanal.


Nach 50 Jahren olympischer Kanu-Slalom findet vom 26. Juli bis 31. Juli 2022 die Weltmeisterschaft auf der neu renovierten Kanu-Anlage am Eiskanal statt. Es ist somit eine Jubiläumswoche, der sportliche Höhepunkt 2022 in Augsburg. 

Dass der Kanu-Slalom, der erstmals 1972 für die Spiele in München im olympischen Programm war, aber nicht in München, sondern in Augsburg ausgetragen wurde, ist eine sehr spannende Geschichte. Der mehrmalige Welt- und Deutsche Meister, Kanu-Legende Karl Heinz Englet, berichtet in seinem Buch "Der Mann des Feuers" darüber. Zu lesen in Story Nr. 11 "Der Kampf um Olympia 1972": 
 
Fälschlicherweise werde ich des Öfteren als derjenige bezeichnet, der den Olympischen Kanu-Slalom nach Augsburg geholt hat. Tatsächlich waren wir ein hochprofessionelles, gut funktionierendes Dreigestirn aus Politik, Medien und Sport, das fantastisch harmoniert hatte.

Aus meiner Sicht war das wichtigste Rad in diesem Triumvirat der damalige Augsburger Oberbürgermeister Wolfgang Pepper (SPD) und Sportbürgermeister Hans Breuer (SPD). Hans Breuer war zur Eröffnung der Spiele dann Oberbürgermeister.

Zweitwichtigster in unserem Team war sicher Robert Deininger, mächtiger Sportchef der Augsburger Allgemeine, mit einem medialen Netzwerk bis in die höchsten Ebene der Bundespolitik.

Ich war, wie man heute sagen würde, das Testimonial oder das Gesicht der Bewerbungskampagne. Als zum damaligen Zeitpunkt erfolgreichster Kanute Augsburgs war mein Rat vorwiegend im sportiven Bereich, den Regularien und im Umsetzen und der Funktion im Streckenbau gefragt. Meine Kontakte zu den internationalen Kollegen und Funktionären waren sicher auch sehr hilfreich.

 

Zu der Entstehungsgeschichte:

Der DKV (Deutscher Kanu Verband) hat beim IOC (International Olympic Comitee) den Antrag gestellt, dass mit dem Kanu-Slalom das olympische Programm für München 1972 erweitert wird. Die Chance, den Wunsch der Kanuten zu erfüllen, stand gut. Die Slalom Kanuten hofften nicht vergebens. Beim IOC Kongress 1968 wurde bestätigt, der Kanu-Slalom feiert 1972 seine olympische Premiere. Die Freude war riesengroß. Noch vor dem IOC Kongress bewarb sich die Stadt Augsburg mit ihrem Oberbürgermeister Wolfgang Pepper für die Ausrichtung dieser Premiere auf dem Augsburger Eiskanal.

Auszugsweise aus dem Bewerbungsschreiben vom 12.09.1968:

Der Wasserlauf ist garantiert und völlig witterungsunabhängig

Die Strecke ist international erprobt und hat sich bestens bewährt. Höhepunkt war die Durchführung der Kanu Slalom Weltmeisterschaft 1957.

Mit relativ bescheidenem Aufwand kann die Strecke modernisiert werden.

4. Kanu Slalom Veranstaltungen sind in der Bevölkerung unserer Stadt bestens eingeführt

Wir glauben, dass bei einer Berücksichtigung unserer Bewerbung der Kanu Slalom wirtschaftlich und sportlich optimal organisiert werden kann. So Oberbürgermeister Wolfgang Pepper.


Entspannung am Eiskanal.


Nach der großartigen Entscheidung des IOC

Alle Kanu Funktionsträger der ICF (International Canoe Federation), des DKV und des BKV (Bayerischer Kanu Verband) gingen davon aus, dass der Slalom in München stattfinden soll. Wo, war für alle noch die große Unbekannte.

Da der vorgesehen Isarkanal wegen zu wenig Gefälle und Wassergeschwindigkeit nicht infrage kam, einigte man sich auf das Isarwehr beim Deutschen Museum. Dies wäre mit einigen Einbauten und bei hohem Wasserstand der Isar sicher eine besonders attraktive Strecke geworden. Auch für die Zuschauer sehr spektakulär. Jetzt kommt jedoch das Aber! Die Wettkämpfe waren für Ende August geplant. Die Isar hat zu diesem Zeitpunkt sehr wenig Wasser. Es hätte aus dem Trinkwasser-Reservoir und dem Walchensee Zuschusswasser gewährleistet werden müssen, was nicht klar zugesagt werden konnte. Auch die Einbauten, die nach dem Wettkampf wieder demontiert werden mussten, waren nicht nur ein finanzielles Manko, sondern das Wort Nachhaltigkeit kam erstmals ins Gespräch.

Helmut Handschuh, der damalige Trainer und Vorstand der Kanu Schwaben, war überzeugt – Wir Augsburger jagen den Münchnern den Slalom ab, aber wie soll das gehen? Die Bewerbung von Augsburg lag dem Organisations-Komitee ja bereits vor.






Augsburg war, wie schon in der Bewerbung bereits erwähnt, Austragungsort 1957 der Kanu Slalom Weltmeisterschaft gewesen. Der alte Eiskanal wurde mit künstlichen Holzeinbauten aufgehübscht und schwerer gemacht. 10 Jahre später waren die Holzeinbauten morsch und verschlissen. Eine Renovierung wäre sehr dringend angestanden. Schon alleine aus diesem Grund wäre Olympia 1972 ein Glücksfall. Wir probierten es einfach!

Robert Deininger setzte eine Medienkampagne in Bewegung, die ihresgleichen sucht. Oberbürgermeister Wolfgang Pepper und Bürgermeister Hans Breuer waren beeindruckt und begeistert und sahen Augsburg schon als Olympiastadt.

Als Erstes musste ich meine aktive Laufbahn beenden und Funktionär im BKV (Bayerischer Kanu-Verband) werden. Es war kein Problem, ich wurde Slalom-Sportwart.

 

Obwohl Augsburg und der Eiskanal bei der Olympia-Baugesellschaft bereits im Gespräch war, bestanden alle Kanu-Funktionäre darauf, dass der Slalom in München stattfinden soll. Sie glaubten, sollte der Slalom 60 km westlich von München stattfinden, dass die Aufmerksamkeit für die Premiere nicht gegeben ist. Welch ein Trugschluss. In Augsburg wurde der Slalom zu einem Highlight der gesamten Spiele. 30.000 Zuschauer an den beiden Wettkampftagen und je 12.000 zu den beiden Trainingstagen waren begeistert. (Dies vorweggenommen).

Jetzt kommt die Politik ins Spiel. Wie jeder weiß, ist Bayern CSU-Land. Die Landtagsopposition hat keine große Bedeutung. Die echte und wirksame Opposition waren zu diesem Zeitpunkt die drei SPD-Oberbürgermeister in Bayerns größten Städten. In München Hans-Jochen Vogel, in Nürnberg Andreas Urschlechter und in Augsburg Wolfgang Pepper. Diese drei arbeiteten politisch wie wirtschaftlich eng zusammen. Tatsache ist, wenn Hans-Jochen Vogel darauf bestanden hätte, dass der Slalom, unter welchen Umständen auch immer, in München hätte sein sollen, wären wir Augsburger leer ausgegangen. Danke, Hans-Jochen Vogel!


Augsburgs Touri-Chef Götz Beck besucht auch den Eiskanal.



Endlich, am 12. Mai 1970, war das bange Warten zu Ende und Augsburg bekam den Zuschlag.

Die Augsburger Spitzenpolitiker Pepper/Breuer haben es mit der medialen Großunterstützung durch Robert Deininger und der AZ geschafft. Wir haben den Slalom!

Unsere dilettantischen Planungsvorschläge mit nur kleinen Verbesserungen an der alten Anlage waren gleich vom Tisch. Die ersten Gespräche mit den großen Olympiaplanern aus München, zeigten, das hier etwas bedeutsames Neues geschaffen werden muss. So entstand der neue Eiskanal quer durch das bestehende Gelände. Das vorhandene Gefälle konnte so besser ausgenutzt werden. Eine Sensation zum damaligen Zeitpunkt. Bei der MAN in Gustavsburg, die einen Versuchskanal vor Ort hatten, wurde die Strecke mit den Betoneinbauten geplant und getestet. Rudi Landgraf aus der DDR, der ICF Slalom Chef, war viel in Augsburg und Gustavsburg. Gleichzeitig baute er heimlich in Zwickau mit einfachen Mitteln in Kopie die gleiche Strecke nach.

Es ging nun alles rasant. Im Juli 1970 – 2 Jahre vor der Olympiade setzte sich Oberbürgermeister Pepper in einen Schaufelbagger. Der erste Spatenstich ist mechanisch getätigt. Die Bauarbeiten beginnen. Es wurde geschaufelt, gebaggert und betoniert. Es entstand eine künstliche Strecke, die jedoch optisch einer Naturstrecke gleicht. Das erste Kanu-Slalom-Stadion der Welt entstand.

 

Die technischen Daten der Strecke: 660 m lang, 10 m breit, Gefälle 4,5 m. Die Hälfte der Olympiastrecke befand sich noch im bestehenden Kanallauf, der interessanteste Teil beginnt nach der Straßenbrücke bei dem Einstich quer durch die Wiese. Zwischenzeitlich wurde die Strecke zweimal verkürzt. Der aktuelle Start ist beim Einstich. Die Kanuten können somit in ihrem gesamten Lauf vom Start bis zum Ziel im TV gezeigt werden. Die Fahrzeiten sind ca. 100 Minuten.

Schnell bekamen die Betoneinbauten in Streckenverlauf ihre Namen. Gleich nach dem Start nach der Schleusen-Durchfahrt kommt der „Zuckerhut“ - Rio lässt grüßen. Schon im neuen Teil der Strecke folgt die „Waschmaschine“, eine schwierige Wasserwalze mit unterschiedlichen Strömungen. Dann wartet die „Bogenbrücke“, das schnellste Teilstück taucht mit dem „Bogenbrückenschwall“ und einem großen Kehrwasser auf. Danach der „Moby Dick“, ein Koloss, der umfahren werden muss. Nach einem Sprintstück „Die Restaurantwalze“, die nochmals alles abverlangte. Schon mit den Kräften am Ende kommt der „Korkenzieher“, als letzte Schwierigkeit dann der Zielsprint.

Die Kanalarbeiten waren in 1 Jahr fertig. Ich durfte die spannende Erstbefahrung machen. Gleich hinter mir Horst Woppowa und alle anderen mutigen Augsburger Kanuten. Welch ein neues Fahrgefühl. Das Wasser pulsiert, es wird von steilen Kanalwänden zurückgedrängt. Eine völlig neue Fahrtechnik ist ab sofort angesagt.


 

Im Spätsommer 1971 dann die offizielle Streckeneinweihung mit der sogenannten Pre-Premiere. Es ist üblich, dass 1 Jahr vor Weltmeisterschaft oder vor Olympischen Spielen die Strecken in einem Wettkampf getestet werden muss. Die Slalom-Kanuten aus aller Welt staunten und waren begeistert. Es war gigantisch. Die Veranstaltung wurde in einer Baustelle gestemmt. Die Hochbauten waren zum Teil nicht mal im Rohbau fertig.

Große Anerkennung an die Bauleute, an ihrer Spitze Ingenieur Hillmeier. Das große Augsburger Architekturbüro Brockel und Müller war für die Hochbauten zuständig. Es wurde zweckmäßig gebaut. Ohne diese Bauwerke wären Veranstaltungen nicht mehr durchführbar. Auch die beiden Augsburger Clubs,  AKV (Augsburger Kajak-Verein) und Kanu Schwaben, fanden hier ihre neue Heimat.

Siegerehrung am Eiskanal.

  

So entstand ein Start- und Zielhaus, die beiden Bootshäuser, der Wettkampf-Turm, in dem heute das Kanu-Museum beheimatet ist, das Restaurant sowie das Bundesleistungszentrum, das als einziges Bauwerk schon erneuert wurde.

Wichtig zu erwähnen sind die Kosten. Inklusive eines Teils der Kuhsee-Sanierung beliefen sie sich auf DM 16,0 Mio. Für eine olympische Sportanlage bedeutete dies, dass die Stadt Augsburg 40 % der Kosten zu tragen hatte. Die restlichen 60 % teilten sich der Bund und das Land.

Sensationell – alles wurde termingerecht fertig, sogar die Naturstehwelle, wunderbar gestaltet von dem Münchner Landschaftsarchitekten Hansjakob. Die Olympischen Spiele 1972 können kommen – wir sind bereit.

Dass die Anlage heute in einem für alle zugänglichen Naherholungsgebiet eingebettet ist, ist ein zusätzlicher Glücksfall. Der Charme der Augsburger Kanu-Strecke besteht noch immer, auch wenn es weltweit inzwischen schwerere und modernere Anlagen gibt.

Karl-Heinz Englet präsentiert sein Buch "Der Mann des Feuers" mit viel
Augsburg-Geschichte und -Geschichten zum Lesen.
(Foto: Lina Mann)

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Tipp: Das Buch von Karl-Heinz-Englet, "Der Mann des Feuers" ist in der Augsburger
"Buchhandlung am Obstmarkt" zu bekommen.

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