Schaffnerin, Arbeitsmaiden und Schleiferbrühe

Oberhauser Frauen.


Vom Leben der Frauen in Oberhausen


Vergangen, aber nicht vergessen


In ihrem neuen Buch widmet sich die Chronistin des Augsburger Stadtteils Oberhausen Frau Dr. Marianne Schuber, signifikanten Frauen und deren Leben zwischen 1840 und 2018. Nun ist Oberhausen nicht der Stadtteil der aufregende Vitae von gesellschaftlich hochstehenden Persönlichkeiten bietet. Aber eben die Lebensgeschichten der sog. einfachen Frauen macht dieses auch historisch bebilderte Buch ( Das Leben ist schön – von einfach war nie die Rede, context Verlag Augsburg/Nürnberg 2022) lesenswert.

Frau Schuber dokumentiert mit 18 ausgewählten Lebensbildern die Kraft und Zähigkeit von Frauen in einer Zeit, in der sog. Weibspersonen in der Regel keinen gesellschaftlichen Status hatten. Das Buch ist deshalb auch ein sprachlicher Pfad in die Gegenwart. Die Autorin befragte Zeitzeugen und deren Nachkommen, um die Erinnerung an den langen Weg aller Frauen zu Anerkennung und Respekt nicht vergessen zu lassen.


Weiblicher Arbeitsdienst im Nazi-Regime.


Opferbereiter Daseinskampf

Waltraut Bollinger wurde nur 28 Jahre alt. Sie arbeitete in der Spinnerei täglich von sechs Uhr morgens bis abends ebenfalls sechs Uhr. Mit ihrem Verdienst in der Leichtlohngruppe, so nannte man die billige Arbeitskraft der Frauen, sicherte sie den Lebensunterhalt für ihre Familie. Das Einkommen ihres Mannes als Malergehilfe reichte nicht aus, zumal die Handwerker noch schlechter bezahlt waren als die Fabrikarbeiter. Frau Bollinger stand 56 Stunden in der Woche im Lärm und Staub der Spinnmaschinen. Zudem hatte sie eine Familie zu versorgen.

Innerhalb eines Tages starben im Juli 1904 ihre beiden Kinder im Alter von einem Monat und zweieinhalb Jahren. Nur einen Monat später auch Frau Bollinger. Folgt man den Berichten des Gesundheitsamtes der Stadt Augsburg dann war so ein Leben „normal“. Die Säuglingssterblichkeit erreichte eine Quote bis zu 40 von 1000 Kindern. Häufigste Todesursache für Arbeiterfrauen, die selten älter als 40 Jahre wurden waren Unterleibserkrankungen aufgrund nicht in Anspruch genommener Genesung nach Geburten. Der Verdienstausfall war zu hoch.



Franziska Mögele.


Karnickelorden und Gefängnis durch die Nazis

In Hitlers III. Reich hatten Frauen die Funktion von Gebärmaschinen, damit dem „Volk ohne Raum“, so die Expansionsbegründung, zur Kriegsführung genügend Soldaten zur Verfügung stehen sollten. Sichtbares Zeichen dieser „Pflichterfüllung“ war das Ehrenkreuz der Deutschen Mütter. Franziska Mögele gebar neun Kinder damit sollte sie das Ehrenkreuz in Gold, im Volksmund Karnickel- oder Hasenorden genannt, verliehen bekommen.

Zwei Ihrer Söhne waren aktive Nazigegner. Mit Flugblättern, in denen sie als Kolpingssöhne Lechhausens vor den Nazis warnten, waren sie rasant Gejagte des Regimes und kamen auch in Haft. Deshalb wollte Frau Mögele das Mutterkreuz nicht entgegennehmen. Aus Angst um eine „Sippenhaft“ ließ sie sich im Himmelwirt in der Kaltenhoferstraße dennoch ehren. Subtile Missachtung des Nazi Ortsgruppenleiters: kein musikalischer Ehren-Tusch wie bei den anderen Müttern.

Schleiferbrüh und Kuttelfleck

Frau Schuber schaut auch in die zeitgenössischen Haushalte der Frauen die ebenfalls von Verzicht und Armut geprägt waren. Exemplarisch folgt sie in der Küche der Mögeles einem Jahr mit typischen Speisen für Arbeits- und Feiertage. Essen wie Kuttelfleck, gekochte oder gesottene (für unsere heute feinsinnigen Nasen eine übelriechende Innereienkost, war weil billig, Standardessen.

Seltsam liest sich die Zubereitung der schwäbischen Nationalspeise, der Schupfnudeln. In Oberhausen hießen sie Schleifernudeln weil sie in dem übriggebliebenen Nudelkochwasser mit Mehl und Salz aufgerührt wurden. Dabei entstand eine graue trübe Brühe, die dem Wasser ähnelt, welches Steinmetze und Scherenschleifer zum Messerschärfen verwendeten.

Margarete Buder: Schaffnerin.


Trambahnschaffnerin weil zwangsverpflichtet

Aus den vielfältigen, allesamt spannenden Lebensentwürfen, die Frau Schuber mit detektivischem Spürsinn gesammelt und beschrieben hat, ragt die Geschichte von Frau Margarete Buder heraus. Betrachtet ihr Leben aus der damaligen Ideologie hätte es den Beruf von Frau Buder gar nicht geben dürfen. Frauen sollten sich im Nazireich von Berufen, vor allem solchen, die typisch männlich waren, fernhalten. „Stroassabaah-Schaffner“ eine Profession mit Befehlsgewalt: „Aufrücken bitte!, schneller einsteigen! Nicht mit dem Wagenführer sprechen!“. Aber der 2. Weltkrieg erforderte Durchsetzungskraft und Ordnungsmentalität auch an der Heimatfront.

Da alle Männer im Felde waren, wurden ab 1940 Frauen für Männerberufe verpflichtet. Frau Margarete Buder, so beschreibt es Frau Schuber, war nicht nur eine der ersten Augsburger Schaffnerinnen, sondern auch beliebt, wenn sie in Bus oder Tram Fahrscheine ausgab. Vermutlich hatte sie doch einen anderen Ton in ihrem Wagen als die Kommißfritzen.

Das Innovationsschicksal des Schaffners Los, dass man bald schaffnerlos fuhr, hat Frau Buder nicht erleiden müssen. Sie schied schon 1943 wieder aus dem Dienst bei den Stadtwerken aus.

Großer Bogen der Frauenschicksale aus Oberhausen

Die Autorin deckt mit ihren Lebensgeschichten die gesamte Oberhauser soziale Struktur ab. Frauenleben aus dem Bürgertum, Arbeiterinnen, Ordensschwestern und junge Mädchen, die wesentliche Zeit Ihrer Jugend als unbezahlte Hilfskräfte im Reichsarbeitsdienst verbrachten, sind Gegenstand des Buches. Es ist interessant, unterhaltsam und lässt den Leser nachdenklich zurück. Sehr unterschiedlich sind die Lebensläufe, aber allen liegen taffe Frauen zugrunde, leise im Hintergrund. Gut, dass Frau Schuber diese Leben in den Vordergrund rückt.


Edgar Mathe


Das Leben ist schön - von einfach war nie die Rede / 192 Seiten / 978-3-946917-35-9
Preis: 24,90 Euro




Marianne Schuber

context Verlag Augsburg/Nürnberg 2022

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