„Erwartung“ - Arnold Schönberg im Eröffnungskonzert der Sinfonischen Saison

Sally du Randt: mit Bravour. (Foto: Aleksandar Arsenovic)


Schönberg trifft Brahms – Expressionismus trifft Hochromantik: Einigen Mut bewies das Staatstheater im Kongress am Park mit dem ersten Sinfoniekonzert der neuen Spielzeit, das mit Arnold Schönbergs hochdramatischer „Erwartung“ begann – in der zweiten Hälfte aber das Publikum mit Brahms (in einer Orchestrierung von Schönberg) versöhnte.

Das Monodram „Erwartung“ ist Schönbergs erstes Werk für die Bühne, mit Text von Marie Pappenheim. Obwohl Schönberg seine Komposition bereits 1909 abgeschlossen hatte, fand die Uraufführung erst rund 15 Jahre später, 1924 statt.

„Erwartung“ erzählt in expressiver Ausdrucksfreiheit in 30 Minuten von den Emotionen einer Frau, die auf der Suche nach ihrem Geliebten durch einen dunklen Wald irrt. Dabei durchlebt sie alle seelischen Empfindungen; Angst und Hoffnung korrespondieren miteinander in rascher Folge. Als sie mit dem Fuß an eine Leiche stößt, muss sie entsetzt feststellen, dass es die ihres Geliebten ist. Ihre Angst geht über in Verzweiflung und Eifersucht, da sie vermutet, dass der Geliebte bei einer anderen war. Eine Auflösung gibt es nicht, im Mittelpunkt stehen allein die Stadien ihrer Gefühle und Albträume bis zum Wahnsinn. Schönberg selbst bezeichnete das Stück als „Angsttraum“.

Das Werk ist ein Vertreter des musikalischen Expressionismus. Die Tonalität ist aufgelöst, die traditionelle Harmonik außer Kraft gesetzt. Dem subjektiv-psychologischen Text entsprechend verfasst Schönberg eine freiströmende, noch durch keine Zwölftontechnik regulierte Musik voller emotionalen Extreme. Ein Relikt der Spätromantik ist das groß besetzte Orchester.

Sally du Randt, Sopranistin im Augsburger Ensemble, meisterte die schwierige Partitur mit Bravour, kam jedoch an einzelnen Stellen stimmlich kaum gegen die Wucht der engagiert-exakt und einfühlsam spielenden Augsburger Philharmoniker unter der Leitung von Domonkos Héja an. Sie wurde dennoch vom Publikum mit einem freundlichen Extra-Applaus gewürdigt.

Nach der Pause gab es dann Gefälligeres. Schwelgerische Klänge kamen in der Orchesterfassung von Johannes Brahms‘ Klavierquartett op. 25 auf. »Streng im Stil von Brahms« schuf Schönberg, das traditionelle harmonische Gerüst bewahrend, seine Orchesterfassung, in der Tradition und Neuheit eine dialektische Einheit bilden. Schönberg hat das von ihm bewunderte Klavierquartett so stilistisch perfekt ins Sinfonische übertragen, dass man es glatt für eine der legendären Brahms’schen Sinfonien halten könnte. Somit fügte er den vier »echten« Sinfonien des romantischen Meisterkomponisten eine fünfte hinzu. Ein Augenzwinkern der Musikgeschichte also, mit viel Schwung (und tänzerischem Einsatz von Domonkos Heja) von den Philharmonikern von zart-elegisch bis dramatisch, ja im dritten Satz triumphal-wuchtig gespielt.

In diesem Konzert war auch das Publikum interessant zu beobachten: Das Parkett war mit den Abonnement-Besuchern nur zu einem Viertel besetzt, während der Balkon mit Schönberg-Fans voll war – allerdings nur bis zur Pause; das dünnte sich dann beim Brahms bis zur Hälfte aus. Den Geschmack des Publikums konnte man deutlich heraushören: Während die anstrengende „Erwartung“ mit lediglich freundlichem Applaus bedacht wurde, gab es zum Brahms beinahe Begeisterungsstürme. Zum Amüsement des Publikums ging es mit einem Zuhörenden sogar so durch, dass er/sie am Ende des 2. Satzes dazwischen klatschte!

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Arnold Schönbergs »Erwartung« begegnet dem Publikum des Staatstheater Augsburg in dieser Spielzeit übrigens noch ein weiteres Mal: In einer gerenderten 360°-Virtual Reality-Welt wird das Monodram zu einer intensiven Spielerfahrung, in der Schönbergs Musik auf Game Mechanik stößt. Dieses Projekt wurde für den Digital Prize der europaweiten Stiftung Fedora nominiert.

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Arnold Schönberg, geboren 1874 in Wien, war einer der einflussreichsten Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts und die zentrale Gestalt der Zweiten Wiener Schule (auch „Wiener atonale Schule“). Er begründete die Zwölftonmusik, eine radikal neue Kompositionstechnik, die die Dur-Moll-Tonalität aufgab. Aus jüdischer Familie stammend, musste er 1933 in die USA emigrieren und ließ sich in Los Angeles nieder, wo er unter anderem Kontakt mit Thomas Mann hatte, der ihn in seinem Roman „Doktor Faustus“ als besessenen Erfinder der Zwölftontechnik porträtierte – was zu einer langen Kontroverse zwischen den beiden Künstlern führte. In Los Angeles schrieb Schönberg neben einigen seiner bedeutendsten musikalischen Werke auch vier musiktheoretische Bücher. Arnold Schönberg starb 1951 an einem Herzleiden.


Text: Sabine Sirach

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