Fotos von Herlinde Koelbl: Metamorphosen

Herlinde Koelbl vor ihren Bildern.


Halbzeit bei der Ausstellung von
Herlinde Koelbl in Augsburg


In nova fert animus mutatas dicere formas corpora; di, coeptis nam vos mutatis et illas adspirate meis primaque ab origine mundi ad mea perpetuum deucite tempora carmen!" In neue Körper verwandelte Gestalten, drängt meine Seele dazu zu dichten. Ihr Götter, denn ihr habt auch jene verwandelt, inspiriert mein Vorhaben und geleitet mein fortlaufendes Gedicht vom ersten Ursprung der Welt bis zu meinen Zeiten.” (Ovid)

So beginnen die Bücher der Metamorphosen, die Verwandlungsgeschichten von Ovid, dem römischen Dichter, der damit ein Kunstwerk für die Menschheit schuf.

„In neue Körper verwandelte Gestalten, drängt meine Seele dazu zu fotografieren“, könnte man den Vers auf Herlinde Koelbl und ihre Fotoausstellung „Metamorphosen. Werden - Vergehen - Entstehen“ auch machen.

„Kein Filter, kein Ausschnitt, nicht aufgemotzt (O-Ton Koelbl)“, so präsentieren sich über 120 in Präzision, Form und Farbe vollendete Naturfotos von Herlinde Koelbl im Augsburger H2 - Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast. Die berühmte Fotografin stellte bisher ins Zentrum ihres Schaffens den Menschen, Berühmtheiten und zeitgenössische Langzeitstudien. „Spuren der Macht“. Verwandlung des Menschen durch die Macht. Im Mittelpunkt stand Angela Merkel.

Jetzt ist es die Natur im Moment des Vergehens, in der Verwandlung, der Metamorphose (lat.: Verwandlung).

Am Rednerpult Museumsdirektor Dr. Thomas Elsen und daneben Svenja Flasspöhler.


 
JEDER SIEHT ETWAS ANDERES

An diesem Wochenende ist Halbzeit der Ausstellung „Metamorphosen.“ Noch bis zum 23. April 2023 können die Besucher:innen in das Projekt „Metamorphosen“ eintauchen. Die Kunstsammlungen laden zu dieser Sonderausstellung ein. Fotos, Videos, und eine Hörstation, die als Gesamtprojekt, in Augsburg zum ersten Mal gezeigt, extra für das H2 konzipiert sind.

„Es sind keine Porträts, und doch Porträts auf andere Weise, Porträts der Natur“, so Koelbl. „Ich löse das Rätsel nicht auf, weshalb auch die Fotos keine Titel haben. Jeder sieht etwas anderes.“

Das H2, die Halle 2, selber ein Ort der Verwandlung, von der Stahl-Glaskonstruktion des Architekten Manz entworfen und im Jahr 1910 fertig gebaut. Inzwischen vom Maschinensaal der SWA, Spinnerei und Weberei Augsburg im Textilviertel, ab 2006 in eine große Galerie für Kunst verwandelt. Der weite, offene, lichtdurchflutete Saal des H2 lässt viel Freiraum für die Entfaltung der Ausstellung. Die sorgfältig, nicht schematisch angeordneten Fotos, von unterschiedlicher Größe, von denen zehn an durchsichtigen Fäden mitten im Raum schweben, wie losgelöst von Raum und Zeit, bilden sie eine Einheit mit dem Bauwerk.

Die Bilder haben immense eigene Kraft, verbinden Mensch und Natur. Es ist nichts inszeniert. Die Fotos wurden über sieben Jahre an den verschiedensten Orten der Welt eingefangen und gesammelt. Sehr viel sehen, genau sehen, achtsam sein, wahrnehmen gegenüber der Natur und dem Projekt. Das wollte Herlinde Koelbl. Ein Journalist meinte während eines Rundganges: „Da sind sie der Natur ja ganz schön nahe gekommen.“ „Das kann man so sagen“, antwortete Herlinde Koelbl strahlend und stolz, geradeheraus und zustimmend zugleich.


KOELBL GIBT KEINE ANLEITUNG  

Sie will die Fantasie der Besucher:innen anregen, sie sollen den Gedanken freien Lauf lassen, achtsam schauen. Mit der eigenen Wahrnehmung und Intensität, dem eigenen Innehalten, der eigenen Geschwindigkeit, dem Foto, dem Bild, den Details sich nähern und damit der Metamorphose, der Verwandlung zu begegnen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Dazu fordert jedes Bild auf. Koelbl gibt keine Anleitung, gibt keine Reihenfolge vor, überlässt es dem und der Schauenden. 

So nahe wie Herlinde Koelbl sich mit der Linse und ihrem fotografischen Können und ihrer Intuition an die Natur herantraute, so nahe soll sich auch der Betrachter ans Foto trauen und sein eigenes Sehen entfalten. Mutig dem Foto und dem Thema so nahe wie möglich zu kommen, so wie es die Fotografin beim Suchen und Finden der Motive tat und den Augenblick der Verwandlung einfing. Koelbl sagt dazu: „Es ist spannend, so dicht wie möglich ans Objekt zu kommen. Wenn ich den Standpunkt verändere, sieht es anders aus.“

Herlinde Koelbl, die agile, lebendige, farbenfrohe über achtzigjährige Frau kam selbst zur Eröffnung, was eine besondere Atmosphäre schuf, die Einheit mit den Fotos, das gesamte Projekt mit der Person Koelbl lebendig werden ließ.

Koelbls Bilder schweben im Raum.



ÜBER BRENNWEITEN SPRECHE ICH NICHT  

„Der Augenblick der Vollblüte, die Schönheit des Höhepunktes hat mich nicht interessiert. Wenn ein Blumenstrauß zum Verwelken beginnt, daran lag mein Interesse, darauf legte ich meine Achtsamkeit. Wie und wo die Fotos entstanden sind, bleibt meist ein Geheimnis. Es ist nichts dem Zufall überlassen, es sind keine Schnappschüsse und über Brennweiten spreche ich nicht“, erklärte die Künstler.

„Frau Koelbl, sind Sie der Menschen überdrüssig geworden?“, wurde sie oft im Vorfeld der Ausstellung gefragt. „Nein“, erwiderte sie „im Gegenteil, es ist eine Erweiterung, eine Ergänzung, eine Bereicherung.“

In ihrem Vortrag zur Ausstellungs-Eröffnung im H2 spielte Koelbl selbst mit dieser Verwandlung: „An mir selber habe ich auch eine Metamorphose bemerkt in den Jahren der Projektentwicklung seit 2015. Ich wurde abstrakter.“ Sie zeigte hinüber auf das Foto und erklärte, was sie sagen will an dem einzigen Foto, auf dem ein Mensch, ein Baby, abgebildet ist. Metamorphose vom ersten Schrei bis zum Moment der gealterten Haut auf einem daneben hängenden Foto. „Wir kommen nicht wieder, doch die Natur hat verschiedene Variationen“.

Herlinde Koelbl dachte laut nach: „Ein langer Denkprozess, der nicht aufhört, bis heute. Achtsam wahrnehmen, früher war es mir nie so bewusst, dass Mensch und Natur sich ergänzen, erweitern. Mein Ziel: Beim Vergehen begann mein Interesse, nicht die Pracht … erste Blätter fallen vom Strauß. Das Gewöhnen an Neues, jedes Mal, der man sich als Künstler:in und auch als Mensch immer wieder neu einlässt, entdeckt und damit den eigenen Horizont erweitert und das Leben bereichert.“

VERTRAUTE GERÜCHE IN DER NASE

Eine fast dunkle Box steht mitten im Raum. Zwei Ledersessel laden darin zum Verweilen ein: „Do you remember me?“, ertönt es aus der Hörstation, die das Projekt ergänzt und die Sinne anregt. Ein Mann und eine Frau wechseln sich ab: „Do you rember my skin? Do you remember the hot summer day?“ Wer auch immer zuhört, lässt seine eigenen Bilder im Kopfkino entstehen, hat vertraute Gerüche in der Nase und spürt auf seine eigene Weise der Erinnerung nach. Auch hier ist weder Anfang noch Ende zu erkennen.

Eine Video-Station mit vielen Details und Gesamteindrücken von einigen Fotos gehört zum Gesamtkunstwerk, ebenso wie eine endlose Diaschau. Der Mensch verwandelt sich am deutlichsten im Tod und darüber hinaus. 81 Dias in einem Karussellprojektor angeordnet, wieder ohne ersichtlichen Anfang und Ende, laden ein, sich dieser Verwandlung für einen Moment anzunähern. Die Dias zeigen Grabsteine, Gräber immer in Verbindung zum Menschen, in einer achtsamen Art, dass der Mensch in seiner Würde und seiner Anonymität bewahrt bleibt und trotzdem persönliche Augenblicke, die sich da immer wieder im Kreis drehen.

Als Festrednerin kam Svenja Flaßpöhler extra aus Berlin angereist. Sie ist Philosophin und Chefredakteurin des Philosophie Magazins. Sie brachte es auf den Punkt, was Herlinde Koelbl und ihre Kunst ausmacht: „Frau Koelbl, sie haben die Intuition nach dem französischen Philosophen Bergons, den angeborenen Instinkt der Erkenntnis einer Sache. Sie verfügen über den Elan Vital, den Lebensschwung, der ihre Person auszeichnet und der in jedem der Fotos zu spüren ist. Ihren Lebensschwung übertragen sie auf die Bilder. Bis jetzt blitzt der Elan Vital in den Porträts der Politiker auf, die sie über Jahre begleiteten vom Blühen bis zur Melancholie der Veränderung.“ 

Herlinde Koelbl: Fotos strahlen Ruhe und Trost aus.



NICHTS DEM ZUFALL ÜBERLASSEN

Diesen Schwung merkt man der Ausstellung an, die Leichtigkeit und der Ästhetik, die überall alles einbezieht. Sechs ungerahmte Großfotos, darunter auch das Plakatmotiv, bewegen sich leicht und angenehm beim kleinsten Luftzug. Alles so gewollt, nichts dem Zufall überlassen.

Jetzt zeigt die Fotografin Koelbl Pflanzen, nur eine andere Art der Veränderung. Die Fotos strahlen Ruhe und Trost aus. Beim Sterben bleiben die Pflanzen ein Teil des Ganzen vom Tod hinein in ein neues Leben zu neuer Auferstehung.

„Leben heißt Sterben lernen“ (Michel de Montaigne).

„Das ist leichter gesagt, als getan, doch die Natur macht es uns vor und in ihren Bilden kommt es zum Ausdruck“. Danke, Frau Koelbl, so endete die Laudatio von Svenja Flasspöhler an Herlinde Koelbl

Und wer die Momente der Ausstellung für sich bewahren möchte, kann das Buch an der Kasse des Museums oder im Buchhandel für 45,00 Euro erwerben.

Ausschnitt eines Koelbl-Fotos.


Dienstag bis Sonntag 10:00 -17:00 Uhr können die Verwandlungszenen „Metamorphosen. Werden - Vergehen - Entstehen“ von Herlinde Koelbl im Augsburger H2 besucht werden. Am Sonntag ist der Eintritt frei

H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast
Beim Glaspalast 1
D-86153 Augsburg


Fotos und Text: Lina Mann

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