„Chefinnensache“ Kultur im Rathaus - funktioniert das wirklich?

Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) in der griechisch-orthodoxen Kirche.



„Das Friedensfest soll einen neuen Zuschnitt bekommen“ ist ein Bericht in der „Augsburger Allgemeinen“ (AZ) vom 11. Februar 2023 überschrieben. Anlass ist ein Beschlussantrag zur Sitzung des Kulturausschusses am Montag, 13. Februar 2023. Angestrebt wird eine Bewertung des Rahmenprogramms zum Augsburger Friedensfest. 

Eingebracht hat den Antrag Stadtdirektorin Melanie Haisch. Als Leiterin des Direktoriums 3, einer von drei Hauptabteilungen im Referat Oberbürgermeisterin, ist sie „qua Amt für Bürgerbeteiligung und partizipative Projekte in der Stadt zuständig“, wie die AZ zu berichten weiß. Sie ist aber auch die Vorgesetzte der von Thomas Weitzel geleiteten Stabsstelle Kultur im Referat Oberbürgermeisterin. Zu dieser Stabsstelle gehören die Fachstelle für Erinnerungskultur sowie das Friedensbüro, das das Rahmenprogramm zum Friedensfest gestaltet.

Geschaffen wurde die Stabsstelle nach der Kommunalwahl 2020. Der als Kulturreferent geschasste Thomas Weitzel machte damals sein Rückkehrrecht in den Dienst der Stadtverwaltung geltend. Um Reibungen zwischen neuem und altem Kulturreferenten zu vermeiden, einigte sich die schwarz-grüne Koalition im Stadtrat, die Fachstelle für Erinnerungskultur (bis dahin eine Stabsstelle im Kulturreferat) und das Friedensbüro (bis dahin eine Abteilung des Kulturamts) aus dem Kulturreferat auszugliedern. Weitzel wurde mit der Leitung einer neuen Stabsstelle betraut, die beide Bereiche zusammenfasst. 

Wenig inhaltliche Anbindung

Schon damals wurde kritisch angemerkt, dass Kulturarbeit im Umfeld der anderen Aufgaben des OB-Referats (wie etwa Stabsstelle Recht, Rechnungsprüfungsamt und Amt für Statistik) wenig inhaltliche Anbindung habe und wertvolle Synergieeffekte innerhalb der Kulturverwaltung wegfallen könnten. Dem wurde entgegengehalten, dass die wichtigen Themen Erinnerungskultur und Frieden durch das neue Organigramm zur „Chefinnensache“ der Oberbürgermeisterin Eva Weber gemacht und damit aufgewertet würden.

Mit Corona, Ukraine-Krieg und Energiekrise hat die OBin seit ihrem Amtsantritt ständig ungeplante Chefinnensachen mit höchster Priorität auf den Tisch bekommen. Umso wichtiger erscheint es, dass auf den Ebenen, die ihr zuarbeiten, eigenverantwortlich die richtigen Prioritäten gesetzt werden. Bis heute haben es die Stabsstelle Kultur und die „Chefinnensache“ Frieden aber noch nicht einmal in den Internetauftritt des OB-Referats geschafft (https://www.augsburg.de/buergerservice-rathaus/buergerservice/aemter-behoerden/staedtische-dienststellen/r/referat-oberbuergermeister). Immerhin diese kleine Geste wäre in zweieinhalb Jahren - trotz Corona und Ukraine - doch zu schaffen gewesen, wenn die „Aufwertung“ dieser Themen im OB-Referat ein Anliegen wäre.

Der aktuelle Beschlussantrag der Stadtdirektorin lässt nun immerhin eine Beschäftigung mit dem Friedensfest erkennen – auch wenn andere Themen dringender wären, wie wir noch sehen werden. Doch worum geht es ihr dabei konkret? Sehen wir uns dazu den Text der Beschlussvorlage im Einzelnen hier an: https://ratsinfo.augsburg.de/bi/allris.net.asp.

Redet die Stadtdirektorin nicht mit ihren Mitarbeitenden?

Über die Arbeit des Friedensbüros heißt es da: "Die Auseinandersetzung mit dem umfassenden Thema Frieden hat in der Vergangenheit ausschließlich auf künstlerisch-kultureller, intellektueller Ebene stattgefunden."

Schon diese Prämisse ist schlicht falsch. Das Programm des Friedensfestes umfasst seit Jahren nicht nur künstlerische Beiträge, sondern auch viele Diskussionsveranstaltungen, aber auch gemeinschaftsstiftende Formate wie die Friedenstafeln, die allen Augsburger:innen offenstehen, ohne dass man ein kompliziertes Konzept verstehen müsste (das ist ja anscheinend mit dem leicht abwertenden Gebrauch des Wortes „intellektuell“ gemeint, der sich durch den gesamten Vorlagentext zieht). Das wirkt befremdlich, denn wer eine Neuausrichtung fordert, sollte doch zumindest die aktuelle Praxis kennen, die er verändert haben will. Redet die Stadtdirektorin denn nicht mit ihren Mitarbeitenden? Weiter heißt es:

Wie wir in den vergangenen Jahren und insbesondere seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine noch intensiver erfahren mussten, ist Friedensarbeit jedoch nicht nur künstlerisch-kulturell zu verstehen, sondern bedarf in einer Großstadt wie Augsburg darüber hinaus einer Präsenz in der Stadtgesellschaft, die durch kulturelle Formate auf intellektuellem Niveau allein nicht zu gewährleisten ist.

Kinder, vertragt euch!

Unbestritten: Durch den Krieg in Europa ist dringender denn je geworden, dass wir als Gesellschaft uns darüber verständigen, was „Frieden“ eigentlich bedeutet. Wenn aber jeder Austausch über Werte und Ziele einer Gesellschaft – also das, was das Wesen von Kultur ausmacht – schon als elitär verpönt wird (denn so hört sich das mit dem „intellektuellen Niveau“ hier an), dann ist das eigentlich nichts weniger als die Bankrotterklärung einer Demokratie.

Denn ganz ohne Nachdenken und Miteinander-Reden wird es Verständigung nicht gehen. Wenn das auch schon zu intellektuell ist, können wir natürlich eine blau-gelbe Hüpfburg auf jeden Platz in der Innenstadt stellen, mit einem Schild, auf dem in 40 Sprachen steht „Kinder, vertragt euch!“, und uns ansonsten freuen, wenn Renk wieder neue Getriebe für den Leopard 2 bauen und in bewährter Augsburger Tradition wieder durch Waffen Frieden schaffen darf. (Obwohl: Schild mit Schrift drauf ist ja auch schon wieder ganz schön intellektuell – vielleicht besser ein Piktogramm?)

 In einer weit besseren Ausgangsposition

Doch ganz im Ernst: Gerade für die dringender denn je notwendigen Diskussionen sind die vielfältigen Formate des Friedensbüros schon jetzt hervorragend aufgestellt. Ohne Zweifel wäre es äußerst wünschenswert, diese Inhalte für neue, auch breitere Zielgruppen zugänglich zu machen. Die Aufgabe dieses „Audience Development“ stellt sich aber allen kulturellen Institutionen und Formaten, nicht nur den vom Friedensbüro veranstalteten. Im Gegenteil, das Friedensbüro ist aufgrund seiner ohnehin schon sehr partizipativ ausgerichteten Arbeitsweise hier in einer weit besseren Ausgangsposition als andere städtische Einrichtungen und Formate. Die bestehenden Ansätze weiterzuentwickeln, sollte eine Selbstverständlichkeit sein, für die es keinen neuen Grundsatzbeschluss bräuchte. In den normalen Arbeitsprozessen innerhalb des Direktoriums 3 war das offenbar nicht machbar. Denn was soll stattdessen passieren?

Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, erhält die Verwaltung den Auftrag, gemeinsam mit den bereits beteiligten Stakeholdern, insbesondere den Religionsgemeinschaften und den Mitgliedern des Kulturbeirats, in einen partizipativen Prozess zur Entwicklung eines zukünftigen Konzepts für die Aufgaben, Inhalte und Tätigkeit des Friedensbüros zu gehen.

 Überdurchschnittliches Niveau für Anregungen

Erneut fragt man sich: Weiß die Stadtdirektorin überhaupt, wie das Friedensbüro arbeitet? Seit vielen Jahren ist das Rahmenprogramm zum Hohen Friedensfest das partizipativste Kulturformat, das die Stadt überhaupt ausrichtet – nicht nur professionelle Künstler:innen, sondern auch Amateur:innen, Ehrenamtliche und unterschiedlichste Akteure der Zivilgesellschaft können Programmbeiträge einbringen; im Rahmen der Reihe „Friedensbüro goes ...“ öffnet sich die Verwaltung in einem für Augsburg überdurchschnittlichen Niveau für Anregungen aus der Bürger:innenschaft und erarbeitet sogar die Themen des Festivals in einem partizipativen Prozess, der prinzipiell bereits jetzt allen Augsburger:innen offensteht. 

Wenn die Beteiligung der Oberbürgermeisterin wirklich so wichtig wäre, dann hätte sie 2022 nicht in diesen Prozess hineinregiert und ihr Wunschthema „Zusammenhalt“ von oben durchgedrückt und damit die Arbeit nicht nur des Friedensbüros, sondern auch der ehrenamtlich Engagierten missachtet. Das entsprach leider der in Augsburg gängigen Handhabung von Bürger:innenbeteiligung, in der als Motto der Stadtspitze gilt: „Denkt euch ruhig irgendwas aus, am Ende machen wir es eh, wie's uns passt!“

Da verwundert es dann eigentlich nicht, dass die Stadtdirektorin weg möchte von der nervigen, kleinteiligen Partizipation diverser Gruppen und statt mit unberechenbaren Bürger:innen lieber mit einer ganz klar definierten, überschaubaren Gruppe von „Stakeholdern“ redet. Nebenbei bemerkt: „intellektuelles Niveau“ ist den Augsburger:innen nicht zumutbar, aber solche Management-Worthülsen schon? Aber wir wollen nicht kleinlich sein: Wenn die offiziell „für Bürgerbeteiligung und partizipative Projekte“ zuständige Stelle ihre Aufgabe genau darin sieht, das Ausmaß von Partizipation zu beschneiden, bewegen wir uns ohnehin schon im Reich des Orwell'schen „Neusprech“, wo das Kriegsministerium „Ministerium für Frieden“ heißt.

Der eigentliche Skandal

Es ist dem Kulturbeirat hoch anzurechnen, dass er sich dieser einseitigen Vereinnahmung umgehend entzogen und für die Ausschusssitzung eine eigene Stellungnahme auf die Tagesordnung gesetzt hat – der Beiratsvorsitzende Korbinian Grabmeier wird bereits in dem eingangs erwähnten Bericht der AZ mit den Worten zitiert: „Der diskursive sowie partizipative Charakter [des Rahmenprogramms zu Friedensfest] und die kuratorische Freiheit für das Friedensbüro sind für uns unverzichtbar.“

Der eigentliche Skandal aber ist die hier klar formulierte Tendenz, dass das Friedensfest wieder zu einer rein religiösen Veranstaltung werden soll. Dass die Stadt, angestoßen durch die Kulturhauptstadtbewerbung 2005, das Thema Friedensfest allmählich von der historischen Verankerung im Religionsfrieden zwischen Protestanten und Katholiken weg zu aktuellen Themen des interreligiösen, aber auch allgemeiner interkulturellen Zusammenlebens geöffnet hat, war ein Meilenstein im öffentlichen Bewusstsein der Stadtgesellschaft. 

Dieser säkulare Ansatz hat es doch überhaupt erst ermöglicht, sich als immer säkularer werdende Gesellschaft in diesem Rahmen sinnvoll auszutauschen. Und jetzt soll „den Religionsgemeinschaften“ die Deutungshoheit über das Thema Frieden gegeben werden? (Wobei hier mit Sicherheit nur an die Big Five gedacht ist – Katholiken, Protestanten, Juden, Moslems und Buddhisten – obwohl Jesiden, Daoisten, Mennoniten und afrikanische Religionen in Augsburg auch ihre Anhänger:innen haben. Was die Russisch-Orthodoxen zu sagen hätten, wäre womöglich auch interessant, wird aber vermutlich nicht abgefragt.) Diese Verengung des Themas Frieden auf den religiösen Bereich ist aber nicht nur rückwärtsgewandt, sondern steht auch im logischen Widerspruch zu einem anderen erklärten Ansinnen der Beschlussvorlage.

Fehlende Attraktivität 

Da heißt es nämlich: "Das Angebot kultureller Veranstaltungen ist so divers und hoch, dass die Gefahr besteht, dass dadurch die beteiligten Initiativen und Friedensakteurinnen und -akteure weder die Sichtbarkeit noch die Wertschätzung erhalten, die sie verdienen. Dies zeigt sich zum einen in zum Teil wenig besuchten Veranstaltungen und zum anderen in der für bestimmte Gruppierungen fehlenden Attraktivität des Friedensfestprogramms."

Genau umgekehrt wird doch ein Schuh daraus: Wenn das Friedensfest wieder eine rein religiöse Veranstaltung wird, verliert es auf jeden Fall an Attraktivität für die sehr große Gruppierung von Augsburger:innen, die sich keiner der großen Religionen zugehörig fühlen. Dass hier so vage gelassen wird, welche „bestimmten Gruppierungen“ gemeint sind, wirkt wie ein bewusstes Manöver: Man kann das so lesen, als ginge es dem Direktorium wohlwollend darum, neu Zugezogene oder bildungsferne Schichten einzubinden - während das Ziel des OB-Referats in Wirklichkeit vielleicht ist, ein weißes, christliches Friedensfest für jene Milieus wiederherzustellen, die die CSU immer noch als ihre Kernwählerschaft ausmacht. (Es wäre ja nicht das erste Mal: Eva Webers Amtsvorgänger Kurt Gribl grätschte schon 2017 auf Druck rechter Kräfte in seiner Partei in die Arbeit des Friedensbüros hinein.)

 Möglichkeiten zu Begegnungen

Gerade die Vielzahl und Diversität von Veranstaltungen, die auch viele unterschiedliche Zielgruppen ansprechen, ist ein Wert an sich. Vielleicht mehr als große Massenveranstaltungen tragen sie zum Zusammenhalt von Gesellschaft bei, weil sie die Vielfältigkeit von Kultur abbilden. Dadurch schaffen sie Möglichkeiten zu Begegnungen und gegenseitigem (Kennen-) Lernen, die in dieser Qualität bei Großveranstaltungen nicht möglich sind. Die rein quantitative Bewertung greift hier wie bei allen kulturellen Phänomenen zu kurz.

Im Gespräch mit der AZ wird Stadtdirektorin Haisch zudem selbst mit der Aussage zitiert, „im vergangenen Sommer, als nach dem zweiten Corona- und Lockdown-Winter viele Veranstaltungen nachgeholt wurden, seien manche Friedensfest-Termine schlecht besucht worden“. Ja eben! Der Sommer 2022 war der dritte Pandemie-Sommer und stand im Zeichen des Krieges und der Angst vor wirtschaftlichen Einbußen in weiten Bevölkerungsteilen. Er war weit von jeder Normalität entfernt, und die Zurückhaltung im Ausgehverhalten ließ sich quer durch die Kulturszene beobachten. Diesen allgemeinen Effekt den Inhalten des Friedensfestes anzulasten, ist kurzschlüssig. Für eine seriöse Beurteilung der Publikumsentwicklung müsste mindestens der kommende Nach-Pandemie-Sommer abgewartet werden.

Auch hier könnte man unterstellen, dass die Corona-Effekte dem OB-Referat für ein politisches Manöver gerade recht kommen. Dann müsste man sich allerdings über die Ungeschicklichkeit wundern, mit der die eigene Taktik in der Presse ausgeplaudert wird. Spätestens hier gewinnt man den Eindruck, dass hier vielleicht einfach die reine Konzeptlosigkeit waltet – und dass die erklärte „Chefinnensache“ Kultur im OB-Referat in der Praxis nicht wirklich funktioniert.

Oberbürgermeisterin Eva Weber erinnert an schreckliche Vergangenheit.



Beschlussantrag kommt zur Unzeit

Dafür spricht auch die eigenartige Prioritätensetzung des Direktoriums 3. Das Friedensbüro ist für die Auseinandersetzung mit den neuen thematischen Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg bereits bestens aufgestellt – der Beschlussantrag kommt zur Unzeit. Das andere Thema der Stabsstelle Kultur, die Erinnerungskultur, steht hingegen aktuell vor massiven Problemen. Das wichtigste Projekt in diesem Bereich, die Eröffnung der Ausstellung im ehemaligen KZ-Außenlager in der Halle 116, war eigentlich – nach mehr als 20-jährigem beharrlichem bürgerschaftlichem Engagement – für 2023 vorgesehen.

Doch Ende 2022 gab es nochmals eine unerwartete Verzögerung durch neue Vorgaben der Bauverwaltung – einer Bauverwaltung, der die überragende Bedeutung dieses Denkortes für demokratische Bildung in Augsburg offenbar nicht klar oder schlicht egal ist, ebenso wie die massive Missachtung, die damit dem enormen ehrenamtlichen Engagement der Arbeitsgruppe Halle 116 entgegengebracht wird. 

Um hier ein zielführendes Zusammenwirken der verschiedenen Verwaltungseinheiten herbeizuführen, wäre der Gestaltungsanspruch der Oberbürgermeisterin angebracht – warum dieses wirklich dringende Thema nicht auf der Tagesordnung landet, sondern am Friedensfest herumgedoktert wird, bleibt fragwürdig. Chefinnensache? Fehlanzeige!


Autor: Guido Beer

Kommentare