„Wo ist der Wamsler ?“ - Ein Bericht über das WBG-Museum

Kücheneinrichtung Lessinghof: Junker+Ruh, sowie Homann Gas- und Kohle
Beistellherd-Kombination (1931).



Deutschlands einzigartige Sammlung zur Kultur
des sozialen Wohnens

Mit dieser eher rhetorischen Frage öffnete Dr. Mark Dominik Hoppe, Geschäftsführer der Wohnbaugruppe Augsburg (kurz WBG, ein privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen der Stadt Augsburg) die schwere Stahltür im Abgang zum Tiefparterre der Unternehmenszentrale in der Rosenaustraße. Dahinter verbirgt sich eine Kollektion von mehr als 400 Gegenständen, die das soziale Wohnen im 20. Jahrhundert, vereinzelt auch früher, prägte. Gleichzeitig kann man auch die Entwicklung der Lebensumstände in den Wohnungen für weniger privilegierte Augsburger erkennen.

Bakelitklingeltableaus,Treppenhauslampen und Namensschilder aus Messing 1930-1960.



Bakelit-Klingeln, Bauhausküchen und Badeöfen

Dr. Hoppe und frühere Mitarbeiter sammelten Kücheneinrichtungen der Bauhauszeit, Öfen des Artdeco ebenso wie Heizmöbel der 1950er Jahre oder die ersten Badewannen mit dem berühmten Kaldawei (Heizwasserofen) und Toilettenzuggriffe. Stragulaböden, Bakelit-Klingeln, stylische Treppenhausleuchten und mit Quecksilber ausbalancierte Hausturmuhrenantriebe sind sämtlich fein in den Kellerräumen aufgereiht. Alles stammt aus Wohnungen und Einzelhäusern des Unternehmens. Normalerweise werden bei Umbauten oder Modernisierungen Dinge wie Miele-Waschtröge auf den Müll geworfen oder durch Ausbau zerstört. Die Handwerker der Wohnbaugruppe, so Dr. Hoppe, haben sie exemplarisch erhalten. An diesen Einrichtungsgegenständen kann man den Wandel der gesellschaftlichen „Innenwelt“ erkennen.

Der Reichsfeldmarschall Hermann Göring, Oberscherge der Nazis beim Modelleisenbahnfahren, vermutlich bevor er am Abend wieder London bombardieren ließ.



Nazigrößen und warmer Hintern

Der Wohnbaugruppe Geschäftsführer verweist auch auf die ersten mit Koks (Kohle, nicht Schnupfpulver !) beheizten Kraftwerke für die Wohnungen in der Innenstadt aus dem Jahre 1929.

Gegliedert in drei Abteilungen, zeigt die Wohnbaugruppe Gegenstände des zeitgenössischen Industriedesign. Der Stahlbandkachelofen, früher ein Großraumheizer, stammt aus der Bärenkeller Siedlung, die damals von der WBG gegründet wurde. Alle Siedlerhäuser aus den 1930er Jahren hatten einen solchen Ofen. Damals heizte man aus Kostengründen nur einen Raum, fast immer die Küche, und öffnete die Gangtüre, damit die anderen Räume „überschlagen“ - meist frostfrei - wurden. Einige der Häuser wurden nach dem Ende des 2.Weltkrieges von den Amerikanern beschlagnahmt und als Arresträume genutzt. Die Nazigröße Reichsfeldmarschall Hermann Göring war bis zum Beginn der Nürnberger Prozesse dort interniert. So ist es durchaus zulässig anzunehmen, dass Göring seinen gewaltigen Hintern an einem solchen Ofen wärmte.

Handschmeichlerischer Türgriffe, poliert und im Volleisenguss.



Ursprung der Energieeffizienz

Insbesondere anhand des technischen Fortschritts bei Heizung und Warmwasserbereitung kann man, so Dr. Hoppe, den Beginn der Energieeinsparung figürlich ablesen. Den Einzelöfen folgten die Kohle- und Ölzentralversorgung, entweder über die Kohlenrutsche oder die Pumpleitung bis zur ersten mit Augsburger Stadtgas betriebenen Zentralheizung. Mit dem Ersatz der Einzelöfen startete die Schadstoffreduzierung von Ruß, Staub und Kohlenmonoxid bei der WBG schon in den 1960er Jahren.
Die erste handbetriebene Miele Waschmaschine aus der
Wohnanlage Schlachthausgässchen (1923).



Wamsler, Walküre und Wotan

Qualität ist gut, Marketing noch besser. Seit der Weimarer Republik verband die Konsumentenindustrie Funktionierendes mit wohlklingendem „Haribo macht Kinder froh“ oder „Im Falle eines Falles klebt UHU wirklich alles“ – auch heute bekannte Reklamesprüche. Aber wie bewarb man einen Ofen? Die Angabe des Heizwertes von 5 KW sagte nichts aus. Zumal Öfen im Sommer gekauft wurden, damit sie im Winter in Betrieb waren. Die Werbung arbeitete mit Symbolen, die Kraft und (Hitze) Ausstrahlung vermitteln. Deshalb griffen die Verkaufsstrategen auf nordische Gottheiten oder germanische Kampfamazonen zurück. Mit deren Namen sollte die Entschlossenheit der Öfen, die Winterkälte zu vertreiben, beim Erwerb im Sommer unzweifelhaft sein. Andere Hersteller vertrauten auf ihren Firmennamen. So stehen Walküre, Wotan und Wamsler kalt, aber ausdrucksstark im WBG Museum nebeneinander.

Der Wotan neben dem Wamsler, die „Wärme-Kerle“ aus dem Wagnerhof.



Bemalte Kloschüsseln von den Amis requiriert

In der Abteilung Hygiene gibt es Sitzbadewannen, in denen sich heute vorzugsweise Schlangenmenschen wohlfühlen würden. Man findet Steingut-Waschbecken und Tröge, deren Tiefe Echoreflexe erzeugen, ebenso wie ein Prunkstück der festen und flüssigen Stoffwechselrestentsorgung. Die mit Delfter Motiven bemalte Kloschüssel stammt aus einer WBG-Wohnanlage im Hochfeld. Als Willy Messerschmitt seine Kriegsflugzeuge in Augsburg konstruierte, waren auch Nazi-Schergen, eben jener Göring, im Werk, um die Produktion zu überwachen. Die lebten entsprechend ihrer Bedeutung in Sechs-Zimmer-Wohnungen mit angeschlossenem Gesindehaus. Die WBG hatte solche Häuser für das Reichskriegsministerium zu bauen. In den mit Glasschiebetüren, Stuckdecken, Dienstmädchenräumen und vornehmen Klos ausgestatteten Wohnungen fühlten sich die „Herrenmenschen“, bis sie von den Amerikanern entweder verhaftet oder vertrieben wurden, recht wohl.

Auch die nach dem Mai 1945 eingezogenen Amis, weil beschlagnahmt, kamen mit dem Komfort der Häuser gut zu recht. Als in den 1950er Jahren die Objekte wieder an die WBG zurückgegeben wurden, fehlten in allen Wohnungen die Toilettenschüsseln. Die Amis nahmen sie als „Kriegsbeute“ mit. Vermutlich zierten damals solche Schüsseln Villen in Oklahoma oder Iowa und sorgten für Heiterkeit über den Nazi-Innenarchitekturstil.

Kohlebadeofen mit Sitzbadewanne und Treppenhausleuchte.




Von Mesalliancen und Balkonmopeds

Eine Wohnung wurde nicht beschlagnahmt. In ihr lebte bis zu Ihrem Tode eine Mieterin, von der spätere Nachbarn behaupteten, sie entstamme einer unziemlichen Beziehung aus einem schwäbischen Adelsgeschlecht. In der Nachkriegszeit pflegte die junge Dame angeblich gute Kontakte zu den Amerikanern. Der Sohn der Mieterin blieb nach ihrem Tod in der Wohnung. Auf dem großen Balkon reparierte er regelmäßig sein Kreidler Moped. Als er eines Tages selbiges vom 3. Stock durch das Treppenhaus nach unten holpern ließ, fiel das Gerumpel einem Hausmeister auf. In Sorge um den Wohnungszustand als Mopedwerkstatt entdeckte die WBG die einzigartige Toilettenschüssel.

Waschmaschinenwerbung und der kupferne Kaldewei Badeofen.



Zeugnis der Stadt- und Zeitgeschichte

Laut Dr. Hoppe ist es der Zweck der in der Bundesrepublik einzigartigen Sammlung, die in Teilen schon Element einer Wanderausstellung war, die Entwicklung der Wohnkultur der letzten 100 Jahre zu dokumentieren und zu bewahren. Diese Geschichte beschränkt sich nicht auf die Gegenstände allein. Deren Wertigkeit kann man von Glump und Graffel bis einzigartiges Industriedesign deuten. Es ist vielmehr die Geschichte der Menschen und ihrer Lebensumstände, für die die WBG als Organ der städtischen Wohnungspolitik zu sorgen hat.

Dr. Mark Dominik Hoppe, Geschäftsführer der Wohnbaugruppe Augsburg.



Nachsatz: Die Wohnbaugruppe Augsburg Leben besteht seit 1927 und ist Eigentümerin von knapp 11.000 Wohnungen im Stadtgebiet. Derzeit sind rund 300 öffentlich geförderte Wohnungen sowohl im Bau als auch in Planung. Des Weiteren zählen die Modernisierung sowie energetische Sanierung zu den maßgeblichen Tätigkeitsfeldern. Ihr Tochterunternehmen, die Wohnbaugruppe Augsburg Entwickeln, erbringt immobilienbezogene Dienstleistungen, schwerpunktmäßig für die Stadt Augsburg.

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Das WBG-Museum ist nur eingeschränkt zugänglich, da es weder barrierefrei betreten werden kann noch über nutzbare Toiletten verfügt. Dennoch können Besuche organisiert werden.

Die Geschäftsführung ermöglicht, unter Haftungsausschluss, der Buchhandlung am Obstmarkt
(Tel. 0821/518804) diverse Führungen, die voraussichtlich im Oktober 2023 stattfinden werden.

Andere Besichtigungen (Gruppen zwischen 5-15 Personen) sind nach Rücksprache mit der Wohnbaugruppe (Tel. 0821/5044 - 0) möglich.


Michael Ehrmanntraut


Die Walküre, ein schwarz emaillierter Wohnzimmerofen von 1935.



Bilder: Autor, Trix-Mangold Archiv, WBG


Der Artikel erscheint in der Serie „Andere Augsburger Orte“ Teil 17

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