Augsburg 1960 - Postzustellung per Raketen?



Die DHL, früher Deutsche Bundespost, überraschte uns mit der Forderung nach einem höheren Briefporto, sollen die aufgegebenen (welche Resignation ist in diesem Wort, eingedenk der vielen verloren gegangenen Sendungen) Briefe, wie bisher üblich, in der Zukunft am nächsten Tag den Empfänger erreichen. Ansonsten zum derzeitigen Porto halt irgendwann später.

Für die schnelle Zustellung könnten Drohnen eingesetzt werden, so in einer Internetveröffentlichung der Post. Alles alter Käse
!


Der Augsburger Raketenverein (AKV)

Wer vor dem Haus Friedbergerstraße 156 steht ahnt nicht daß in den Jahren 1960 bis 1982 hier große Experimente vorgingen. In diesem Gebäude fanden sich am 4. April 1960 acht Visionäre zusammen die den Augsburger Raketenverein gründeten. Angetan durch die russischen Sputniks und die amerikanischen Mercury Raketen planten sie großes für Deutschland. Wenn schon die Sowjets den Hund Laika und die Amis sogar Menschen um die Erde senden können, so sollte es doch ein leichtes sein Briefe und Pakete mittels Raketen durch die Atmosphäre zu schicken. Zudem entsprach es dem Zeitgeist daß die menschliche Genialität dem Fortschritt genüge zu tun hat. Der Glaube an Technisierung, Atomkraft und immerwährender gesellschaftlicher und materieller Fortschritt war die Schubkraft allen Bestrebens.


Skurriler Satzungszweck

Gedacht—getan ? Schon vor über 60 Jahren standen vor Idee und Umsetzung die Bürokratie. Darum benötigten die „Wackeren Eight“ eine Rechtsform unter der sie arbeiten konnten. Denn der eine war zwar Techniker aber im falschen Handwerk, der andere Kaufmann und weitere Mitglieder auch nicht so richtig beruflich prädestiniert als daß man als seriös in der Sache auftreten konnte.

Wird schon werden sagten sich Vorstand und Mitglieder, und gründeten den Augsburger Raketenverein e.V. Der wurde kurze Zeit später ins Vereinsregister eingetragen. Während andere ebenfalls zu dieser Zeit gegründeten Raketenvereine sich hauptsächlich mit der Modifizierung von Silvesterfeuerwerk befassten, meinten es unsere Augsburger ernst. Der Paragraph 2 (nach §1 Name des Vereins) legte fest:

„ Der AKV will den Gedanken an die friedliche Ausnutzung atomarer, chemischer und biologischer Kräfte und Raketen sowie die Verwendung letzterer zur Postbeförderung im Volke wach halten in der Voraussicht daß die Vernichtung der Erde bei kluger Beschränkung der Forschung vermieden werden kann.“ Dieser Vereinszweck war ganz im Sinne des Groschenroman Weltraumhelden Perry Rhodan der in über 70 Fortsetzungsgeschichten nicht nur pubertierende Jünglinge das Gefühl gab Herausforderung, Gefahr und Rettung sind eins, wenn nur die Richtigen am Werk sind.


Postkarten für und vom Augsburger Raketenverein.


Raketen ums Rathaus

Um den Verein noch vor einer Aktivität, zumindest in Augsburg einzuführen, verschickten die Mitglieder visionäre Postkarten etwa mit das Rathaus und den Perlachturm umkreisenden Raketen. Ob diese symbolisch die Amtspost der städtischen Verwaltung trugen und vielleicht deshalb auch manche Stadtratsvorlagen (im All) verschollen sind, ist nicht bekannt. Richtig gezündet haben die Raketenpostkarten aber nicht, denn bei der Recherche zu diesem Artikel erinnerte sich keiner der bei MBB tätigen Zeitzeugen an sie. Zumindest im Internet kreisen die Postkarten in einer ewigen Umlaufbahn.

Hohe Ansprüche an die Vereinsmitglieder

Beitreten konnten dem AKV diskriminierungsfrei alle Personen ungeachtet Geschlecht, Religionszugehörigkeit oder Nationalität. Allerdings mussten sie im „Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte und durften keine Kriegsverbrecher sein“. Die Mitgliedschaft war ferner nicht möglich wenn man „antidemokratischer Gesinnung“ ist. Vielleicht lag es daran daß sich die Prüfung der Aufnahmeanträge dadurch sehr komplex gestaltete und deshalb nie mehr als die acht Gründungsmitglieder im Verein waren. Schon 1962 monierte das Registergericht es wäre seit der Gründung keine formalen oder tatsächlichen Tätigkeiten festzustellen.

Fehlende Versammlungsprotokolle begründeten die Vorstände gegenüber der Obrigkeit mit langzeitlichen Auslandsaufenthalten oder Krankheiten, so kamen zu wenige Mitglieder in die Versammlung und es konnten keine Beschlüsse gefasst werden.

Augsburg, Friedbergerstraße 156: Die irdische Postadresse des Augsburger Raketenvereins.


Die Raketenabschussbasis und Lost in Space

Mitte 1963 war es dann vermeintlich doch so weit. Der Verein begann mit der Planung von „Forschungsarbeiten an Raketentriebwerken mit niederem Verbrauch“. Was immer auch als „nieder“ angesehen wurde.

Dazu sollte ein Prüfstand gebaut werden der nie über den Vorsatz hinaus kam. Das war es dann auch. Nach dem September 1963 haben die offiziellen Stellen nie mehr vom Verein gehört. Amtliche Zustellungen mit der Fahrrad-Post waren erfolglos. Die Vorstände waren verschwunden und der Verein gegenstandslos so daß er 1982 (!) aus dem Registergericht zwangsgelöscht wurde.

Schade, in der Tradition von MBB und Premium Aerotec sowie dem Start Up Rocket Factory wäre die wenn auch utopische Idee des Raketenvereins gut aufgehoben gewesen.

Die Realität war stärker, die Vereinsmitglieder aus der Friedbergerstraße 156 beugten sich der Einsicht des Physikers Max Planck: „Auch eine Enttäuschung wenn sie nur gründlich und endgültig ist, bedeutet einen Schritt vorwärts“. In diesem Fall eher „aufwärts“.


Bericht: Edgar Mathe


Quellen:

Stadtarchiv Augsburg, Bayer. Staatsarchiv in Augsburg

Bilder: Privat


Dieser Artikel erscheint in der Reihe: Andere Augsburger Orte, Teil 17

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