Gefängnisstrafe für junge Menschen, die für die Umwelt kämpfen!

Demonstrantin hängt an der Fassade der Schwäbischen Regierung.


Droht nun Eklat bei Fridays-for-Future-Demonstration?

Richter hätte noch strenger verurteilen wollen, kritisiert Fridays for Future


Gefängnisstrafe für satirische Kritik: Droht nun Eklat bei Fridays-for-Future-Demonstration? Richter hätte noch strenger verurteilen wollen, kritisiert Fridays for Future

Am Mittwoch, 18.10.2023, standen die Klimaaktivist*innen Samuel Bosch (20) und Charlie Kiehne (21) in Augsburg vor dem Landgericht. Sie hatten im Oktober 2022 gemeinsam mit dem ebenfalls Beschuldigten Ingo Blechschmidt (35) satirische Kritik an der Fassade der Regierung von Schwaben platziert.

Der Vorsitzende Richter bekräftigte nun das Urteil des Amtsgerichts aus dem Juni und verwarf die Berufung. In seiner Urteilsbegründung bedauerte er, dass er keine noch höhere Strafe verhängen könnte – das Verschlechterungsverbot verhinderte das, weil die Staatsanwaltschaft vor Prozessbeginn ihre Berufung zurückgezogen hatte.

Weil das Jugendstrafrecht keine dritte Instanz vorsieht, sind Samuel Bosch und Charlie Kiehne damit rechtskräftig zu drei und einer Woche Gefängnis (vollstreckt als Jugendarrest, nicht zur Bewährung ausgesetzt) verurteilt. Blechschmidt erwartet nun ebenfalls eine vollstreckte Haftstrafe, das Urteil dazu wird am 26.10.2023 fallen. Weil bei ihm Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommt, werden es bei ihm voraussichtlich mehrere Monate Haftstrafe.

Zentral ging es im Prozess um die Banneraufschriften „Lohwald-Rodung trotz laufender Gerichtsverfahren? Frech!“ und „Lohwald verhökern für 250 €? Frech!“, die zur Begründung des Straftatvorwurfs § 188 StGB (üble Nachrede bei Personen des politischen Lebens) herangezogen wurden.

Anwohner*innen des Lohwalds, die den Prozess verfolgten, kündigten direkt nach der Verhandlung an, eben jene Bannersprüche auch bei der besonderen Fridays-for-Future-Demonstration am 22.10.2023 (11:00, Augsburger Innenstadt) zum Thema „Ein Jahr nach der vorgezogenen Lohwald-Rodung: Wird die Regierung von Schwaben in Zukunft obergerichtliche Rodungsprüfungen respektieren?“ zu präsentieren.

Ein Anwohner (knapp 60 Jahre, möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen) erklärte: „Erst die Ausnahmegenehmigung der Regierung von Schwaben öffnete der Lohwald-Rodung Tür und Tor. Ohne sie hätten die Lech-Stahlwerke die laufende obergerichtliche Prüfung ihres Rodungsvorhabens abwarten müssen.“ Insofern seien die verfahrensgegenständlichen Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof legt bei umstrittenen Rodungsvorhaben immer wieder die Notbremse ein, bewahrte in einem viel beachteten Urteil zuletzt einen Bannwald bei Planegg (München) vor der Rodung ( https://www.sueddeutsche.de/muenchen/vgh-entscheidung-kiesabbau-waldrodung-planegg-1.6093536 ). Entsprechend könnte die Fridays-for-Future-Demonstration diesen Sonntag von den Behörden gestoppt werden.

Demo bei der Schwäbischen Regierung wegen Baumfällungen.


In der Urteilsbegründung äußerte der Vorsitzende Richter zudem allgemeine Kritik an Fridays for Future. Aktivismus bedrohe die Lebensgrundlagen von acht Milliarden Menschen; man könne nicht alles verbieten.

Kurz vor diesen Vorwürfen hatten Bosch und Kiehne in ihrem letzten Wort betont, wie sie sich in ihren Heimatstädten in verschiedene städtische Gremien und Projekte einbringen, um konstruktiv an Lösungen zur Klimakrise zu arbeiten, zudem Müll sammeln, Bäume pflanzen und Workshops an Schulen leiten. Ingo Blechschmidt, der für verschiedene Klimainitiativen den Telefondienst macht, erklärt: „Immer wieder rufen Bürger*innen bei mir an, weil sie gehört haben, dass Aktivist*innen alles verbieten wollen würden.

Das Gegenteil ist der Fall: Wir stehen für die Rückkehr des 9-Euro-Tickets ein, für die Erlaubnis von Balkonsolaranlagen, für die Schaffung eines sicheren Radwegenetzes. Letztendlich geht es uns darum, dass das vom Bundestag demokratisch beschlossene Klimaschutzgesetz umgesetzt wird.“

Klaus Schulz, erfahrener Anwalt im Strafrecht und Rechtsbeistand von Bosch, erklärte: „Aus württembergischer Sicht ist das Urteil definitiv überzogen – in Bayern sind die drauf wie‘s Messer. Samuel und Charlie sind kaum vorbestraft und trotzdem wurde hier gnadenlos fast die Höchststrafe verhängt. Ich schätze, das ist im Strafmaß fast Faktor drei im Verhältnis zu Baden-Württemberg“.

Auch die Situation im Gerichtsgebäude sei in Bayern grundlegend verschieden. In flughafenähnlichen Polizeikontrollen wurden der Öffentlichkeit nahezu alle mitgeführten Gegenstände, wie zum Beispiel Bleistifte verboten. Ein Zuschauer, der auf einem Blatt mitschreiben wollte, lieh von einem der Prozessbeteiligten einen Stift, woraufhin der Staatsanwalt erbost aufsprang und laut rufend in den Nachbarraum lief. Dem Zuschauer wurde angedroht, aus dem Saal verwiesen zu werden, wenn er den Stift nicht umgehend zurückgebe. Auch der Angeklagte Samuel Bosch musste die Verwendung eines Stifts erst beantragen.

Das Urteil überraschte Kiki Köffler (19), eine Freundin der drei Angeklagten, im Verhältnis zu den Vorwürfen und der Tat. Schließlich sei der Protest zielgerichtet gewesen und habe auch keine Dritten tangiert.

Die satirische Kritik habe nichts mit Straßenblockaden der Letzten Generation zu tun. Aus ihrer Sicht füge es sich in die zunehmende Kriminalisierung von Klimaschutzprotesten ein. Das wurde im vergangenen September von Amnesty International in deutlichen Worten kritisiert. In Deutschland würden Proteste vonseiten der Behörden mitunter als Bedrohung wahrgenommen, statt sie als Kernelement eines lebendigen gesellschaftlichen Diskurses zu ermöglichen und zu schützen, heißt es in dem Bericht ( https://netzpolitik.org/2023/interaktive-karte-amnesty-kritisiert-einschraenkung-der-versammlungsfreiheit-in-deutschland/ ). Vielmehr bestünde in Deutschland die Gefahr, Menschen davon abzuschrecken, zu demonstrieren.

Bei aller Kritik an der Haftstrafe erklärt Bosch: „Das eigentlich Schlimme ist nicht die Haftstrafe, sondern die Klimazerstörung, die wir im globalen Süden verursachen. Wenn alle Bürger der Erde darüber entscheiden könnten, würden bei uns im globalen Norden keine Wälder mehr gerodet werden würden.“

Auf das schwere Urteil reagierten die den Prozess verfolgenden Anwohner*innen, Unterstützer*innen und Aktivist*innen unterschiedlich.

Blechschmidt, der sein Urteil am 26.10.2023 erfahren wird, erklärt: „Heute wurden zwei meiner besten aktivistischen Freund*innen zu Gefängnis verurteilt. Charlie und Samuel sind für mich inspirierende Vorbilder. Wenn auch nur ein paar mehr Menschen sich gelegentlich aktivistisch engagieren würden, wäre die Welt ein ganzes Stück besser.“

Köffle erklärte: „Das Urteil ist unnötig hart und zeigt, dass es dem Gericht um Einschüchterung und die Verhinderung von Protest im Allgemeinen geht. Eine Gefängnisstrafe für drei Stunden in einem Behördenflur. So ein freches Urteil sucht seinesgleichen.“

Bosch erlebte Rückhalt von seiner Familie, seine Eltern drückten aus, dass sie weiter hinter Samuel stehen und sein Engagement zu schätzen wissen.

Eine Anwohnerin und gläubige Christin betete nach der Verhandlung und bat um Verzeihung für das Unrecht, das wir in Deutschland zulassen würden. Aktivist*innen aus dem Klimacamp erklärten, für die Dauer der Haft ein Protestcamp vor der Regierung von Schwaben zu errichten.
Die umstrittene Ausnahmegenehmigung.




Pressemitteilung vom 17.10.2023, veröffentlicht vor dem Verfahren

Nach satirischer Kritik wegen Sonder-Rodungsgenehmigung des Lohwalds: Klimaaktivist*innen sollen endgültiges Urteil erfahren

Am Mittwoch (18.10.2023, 9:00 Uhr) stehen die Klimaaktivist*innen Samuel Bosch (20) und Charlie Kiehne (21) vor dem Augsburger Landgericht (Gögginger Str. 101). Zusammen mit dem ebenfalls angeklagten Augsburger Mathematiker Ingo Blechschmidt (35) sowie weiteren Mitstreiter*innen hatte das Team im Oktober 2022 satirische Kritik an der Regierung von Schwaben geübt [4,5,6,7,8]: Diese hatte den Lech-Stahlwerken eine Ausnahmegenehmigung erteilt und so der umstrittenen vorgezogenen Teilrodung des an das Konzerngelände angrenzenden Lohwalds Tür und Tor geöffnet [1,2,10]. „Frech“, befand die Aktivistengruppe, denn Bayerns höchstes Verwaltungsgericht war zu diesem Zeitpunkt noch mit der rechtlichen Prüfung der Rodungsabsicht beschäftigt.

Für ihre satirische Kritik wirft ihnen die Staatsanwaltschaft Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) und gegen Personen des politischen Lebens gerichtete üble Nachrede (§ 188 StGB, Mindeststrafe drei Monate) vor. Da vermutlich wie schon in der ersten Instanz nach Jugendstrafrecht verurteilt wird, wird das Urteil vom Mittwoch endgültig sein, eine Revision zum Oberlandesgericht ist unmöglich (§ 55 JGG). Auf Grundlage der Parallelverhandlung von Blechschmidt (am 10.10.2023, [16,17]) ist eine vollstreckte Haftstrafe dabei ein wahrscheinlicher Ausgang des Prozesses.

Anders als Straßenblockaden wie etwa von der Letzten Generation tangierte der Protest keine Dritten, sondern nur die Regierung von Schwaben als unmittelbar verantwortliche Stelle: Ihre Kritik brachten die drei in einer Kletteraktion über Pappschilder mit Aufschriften wie „Lohwald-Rodung trotz laufender Gerichtsverfahren? Frech!“ an der Fassade des Regierungsgebäudes an.

Obwohl der Protest keine Dritten tangierte, entsprach das Augsburger Amtsgericht in der ersten Instanz am 27.6.2023 unter Vorsitz von Jugendrichterin Sandra Mayer dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Haftstrafe und verurteilte Bosch und Kiehne zu drei bzw. einer Woche Gefängnis (sog. Jugendarrest, vollstreckte Haftstrafe ohne Bewährung in einer speziellen Jugendarrestanstalt) [11,12,13,14,15]. „Richterin fehlt politische Reife“, befand damals ein Prozessbeobachter [15], nachdem Mayer immer wieder abwertend über das geistige Innenleben der Angeklagten spekulierte und in der Urteilsbegründung ihren persönlichen Unmut gegen Bosch und Kiehne preisgab. Gegen die Haftstrafe gingen die beiden in Berufung – nun wird der Prozess vor dem Landgericht neu aufgerollt.

„Weil wir uns friedlich für die Beachtung rechtlicher Prüfungen durch Bayerns höchstes Verwaltungsgericht eingesetzt haben, möchte uns die Staatsanwaltschaft am liebsten wegsperren. Wem würde das nützen außer Großkonzernen wie den Lech-Stahlwerken, die dann weiter ungehindert unsere Lebensgrundlagen zerstören können?“, fragt Bosch.
Gefällte Bäume im Lohwald: Erlaubt oder unerlaubt?




HINTERGRÜNDE

Der Lohwald ist ein nach dem Bayerischen Waldgesetz geschützter Bannwald bei Biberbach und Langweid.

Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen den Lech-Stahlwerken und der Gemeinde Meitingen, die über den Wald verfügt, gestattete eine Teilrodung erst nach erfolgreichem Abschluss gewisser artenschutzrechtlicher Sicherungsmaßnahmen zur Rodungssaison im Herbst 2023 [10].

Diesen Vertrag ließen die an den Wald angrenzende Gemeinde Biberbach sowie der BUND Naturschutz beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München prüfen. Diese Prüfung dauert bis heute an. Die beiden Normenkontrollklagen entfalteten keinen einstweiligen Rechtsschutz, da vermeintlich keine Eilbedürftigkeit vorlag.

Diesen Umstand nutzten die Lech-Stahlwerke aus. Diese wollten die Attraktivität ihres Betriebsgeländes durch die Rodung steigern – schwer ausbeutbarer Waldboden sei weniger wertvoll als teure Industriefläche. Sie beantragten am 4.10.2022 eine Ausnahmegenehmigung bei der Regierung von Schwaben, um die Rodung ein ganzes Jahr vorziehen zu können und so ein mögliches Waldschutzurteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu umgehen.

Nach nur wenigen Tagen Bearbeitungszeit erteilte die Regierung von Schwaben für eine Routinegebühr von 250 € diese Genehmigung (Volltext der Genehmigung verfügbar auf: https://www.lohwibleibt.de/). Und das, ohne die angrenzenden Gemeinden oder den BUND Naturschutz darüber in Kenntnis zu setzen – diese hätten wegen der dann bestehenden Eilbedürftigkeit einstweiligen Rechtsschutz beantragen können. Thomas Frey, der Regionalreferent des BUND Naturschutz, sprach gegenüber BR von einer „perfiden Aktion“ und einer „Watschen für die engagierte Bürgerschaft“ [1].

HINWEISE

1. Samuel Bosch und Charlie Kiehne sind, so wie Ingo Blechschmidt, im Einklang mit früherer Berichterstattung mit der Nennung ihrer vollen Namen einverstanden. Bosch und Kiehne leben seit zwei Jahren im rodungsbedrohten Altdorfer Wald bei Ravensburg. Zusammen mit anderen Klimaaktivist*innen sowie Anwohner*innen errichteten sie dort nach dem Vorbild der erfolgreichen Besetzung des Hambacher Walds mehrere Baumhausdörfer. Bosch und Kiehne kommen zentral in dem Dokumentarfilm „Von Menschen, die auf Bäume steigen“ der Berliner Regisseure Bernadette Hauke und Christian Fussenegger vor [18].

2. Der zweite Prozesstag von Blechschmidt findet am 26.10.2023 um 9:00 Uhr statt. Der erste Prozesstag am 10.10.2023 wurde nach einigen Stunden Verhandlung unterbrochen. Wie Bosch und Kiehne ist auch bei Blechschmidt eine Haftstrafe wahrscheinlich, Staatsanwältin Dorn-Haag hatte schon in der ersten Instanz sechs Monate gefordert und mit dieser Forderung auch ihre Berufung begründet. Nach Befragung der Zeug*innen hätte Richter Natale einige der Vorwürfe einstellen können, doch tat es nicht.

3. Am 22.10.2023 veranstaltet Fridays for Future um 11:00 Uhr in der Augsburger Innenstadt eine Demonstration anlässlich des einjährigen Jubiläums der vorgezogenen Lohwald-Teilrodung. Verschiedene Redebeiträge, auch von Anwohner*innen und Sachverständigen, sind angekündigt.

4. Der Volltext der Ausnahmegenehmigung, die der vorgezogenen Rodung Tür und Tor öffnete, ist unter lohwibleibt.de abrufbar. Diese Ausnahmegenehmigung existiert in zwei Fassungen. Die eine ist auf den 14.10.2022 datiert und hatte somit eine Bearbeitungszeit von 10 Tagen. Die andere (Seite 44 der Gerichtsakte) ist auf den 17.10.2022 datiert und hatte somit eine Bearbeitungszeit von 13 Tagen. Wieso es zwei Abfassungen der Ausnahmegenehmigung gibt, konnte bislang nicht geklärt werden.

In Deutschland würden Proteste von staatlichen Behörden mitunter als „Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ wahrgenommen, sagt Paula Zimmermann, Expertin für Meinungs- und Versammlungsfreiheit bei Amnesty International in Deutschland. Das führe zu einer "Dämonisierung und Kriminalisierung, anstatt sie als Kernelement eines lebendigen gesellschaftlichen Diskurses zu ermöglichen und zu schützen. Präventive Einschränkungen oder gar Verbote von Protesten seien Ausdruck dieser Entwicklung".

Bericht: Pressemitteilung vom Augsburger Klimacamp


Unser Kommentar: Robin Hood galt zu seiner Zeit bei gewissen herrschenden Kreisen als Verbrecher. Später wurde er zum Helden. Ein Trost für die Bestraften: Das Lechstahlwerk wird samt seinem Besitzer eines Tages verschwinden und die Natur holt sich den Platz wieder zurück.

Was sagen die Grünen in Bayern und Augsburg dazu? 



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