Premiere von "Der Menschenfeind": Buntes Bühnen-Spektakel voller Beziehungsprobleme mit Verngügungs-Garantie!


Die junge Witwe wird von vielen Männern begehrt.

Der Menschenfeind
oder der verliebte Melancholiker - von Moliere

(Premiere am 1. Dezember 2023)


Es geht um Beziehungen, es geht um die Wahrheit und natürlich um die Liebe: Im Schauspiel „Der Menschenfeind“ am Staatstheater Augsburg. In der Inszenierung von Intendant André Bücker ist diese Moliere-Komödie ein unterhaltsames Vergnügen auf der Brecht-Bühne im Gaswerk. Dem einen oder anderen Pärchen im Publikum die beste Paar-Therapie.  Vor allem für solche, die schon die ersten Liebschaften hinter sich haben und mit weitaus mehr Erfahrungen und Gedanken in die nächste Beziehung heran- und reingehen.

Er ist sich nicht zu schade, ihr die Schuhe auszuziehen.

Sie gesteht ihm ihre Liebe, aber er zweifelt und verzweifelt. 
Kai Windhövel als Alceste und Mirjana Milosavljevic als Celimene.


Denn hier im Hause, wo Sie lieben? Wo sind da Ihre Grundsätze geblieben?

Es ist schon viel geschrieben worden über das Stück "Der Menschenfeind" von Moliere. Sich über diese Aussage des Bühnenwerks von Moliere, das im Jahre 1666 seine Uraufführung in Paris hatte, noch viele Gedanken zu machen, hieße, Eulen nach Athen zu tragen. Schreiben wir lieber über das Theater-Team, das den "Menschenfeind" in Augsburg umjubelt auf die Brecht-Bühne brachte.

Kai Windhövel spielt mit der Figur Alceste einen Mann, der an seiner Umwelt, sogar an seiner Liebe zu einer jungen Witwe Celimene verzweifelt. Das zeigt er uns sehr überzeugend. Er spuckt die Wahrheiten und seine Kritik an der Gesellschaft wie den Schaum eines Feuerlöschers hinaus. Immer wieder frustriert erkennend, dass sein durchaus originell vorgebrachter und öfters auch selbstironischer Wahrheits-Schaum vorm Mund nichts nützt gegen das Feuer der Verlogenheit, das immer irgendwo aufglimmt und zum gefährlichen Waldbrand werden kann. Er ist ein Wirbelwind auf der Bühne, der auch furchtbar leidet, wenn er selbst merkt, dass seine wohldurchdachten, provokativen Kritiken verschwendete Perlen vor die Säue sind. Die Liebe macht ihn zum Masochisten, der sich vom Giftzwerg, der auf dem Sofa rumhüpfend an Größe gewinnen will, in einen Sisyphus verwandelt, der seinen Anerkennungswunsch, vermiest durch Kompromisse und Lügen seiner Umwelt, immer wieder neu zum Gipfel rollen muss.


Er sucht die Wahrheit, sie sucht das Vergnügen in Freiheit.


Paul Langemann spielt Philinte, den sympathischen Freund des Alceste, der unermüdlich versucht, diesem die Aberwitzigkeit der Realität des Alltags klar zu machen. Er stellt wunderbar den Freund dar, der einfühlsam deutlich machen will, dass die Welt eine verrückte Angelegenheit ist, der man am besten begegnet, wenn man über sie lacht, oder auch mal bei diesem Menschheits-Spiel mitwürfelt, nicht alles so ernst nimmt. Philinte weiß nur zu gut, dass Alceste wie ein Hofnarr das sagt, was andere zwar denken aber nicht zu sagen wagen und das still und heimlich bewundern. Auch Philinte. Wer wollte keinen solchen verständnisvollen Philinte a la Langemann als Freund haben? Ein Wunschfreund ist das!

Ein Freund, ein guter Freund ...
Alceste und sein verständnisvoller Freund Philinte.
Gespielt von Kai Windhövel und Paul Langemann.


Mirjana Milosavljevic spielt völlig unbeschwert die junge Witwe Celimene, die von mehr oder weniger attraktiven Männern umschwirrt wird, wie Motten das Licht. Alceste ist total verknallt in sie, ihr fast hörig, er sieht in ihr die Liebe des Lebens, die Gefährtin bis zum Tod. Sie fühlt sich allerdings zu jung und will ungebunden sein. Sie zeigt den Männern offen, dass sie jeden haben kann, wenn sie will. Sie will aber noch nicht. Sie will ihr junges Leben ohne Rücksicht auf Männer genießen. Schließlich war sie ja schon verheiratet und kennt diesen Teil des Daseins. Sie muss sich auch keinen Mann suchen, der sie versorgt, wobei dann die Liebe keine große Rolle spielen würde. Milosavljevic strahlt hervorragend eine Mischung aus Freiheit und Geheimnis aus, die sie so interessant für die Männer macht. Ihr Köder ist eine versteckte mysteriöse Erotik, von der sie selbst weiß, dass sie das nie leisten kann, also es besser nicht von Worten zur Tat kommen lässt. Sie wird nach und nach zu der eigentlichen Menschenfeindin, die sich über alle lustig macht und über ihre Verehrer gnadenlos lästert. Bestes Casting: Milosavljevic ist dafür die Superbesetzung.

Klaus Müller will als Oronte sein lyrisches Sonett vortragen.


Klaus Müller spielt voll überzeugend den dichtenden, sensiblen und altmodischen Romantiker, der mit Texten wie aus unserer Schlagerwelt das Herz von Celimene erobern will. Müller ist voll und ganz Oronte, der über die Bühne stolziert wie ein Pfau, sein Rad schlägt und es nicht verkraftet, wenn ihm Alceste brutal die verstaubten lyrischen Federn schmerzhaft rausreißt. Eine großartige Momentaufnahme, es ist auch die Lieblings-Szene von André Bücker, wie wir von ihm erfahren, wenn Müllers umständlich gockelnder Oronte versucht, sein Gedicht „Die Hoffnung“, Text gespeichert auf seinem Smartphone, mit der passenden Stimmung vorzutragen. Was grausam misslingt. Die herzhaften Lacher des Publikums dazu hat sich Müller ehrlich verdient. Oronte, der als alter weißer Mann im dekadenten Outfit aus der Zeit gefallen ist, bäumt sich beim Abgang gegen seine Lächerlichkeit auf, er gibt in Selbsterkenntnis das Liebesspiel verloren.


Freudentanz: Haben sich da die zwei Richtigen gefunden?
 Paul Langemann als Philinte und Mirjam Birkl als Eliante.

Mirjam Birkl spielt eine ausgeflippte, dem Leben zugewandte Eliante. Diese scheint immer noch ein Teenie mit Lollipop-Flair zu sein, die einfach nur die schönen Minuten ihrer Existenz genießen will. Was sie sagt und wie sie es sagt, lässt uns viel leichter an die Hoffnung glauben, dass nicht alle Menschen Lügner sind, um gierig nach Vorteilen zu grapschen. Mit ihrer langbeinigen Erscheinung in Hotpants präsentiert sie uns optisch einen transparenten Sex, der richtig funny ist. Birkl verkörpert diese lebenslustige junge Frau ideal, zeigt uns damit Parallelen zu den heutigen Happy-Divas Madonna und Lady Gaga auf. Mit ihr macht auch 'Theater Spaß.

Wettkampf der Casanovas.
Patrick Rupar als Acaste und Thomas Prazak als Clitandre


Patrick Rupar spielt Acaste und Thomas Prazak spielt Clitandre, zwei weitere Verehrer der begehrten Witwe. Sie bringen es glänzend rüber, dass sie zusätzliche Mitglieder der Celimene-Fan-Base sind. Zwei Typen, die sich modisch aufgebrezelt haben, um sich interessant zu machen. Sie sehen das Rennen um Celimene eher sportlich.

Arsinoe will Celimene den Mann abjagen.
Arsinoe (links), gespielt von Katja Sieder und Celimene, gespielt von Mirjana Milosavljevic.


Katja Sieder spielt bravourös die prüde und bleiche Vampir-Frau Arsinoe, entsprungen aus "Bram Stokers Dracula", die sich an das wahrheitssuchende Rumpelstilzchen Alceste mit ausgefeilten, durchaus stimmigen Komplimenten hemmungslos ranschleimt. Sie präsentiert uns die Wahrheiten über einen Menschen in der Liebesfolter, wobei wir als Publikum, von diesen Wahrheiten negativ berührt als intrigante Worte wahrnehmen, weil Arsinoe diesen Mann in ihr Bett, oder ihren Sarg bekommen will. Sie ist die einzige weibliche Person, die nicht davor zurückscheut, ihren Rocksaum hochzuziehen, um einige Zentimeter unverhülltes Fleisch als Lockmittel bei der Männerfalle einzusetzen. Wir fühlen bei ihr, sie will ihn nicht, weil sie ihn für sein wahres Wesen liebt, sondern weil sie ihn der anderen wegnehmen und dann aussaugen will. Das wäre ihre große Befriedigung.

Dubois ist bereit für den Umzug aufs Land.
Gespielt von Sebastian Müller-Stahl.


Sebastian Müller-Stahl spielt gekonnt professionell gleich drei Rollen: den blond-coolen Salon-Diener Basque von Celimene, den Gerichts-Gardisten und den dödelig wirkenden Dubois, Alcestes Diener, dem aber in seiner schlichten Weisheit klar ist, dass sein Herr möglichst bald aufs Land ziehen sollte, weil die verlogene Gesellschaft und die vergebliche und aufreibende Liebe zu Celimene den durchdrehenden Alceste in Depressionen, ja ins Irrenhaus bringen wird. Einen packenden Aha-Moment gönnt uns Mühler-Stahl, wenn er sich als Dubois im Hasenzahn-und-dicke Brille-Stil des Kult-Komikers Jerry Lewis demaskiert, der lustigerweise als Menschenfreund gesehen wird.

Wer jung ist, ist nicht gern allein, später kann man immer noch moralisch sein.

Zur Inszenierung:

Herzliche Umarmung für André Bücker für seine gelungene
Premiere von Moliers "Menschenfeind".
Foto: Lina Mann

Gelungen ist es Andrè Bücker bei dieser Inszenierung mit einem Team voller 'Spielfreude keine Langweile und Abstumpfung aufkommen zu lassen, wenn Moliers Reime auf uns niederprasseln. Das klang nicht nach Gedichte vortragen. Uff – da hat das Publikum Glück, Vergnügen und Top-Unterhaltung. Moliers Wörter sind immer noch Pfeile, die uns und eine konsumorientierte, oberflächliche Gesellschaft voll ins Herz treffen. Sicher nicht nur, um sich an der herrschenden Bevölkerung zu rächen, sondern auch aus Liebe zum Menschen, die er nicht alle für verloren hielt. Bücker hat das bewusst oder unbewusst gut rübergebracht. Er inszenierte uns ein Stück, das schon bald 400 Jahre alt ist, in einem neuen Gewand. In der Zeit von Big Brother Häusern im TV, Dschungel-Promis mit Ekelaufgaben, Model-Wettbewerben, Poetry-Slam, Internet, Chat, Twitter, WhatsApp, Instagram und Facebook, mit Dating-Apps, Fakenachrichten, anonymen Beleidigungen und karrierebeendenden Shitstorms und wie eh und je toxische Beziehungen, in denen der eine den anderen nur ausnutzt, manipuliert und intrigiert.

Im DJ-Fummel: Lilijan Waworka.


Die Vernunft hat es mir oft gesagt, doch wann hat Liebe die Vernunft gefragt?

Die Idee mit dem Live-DJ Biceps Bourgeoises auf dem Balkon hat voll reingehauen! Mega-Kompliment! Das bringt Moves in die Quasselbude. Lilijan Waworkas geiler Movie- und Techno-Sound motiviert die Leute auf der Bühne und die auf den roten Besuchersitzen gleichermaßen optimal zum Spielen, Fühlen, Schauen und Lauschen. Auch Bücker würde sich nicht wundern „wenn beim Finale das Publikum mittanzen würde.“

"Alceste vertritt veraltete Tugenden und Verhaltensnormen. Er ist Held und Antiheld zugleich. Für den Helden spricht sein hohes Maß an Idealismus, für den Antihelden sein Außenseitertum, sowie sein Scheitern. Als Zuschauende bleiben unsere Gefühle zu ihm zwiespältig", so analysiert Dramaturgin Sabeth Braun mit genauem Blick die Hauptfigur des Moliere-Stücks. 

Beste Club-Atmosphäre, DJ Waworka bekommt auf seinem Balkon Fanbesuch.


Ein riesiges Kompliment an Imme Kachel für Bühne und Kostüme. Die schrille Kleidung der Darstellerinnen und Darsteller, abgesehen vom passenden Second Hand Outfit des Alceste, der lieber authentisch statt modisch daherkommt, ist eine gekonnte Mixtur aus Stilen. Barock und Rokoko meets Pop und NewWave. Dieser hellgrüne Cowboy-Anzug, der an Dallas erinnert, ist ein Hammer. Sensationell, was er uns mit der blauen Couch, den alkoholhaltigen Sitzen und den bunten Neon-Lichtern von Moritz Fettinger vermittelt hat: So toll kann ein Club in Augsburg sein! Wie sagte eine Besucherin nach der Vorstellung bei einem Glas Prosecco: „Hoffentlich wird nach den Aufführungen damit ein echter Club in Augsburg ausgestattet!“

Die Chat-Texte von Andreas Hillger, die an der Wand ab und zu eingeblendet wurden, ergänzen und würzen das Satzfürsatz-Spektakel. Die aufgemotzte Crew serveuses mit Thomas Berchtold, Lena Jegielka, Finn Seeger und Selina Ruef gab einen Spitzenhintergrund mit Tanz ab.

Tja, mein Fazit zum „Menschenfeind“ von Bücker: Wer da nicht reingeht, der muss sich nicht wundern, wenn seine nächste Beziehung nicht das große Ding wird, das erhofft wird. Ach was, am schlimmsten ist es für die, die dieses Stück nicht sehen, dass sie nicht mitbekommen, das Theater in Augsburg wirklich Mega-Spaß machen kann.

Die verlogene Spaßgesellschaft am runden Tisch.


P.S.: Bereits seit Mitte Oktober 2023 posten und kommentieren auf www.molusk.de die Protagonist:innen des Stücks in Interaktion mit dem interessierten Publikum und erweitern so den Bühnenraum um eine digitale Dimension.


Bericht: Lina Mann
Fotos: Jan-Pieter Fuhr

Hier sind weitere Aufführungstermine von "Der Menscheinfeind" im Staatstheater Augsburg.

Interview mit Staatsintendant André Bücker
nach der "Menschenfeind"-Premiere

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