Staatstheater Augsburg: Mutter Courage und ihre Kinder - Krieg auf der Bühne?

Jürgen Lier erklärt sein Bühnenbild für Mutter Courage und ihre Kinder.
Foto: Lina Mann


Das Staatstheater Augsburg spielt Mutter Courage und ihre Kinder in einer Neuinszenierung von David Ortmann, leitender Regisseur am Staatstheater Augsburg. Bert Brechts Klassiker als Eröffnung zu dem nach ihm benannten Festival 2024 in Augsburg. In einem Monat, am Freitag, dem 23. Februar 2024 um 19.30 Uhr hebt sich der Vorhang im Martinipark für ein Stück, das aktueller nicht sein kann. Abscheuliche, vermarktete Kriege werden auf der Welt geführt, heute, auch während der Premiere. Unfassbar, unvorstellbar. Krieg auf der Bühne, mitten im Krieg?

Hört doch auf mit diesem Krieg! Schaut, was der Krieg anrichtet! Das Publikum ist gefordert. Brecht schrieb keine mitleidigen Stücke. Eher distanziert soll das Publikum, jeder und jede Einzelne nachdenken und sich richtige und unbequeme Fragen stellen. Das Unterhaltsame darf dabei trotzdem nicht zu kurz kommen.

Da hat sich das Staatstheater, da haben sich David Ortmann und sein Team, ganz schön was vorgenommen. Wie es sich jedoch in der Brechtstadt und um Brechts 126. Geburtstag gehört. Mehr noch: Ortmann ist heiß darauf, den aktuellen brisanten Stoff auf die Bühne zu bringen. Das merkt man von Anfang an. 

Von Anfang an? 

Ortmann lädt zum öffentlichen Konzeptionsgespräch ein. Waren Sie schon einmal bei einem öffentlichen Konzeptionsgespräch? Für mich ist es eine neue Erfahrung, fast ein Abenteuer. Was ist ein Konzeptionsgespräch? Das ist die allererste Probe mit allen Mitwirkenden. Ganz schön mutig, gleich auch noch das Publikum miteinzubeziehen. Mutig finde ich auch den Ort der allerersten Probe. Es ist nicht der Martinipark, sondern Brechts Geburtshaus. Das Stück soll hier offiziell starten. Es muss hier beginnen. Das gehört, so vermute ich, schon zur Inszenierung. 

Im kleinen Salon des Brechthauses mit den roten Sofas, den roten Bücherregalen, den Brecht-Dokumentationen, der Brecht-Büste und den Brecht-Bildern und dem alten Kachelofen neben der Türe, kommen alle zusammen. Geht das überhaupt? Es geht. Nur das Orchester der Philharmoniker fehlt. Ortmann begrüßt die Anwesenden. Ein Gewimmel aus Mitwirkenden, Interessierten und Presse. Man sitzt und steht unsortiert, etwas gedrängt nebeneinander. Hinter mir, eine mir bekannte Souffleuse. Wer sitzt da vor und neben mir und wo soll da eine Bühne sein? 

Man merkt, es brennt Regisseur Ortmann auf den Nägeln, dass es los geht, endlich. Ortmann begrüßt und fängt gleich mit einer Desillusion an. „Wir spielen jetzt, als ob es die erste Probe wäre", verkündet der Regisseur. Es ist gar nicht die erste Probe, die war schon, doch wir tun so, als ob es die erste Probe sei. Eine Scheinrealität. Sind wir jetzt schon mittendrin im epischen Theater von Brecht? Staunend bin ich gepackt und mittendrin. Zeit, mit den Platznachbarn ins Gespräch zu kommen, bleibt keine. Im Laufe des Abends staunt man, wer da alles auf die Bühne gebeten wird, um vom Anfang der eigenen Rolle zu erzählen.

Verändern bis zur Premiere

Man merkt, bei Ortmann ist Teamarbeit und sein Wirken authentisch,  bei ihm ist integratives, inklusives Arbeiten das Normale. Dort spürt man besonders seine Handschrift. 
Eine Gebärdendolmetscherin ist da und übersetzt das Gesprochene in Deutscher Gebärdensprache (DGS) für Menschen, die nicht hören können. Wie Anne Zander, Schauspielerin, die mitspielt beim Stück  Mutter Courage, und  so ihren Beruf ausüben kann. 
Soll das, wo die Dolmetscherin steht und daneben ein Bühenbildner Modell, die Bühne des heutigen Abends sein, frage ich mich? Sehr wahrscheinlich, doch es ist eben ein Start, ein Anfang, nichts Fertiges, es kann und wird sich viel verändern bis zur Premiere und ich erinnere mich: wir sind nicht am eigentlichen Spielort.

Der Anfang der Inszenierung, der ja längst angefangen hat, viel früher mit Ideen und Fragen für Ortmann und das Team: Welches Stück von Brecht nehmen wir und können wir die Mutter Courage überhaupt im Interim im Martinipark aufführen? Zu diesem Zeitpunkt hat die Reise zum Freitag am 23. Februar 2024 schon begonnen, oder?

Ja noch viel früher, wie wir von Dr. Michael Friedrichs, dem Vorsitzenden des Brechtkreis e.V. und Brechtforscher in einer Einführung zu Brecht hören. Die erste Intuition hatte Bert Brecht wahrscheinlich bereits auf seinem täglichen Schulweg, der ihn von der Bleiche über die Schwedenstiege hinauf in die Oberstadt führte, so Friedrichs. Stufe für Stufe. Das Stück, deren Inhalt die leichte Sprache auf der Seite des Staatstheaters einfach auf den Punkt bringt, war zur Zeit Brechts brandaktuell und ist es leider heute immer noch. Über 400 mal wurde das Stück inzwischen auf den Bühnen der Welt inszeniert.

Die Schauspielerinnen Anne Zander und Ute Fiedler.
Foto: Lina Mann



Mutter Courage und ihre Kinder
Ein Theater-Stück für Jugendliche und Erwachsene.
Von Bertolt Brecht, geb. am 10.2.1898 in Augsburg

Text auf der Homepage des Staatstheaters in Leichter Sprache:

Es geht darin um den Dreißigjährigen Krieg.
Der Krieg war in den Jahren von 1618 bis 1648.
Anna Fierling ist Mutter und Händlerin.
Sie reist mit ihren drei Kindern an die verschiedenen Kriegs-Orte.
Sie verkauft dabei ihre Waren an die Landsknechte.
So verdient sie Geld für ihre Familie.
Anna Fierling ist eine mutige Frau.
Darum heißt sie auch Mutter Courage, sprich: Ku-raasch.
Courage ist ein anderes Wort für Mut.
Aber der Krieg ist schlimm und gefährlich.
Nur Mut ist nicht genug.
Alle drei Kinder von Mutter Courage sterben im Krieg.
Der Dreißigjährige Krieg war ein großer Krieg in Europa.
Im Moment gibt es wieder einen Krieg in Europa.
Das Thema des Stücks ist also sehr wichtig.

Aufs Papier bringt Bert Brecht die Mutter Courage 1938/39 im schwedischen Exil. Nach der Flucht vor den Nationalsozialisten. Er möchte, als Warnung vor Diktator Hitler und seinen Schergen, das Stück als Uraufführung in Schweden auf die Bühne bringen. Deshalb ist die stumme Tochter der Courage, die Kattrin als Rolle extra kreiert für Brechts Frau Helene Weigel, die kein Schwedisch konnte. So erfahren wir es von Dr. Michael Friedrichs. Kattrin ist die moralische Heldin des Stücks. Als Kind wurde sie von einem Soldaten sexuell missbraucht. Sie handelt als Gutmensch ohne irgendwelche finanzielle Interessen, um Menschen zu retten. Sie rettet das Baby einer Bauernfamilie aus dem brennenden Haus und trommelt auf einem Dach laut als Warnung für eine Stadt vor einem Überfall durch die heranrückende Landsknechttruppe. 

Es kommt anders: Die Uraufführung des Dramas Mutter Courage und ihre Kinder ist erst am 19. April 1941 in Zürich. Inzwischen tobt der Zweite Weltkrieg. Einige Tage davor haben
die deutschen Truppen in Ungarn, Rumänien und Bulgarien den Überfall auf Griechenland und Jugoslawien begonnen.

Das Bühnenbild zu Mutter Courage und ihre Kinder.
Foto: Lina Mann


In der Augsburger Neuinszenierung von David Ortmann zum Brecht-Festival '24 übernimmt die Rolle der Kattrin  Anne Zander. Sie wurde 2023 mit dem della-award als "Beste gehörlose Schauspielerin" weltweit ausgezeichnet. (della-award.de Filmfestival für gehörlose Fimschaffende). Ortmann bringt den Inklusionsgedanken immer wieder ins Spiel, setzt ihn praktisch um, damit viele teilhaben können im Theatergeschehen und bringt ihn nun mit ins Team. Es ist Chance und Herausforderung zugleich.  Gegenseitiges Interesse, voneinander lernen und Achtsamkeit bestimmen den Arbeitsalltag, der leicht sein soll und ohne große Schwierigkeiten. Anne Zanders Proben-Alltag wird bestimmt von Gebärdendolmetscher:innen, die ihr Sprachrohr für die Kolleg:innen sind und übersetzen. Teilhabe für alle am Staatstheater Augsburg ist fast schon Normalität, auch wegen des unermüdlichen Einsatzes von David Ortmann. Am Abend der Konzeptionsprobe ebenso wie bei den Aufführungen und Einführungen. Zweimal wird das Stück mit Gebärdendolmetscher:innen aufgeführt. 

Städte werden im Dreißigjährigen Krieg erobert, ausgeraubt, gebrandschatzt und
ihre Bewohner dahingemetzelt.
Bild: Archiv


Schön wäre es, wenn sich der Mensch und die Welt seitdem so verändert hätte, dass das Stück von der Mutter Courage, deren Kinder der Krieg frisst, an dem sie verdient, nur noch Spiel ist in friedlichen Zeiten. Doch bis heute ist es leider aktuell, wie wir mit den tödlichen Konflikten sehen. Das Staatstheater  lässt uns auf seiner Homepage dazu wissen: "Brecht zeigt mit Mutter Courage und ihre Kinder ungeschönt den Alltag derjenigen, die am Ende den Krieg am eigenen Leib erleben: die Händler:innen, Soldaten:innen, Köch:innen, die den Heeren im Tross folgen und entwurzelt und heimatlos versuchen, hier ein Auskommen zu finden. Aber der Krieg kennt keine Gewinner:innen. Von überzeitlicher Aktualität erscheint »Mutter Courage und ihre Kinder« als Warnung auch für heutige Tage."

Hintergründe werden ins Spiel gebracht

Auch im Brechthaus ist es augenscheinlich, wie die Kriegsschauplätze anwesend sind und die Herausforderung, den Krieg mit allen Facetten auf die Bühne zu bringen, Mitleid und seichte Verwischung wegzulassen. Wie Krieg auf die Bühne bringen? Wie sich an das Stück rantasten, hineinwerfen?

Alle sind da: Schauspieler:innen, Dramaturgin, Bühnenbildner, Kostümbildnerin, musikalischer Leiter… betreten die imaginäre Bühne, die ich mir vorstelle. 
 
David Ortmann inszeniert Mutter Courage und ihre Kinder am Augsburger Staatstheater.
Foto: Jan-Pieter Fuhr


Dramaturgin Melanie Pollmann bringt die Hintergründe ins Spiel, die Historie. Sie beschreibt den Dreißigjährigen Krieg als den Krieg aller Kriege in seiner Abscheulichkeit und Grausamkeit. Mit seiner Länge und den einzelnen Schicksalen, der Zerstörung, ein schier endloser Schrecken für die Menschheit, die ihn erleiden muss. Man mag sich die vielen Schlachten, wie die in Magdeburg, gar nicht vorstellen, die Plünderungen, die Vergewaltigungen, die Brände, zig tausende Tote, die Menschen, die an den zerstörten Orten weiter lebten, ... alles Vorlage für die Mutter Courage.

Wie kann man Krieg in der Friedensstadt Augsburg
auf die Bühne bringen?


Wir dürfen gespannt sein, einen Monat vor der Premiere. Aber: Kann man schreiben: wir dürfen uns darauf freuen? Denn die Vorfreude auf die Umsetzung des Brechtschen Stücks auf der Bühne kann man den Mitwirkenden ansehen. 

Ute Fiedler, die Mutter Courage auf der Bühne des Staatstheaters, sagt wie es ist: "Ein riesiger Berg liegt vor mir, liegt vor uns.  "Wie bei einer Reise, die man anfängt, schon begonnen hat, einen Plan hat, das Ziel kennt und zwischendrin wird die Reisezeit gefüllt mit Hausforderungen, Überraschungen, schönen und weniger schönen Momenten - immer auch getragen von der Lust auf die kommenden Ereignisse. Man kann zurück blicken. Wir haben für die Mutter Courage viele große Vorgängerinnen  wie  die Weigel und die Giehse". 
Klaus Müller, Schauspieler erinnert an das eindrucksvolle Spiel der Christel Peschke einst am Augsburger Stadttheater. "Wir wissen nicht alles, was auf der Reise passieren wird, doch wir wissen, wir müssen unseren eigenen Weg gehen", meint Fiedler.

Illustration zum Dreißigjährigen Krieg.
Bild: Archiv


Vieles ist bei Brecht vorgegeben, geschrieben, festgelegt. Das wissen wir schon: Es wird einen Wagen für die Marketenderin geben, mit dem sie ihre Waren für die Soldaten transportiert, der ist am Anfang leer. Vieles wird sich verändern bis zur Premiere am 23. Februar 2024. Es gibt nicht den einen Weg, sondern viele Möglichkeiten, die sich im Tun ergeben. Sehr tapfer, das Publikum schon jetzt einzuladen, kritisch mitdenken zu lassen. Die Zeit im Brechthaus vergeht für mich wie im Flug, der Abend ist interessant, würdig für Fragen ebenso.

Alle im Raum haben sich auf den Abend, den Beginn vorbereitet, vorgearbeitet und zeigen ihr Wissen und ihre Ideen. Wie kann man den ganzen Krieg, die Facetten der Kriege auf die Bühne des Martiniparks bringen?, das ist und bleibt das große Anliegen.

Schauspieler Klaus Müller und Dramaturgin Melanie Pollmann.
Foto:Lina Mann


Hocker werden zu Gräbern und Waffen

Ins Auge sticht mir das präsentierte Bühnenmodell von Jürgen Lier.  Es soll das Wesentliche ausdrücken. Ein Panorama in mehreren Bildern und  beschränkt sich auf das Wesentliche, da sind Hocker, die schnell zu Gräbern und Waffen werden  können.

Ursula Bergmann, die Kostümbildnerin, die erstmals mit Ortmann zusammenarbeitet, über ihre Arbeit zur Mutter Courage: "Blut wird fließen, doch kein Kunstblut, die Kostüme werden die Grausamkeit in sich tragen, beinhalten." Wir erfahren von ihr noch: "Ein Neongelb wird sich von Anfang bis zum Schluss durch die Kostüme ziehen."

Dann erhebt sich rechts mein Nebenmann: Stefan Leibold. Er ist der musikalische Leiter am Staatstheater Augsburg und liest vor, was Paul Dessau schreibt und festgelegt hat, wie die Musik bei der Mutter Courage klingen muss. Sie müsse wie Reißnägel im Klavier und Wanzen klingen. Nicht traurig, sondern „schrack“, wie wenn die Musik den Krieg erlebt hat, seine Verwundungen erdulden musste, ganz und gar vom Krieg durchdrungen ist und schauderlich klingt …
 
Helene Weigel als Mutter Courage und Bert Brecht.
Foto: Archiv


Stefan Leibold gibt eine Kostprobe. Spätestens jetzt ist das Publikum im Brechthaus gepackt von der Neugier, wie es weiter geht und hat eine ungefähre Ahnung, wie David Ortmann und sein Team mit Brechts Vorlage das Stück Mutter Courage auf die Bühne bringen möchte: Vom Krieg durchdrungen, der vor unserer Haustüre und auf der ganzen Welt tagtäglich geführt wird, um nachzudenken und zu erkennen, wie sinnlos jede Art von Krieg ist.

Die letzte große Schlacht im Dreißigjährigen Krieg mit vielen Toten findet am 17. Mai 1648  in Zusmarshausen bei Augsburg statt. Das Ende des Dreißigjährigen Krieges wird mit dem "Westfälischen Frieden" am 24. Oktober 1648 beschlossen. Die am Krieg beteiligten Nationen bekunden mit schönen Worten: " ... eine christliche, allgemeine, immerwährende, wahre und aufrichtige Freundschaft ...". Die damals mitmischenden Herrscher schieben sich bei diesem Friedensschluss gegenseitig Geld und Ländereien zu. Die Not leidende Bevölkerung geht leer aus. Mutter Courage, vom Feldprediger eine "Hyäne des Schlachtfelds" genannt,  hat die trügerische Hoffnung mit ihren Geschäften im Krieg: "Wir machen noch ein bissel Geld, dann wird der Frieden um so schöner!"  


    Unser Bericht über das öffentliche Konzeptionsgespräch mit Impulsvorträgen, Einblicken ins Regie- und Ausstattungskonzept zu Mutter Courage und ihre Kinder: Lina Mann


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