Brecht-Premiere: Der Krieg kennt keine Gewinner! Mutter Courage und ihre tödlichen Geschäfte!

Schweizerkas wird erschossen.


Zur Eröffnung des Augsburger Brecht-Festivals 24 in der Theaterhalle des Martini-Parks holte der knallbunte Moderator Damian Rebgetz die Oberbürgermeisterin Eva Weber sowie den Kulturreferenten Jürgen Enninger auf das Podium vor dem die Theaterbesucher und Medienleute mit oder ohne Sektglas erwartungsvoll standen oder saßen. Auch Staatsintendant André Bücker, Regisseur David Ortmann und die Dramaturgin Melanie Pollmann wurden hochgebeten, um einige Worte zum Festival-Motto "No future" mitzuteilen.  Julian Warner, der Leiter des Brecht-Festivals kam dazu und durfte beachtenswerte Termine seines Festivals verkünden, wobei er selbstverständlich auch auf das bekannte Brecht-Schauspiel "Mutter Courage und ihre Kinder" hinwies, das einige Minuten später im Saal nebenan Premiere haben würde. Für Lacher sorgte der Zungenbrechersatz von "Brechts brechtigem Brechtstück für brechtiges Brechtpublikum", oder so ähnlich, den der Moderator das Publikum laut wiederholen ließ.

Erklärende Worte zur Premiere von "Mutter Courage und ihre Kinder" gabs von Melanie Pollmann, denn "ich hab das Stück ja begleitet und ich kenn mich mittlerweile ganz gut damit aus." Und so können wir auf der Homepage des Staatstheater Augsburg Pollmanns Worte über "Mutter Courage und ihre Kinder lesen: "Durch die entmenschlichte Welt des Dreißigjährigen Krieges reist die Marketenderin Anna Fierling im Tross eines Heeres von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz. Einziger Garant für das Überleben ihrer Familie ist ihr Geschäftssinn – komme, was da wolle. Aber ihr Vorhaben, sich und ihre Kinder unbeschadet durch die Katastrophe zu bringen und trotzdem ein Auskommen mit dem Krieg zu finden, muss angesichts des allumfassenden Grauens scheitern."

Michael Friedrichs, Vorsitzender des Augsburger Brecht-Kreises, berichtet im Programmheft zu "Mutter Courage und ihre Kinder", dass der Schüler Bert Brecht, der von seinem Wohnhaus in der Bleich über die Schwedenstiege zu seiner Schule, das Königlich Bayerische Realgymnasium, hochlaufen musste,  dabei an den schrecklichen Dreißigjährigen Krieg erinnert wurde. Den Krieg aller Kriege. Friedrichs gibt auch einen Hinweis auf die literarische Figur, die Brecht für die Mutter Courage einst begeisterte: "Lebensbeschreibung der Erzbetrügerin und Landstörzerin Courasche", verfasst von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, von dem auch das Landsknecht-Epos "Simplicius Simplicissimus" stammt. 

Jürgen Hillesheim, der Augsburger Brecht-Forscher, lässt im Programmheft nicht unerwähnt, dass der junge Brecht, geboren am 10. Februar 1898 in Augsburg, um in der Zeitung abgedruckt zu werden, "berechnend und moralisch biegsam" zum Ersten Weltkrieg "kriegsbegeisterte Beiträge mit doppeltem Boden" verfasste. Erschüttert wurde Brecht dann, so Hillesheim weiter, durch das große Leid, wenn "verstümmelte Soldaten in Augsburg aus den Zugwaggons" geladen wurden. Hier begann Brechts tiefe Abscheu gegen Waffen und den Krieg. 

Im Herbst 1939 schrieb Bertolt Brecht im Angesicht der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges in nur wenigen Wochen seine "Chronik des 30jährigen Krieges". Mit "Mutter Courage und ihre Kinder" zeigt Brecht ungeschönt den Alltag derjenigen, die den Krieg am eigenen Leib erfahren: all die Menschen, die den Heeren im Tross folgen und versuchen, hier ein Auskommen zu finden – Soldaten, Köche, Kinder und Händlerinnen. Aber der Krieg kennt keine Gewinner. Von überzeitlicher Aktualität erscheint "Mutter Courage und ihre Kinder" als Warnung auch für heutige Tage. Es ist keine Geschichte von Kriegshelden, sondern die Geschichte von kleinen Leuten, die im Sturm der Grausamkeiten irgendwie überleben wollen, den schier endlosen Krieg zu ihrem normalen Leben machen, damit sie nicht verrückt werden und dem Wahnsinn verfallen.

Wer mehr zum Stück "Mutter Courage und ihre Kinder" lesen will, kann hier fündig werden. Wir berichten nach der Premiere in Augsburg über die Schauspielerinnen und Schauspieler des Stücks. Dazu noch über die Inszenierung.

Mutter Courage beschwört ihren Sohn Eilif.


Ute Fiedler
als Mutter Courage: Sie gab absolut glaubwürdig die selbstbewusste Business-Lady, die genausogut im Vorstand eines Weltkonzerns für Rüstung sitzen könnte. Ihr cooles Auftreten ließ kein Mitleid zu. Auch wenn ihre Kinder fürs Kriegsgeschäft draufgingen, spürten wir Zuschauer eher klammheimliche Schadenfreude als einen Funken Mitgefühl mit dieser eiskalten Geschäftsfrau.

Ganz große Klasse bewies Ute Fiedler beim Gesang. Ihre lässig-lockere Chanson-Stimme surfte wunderbar, fast schon popig-soulig, über die schrägen Soundwellen des Komponisten Paul Dessau, hervorragend serviert von Mitgliedern der Augsburger Symphoniker unter der Leitung von Stefan Leibold.

Ute Fiedler reagiert als starke Frau realistisch auf die Situationen so wie sie kommen, das nimmt für sie schon viel von dem Schrecken und Grauen, weil es für sie eben so ist, wie es ist. Kein Zweifel: Ute Fiedler ist die Mutter Courage 2024! 

Kattrin spielt mit den Soldaten.


Die gehörlose Anne Zander spielt die stumme Tochter Kattrin: Ihre Mutter hat ständig Angst um ihre gehörlose Tochter, die aber nicht ständig über-bemuttert werden will. Kattrin will kein ständiges Opfer sein, sondern auch eine Frau, die mal was Hübsches anzieht. Doch die roten Nuttenschuhe reißt die Mutter von Kattrins Füßen. Anne Zander agiert mit der Mutter und ihren Brüdern mit der Gebärdensprache auf der Bühne. Kattrin wächst als Nicht-Hörende in einer hörenden Familie auf. Die innerfamiliäre Kommunikation funktioniert auf verschiedene Weise.  Da ist die Handschrift von Regisseur David Ortmann deutlich zu spüren, der inklusiv ansetzt und möglichst viele Menschen teilhaben lassen möchte. Als Zuschauer und Mitwirkende. Anne Zander spielt phänomenal die beschützte Tochter, die ausbrechen will aus der Sicherheitszone ihrer Mutter, deren doppelte Moral sie immer mehr erkennt und verurteilt. Kattrin liefert uns die großen Gefühle. Ihre Mimik mit den weit aufgerissenen Augen ist schonungslos, zerreisst uns das Herz. Im Programmheft berichtet Anne Zander über die Historie der Gebärdensprache. Kattrin wird durch den tragischen Verlust ihres Bruders und Überfälle auf sie in den Freitod getrieben. Allerdings wird sie zur einzigen "Heldin", schreibt Anne Zander, weil sie "die Stadt Halle im Jahr 1636 vor den heimtückischen kaiserlichen Truppen rettet." Es ist die gehörlose Kattrin, die für mächtiges Kampfgetöse sorgt, als sie verzweifelt gegen das Blech trommelt und so ein infernalisches Tohuwabohu auslöst. 

Eilif wird Soldat.


Julius Kuhn spielt den älteren Sohn Eilif: Er strotzt voller Kraft und auch eine ordentliche Schlägerei ist ihm nicht zuwider. Er sieht durchaus das gefährliche Leben als Soldat im Krieg, aber die Gefahr, das Abenteuer fasziniert ihn auch. Das bringt Julius Kuhn voll glaubhaft rüber.

Mutter Courage mit ihren Kindern Kattrin, Eilif und Schweizerkas.

 
John Armin Sander spielt den jüngeren Sohn Schweizerkas: Er hat nicht viel zu melden bei seiner Mutter und seinen Geschwistern. Er nimmt alles Gute an. Es ist kein Wunder, dass er Probleme hat, als er die Regimentskasse an den Feind ausliefern soll. John Armin Sander stellt den blutjungen Schweizerkas bestens ins Rampenlicht, wir spüren fast die zarte und junge und ehrliche Haut aus der Schweizerkas nicht kann, die dann ein tödliches Loch von einer Hinrichtungskugel bekommt.


Mutter Courage und der Feldprediger.


Gerald Fiedler spielt den Feldprediger: Diese dubiose Rolle eines vitalen Geistlichen, der die Soldaten mit geistigen Motiven aufstachelt zum Wohl der Herrschenden, füllt Gerald Fiedler ideal aus. Er spielt keinen jämmerlichen Arschkriecher, sondern einen durchaus lebenslustigen Pfaffen, der auch zu seiner eigenen Zufriedenheit biblische Sprüche passend hinbiegt. Wenn er behauptet "wir sind alle in Gottes Hand", blitzt Brechts Humor auf und lässt Mutter Courage schnippisch entgegnen: "Ich glaube nicht, dass wir schon so verloren sind!" Mutter Courage wittert den sexuellen Braten, wenn sich der Feldprediger eine Beziehung mit ihr wünscht, ihr ist es "Beziehung genug in dieser Zeit", so sagt sie, wenn er für sie Holz hackt. 

Klaus Müller spielt den Koch: Er feilscht mit Mutter Courage um einen Kapaun. Mit seiner blutdurchtränkten Schürze vor dem Hackstock können wir in ihm den gierigen Gott des Krieges sehen, der wild auf Fleischnachschub ist. Klaus Müller bohrt sein Messer ins modrige Fleisch eines Rindes und wir sehen durchbohrte Körper von hingeschlachteten Soldaten.


Schweizerkas, Eilif, der Feldwebel und der Soldaten-Werber.


Sebastian Müller-Stahl spielt den Feldwebel: Er glänzt in der überheblichen Rolle eines Anführers, der das Kriegsspiel voll durchblickt und dies auch mit ironischen Worten kundtut. Allerdings bricht er nicht aus seiner Rolle aus, sondern macht halt doch mit, das Quäntchen Macht, das er für einige Zeit besitzt, will er doch genießen. Das teilt uns Sebastian Müller-Stahl mit jeder Bewegung, jeder Mimik mit.

Kai Windhövel spielt den Soldaten-Werber: Der Krieg braucht Soldaten. Egal woher sie kommen. Warum nicht auch von Mutter Courage und ihren Kindern? Da kennt der Werber keine Rücksicht. Kai Windhövel stellt ihn einfach gestrickt dar, als typischen gehorchenden Soldaten, aber unermüdlich in seiner Mission mit einigen Tricks auf Lager.


Die Soldatenhure und ein alter Verehrer.

Natalie Hünig spielt die Soldatenhure Yvette Pottier: Sie kommt als die sympathischste Figur rüber. Natalie Hünig gibt ihr die richtige Portion an Selbsterkenntnis und genügend humorvolle Schamlosigkeit um sich nicht hinter einer Maske zu verstecken die ihr trauriges Schicksal verschönert. Dabei lässt sie großzügig ihre soziale Ader in Aktion treten.

David Ortmann: Er hielt sich bei seiner Inszenierung sehr eng an die Vorgaben von Bert Brecht. Ortmann hatte keine andere Chance als Teil des Augsburger Brecht-Festivals. Natürlich muss er dafür auch Kritik einstecken, die von Gestrigkeit und Zeigefinger redet. Große Effekte baute er nicht ein, außer einer kleinen Soldatentruppe, die den Schrecken des Krieges visualisieren soll. David Ortmann verließ sich voll und ganz auf die schauspielerischen Künste seiner Darstellerinnen und Darsteller. Damit lag er hundertpro richtig. Wäre es besser gewesen ein Horror-Stück mit Zombie-Massen zu inszenieren um jugendliche Sehgewohnheiten zu bedienen? Das Publikum war einer Meinung bei der Premiere: Besser kann Brecht in der Friedensstadt Augsburg nicht gespielt werden! Deutschlandweit ist Ortmanns Konzept zur Inklusion inzwischen bekannt. Dazu gehört auch, dass die gesprochenen Texte für Hörbehinderte gut lesbar im Hintergrund laufen. Der Einsatz von Anne Zander ist goldrichtig, Bert Brecht hätte das gefallen.

Jürgen Lier: Das Rondell, das Rad des Krieges und der Zeit, das sich pausenlos im Bühnenhintergrund dreht, bestrahlt mit den Bildern des Krieges, kann als Ein- und Ausgang genutzt werden. Eine gute Bühnenbild-Idee von Jürgen Lier, die zeigt, dass im Krieg immer mit Überraschungen zu rechnen ist, auch wenn sich die grausamen Schlachten wiederholen. Der Wagen mit den Habseligkeiten ist keine riesige fahrbare Skulptur, wie wir es von anderen Aufführungen kennen. Es ist ein harmloses Fahrzeug, ein Möbeltaxi mit vielen Schubladen und Kattrin kann sich in dem Schrank darauf verstecken. Die weißen Hocker wandern durch den Raum, verwandeln sich in Panzersperren und Gräber.

Ron Heinrich: Er sorgt für das passende Licht, um die richtige Atmosphäre auf der Bühnen zu erzeugen. Echt wichtig, sonst würde dieses Stück, das ohne großes Tamtam auskommen muss, ziemlich absaufen. Klar und wahr tischt uns dieses Licht, fast grell und blendend, die Geschehnisse auf, lässt kein Wegschauen zu.

Stefan Leibold: Er leitete das kleine Orchester in einer quadratischen Versenkung der Bühne. Der Orchesterrest im Bombentrichter? Es ist ein sperriger Klang und Rhythmus, den Komponist Paul Dessau komponiert hat. Es ruckt und zuckt. Tom Waits ist nicht weit. Auf den Klaviertasten könnten Reißnägel sein. Die Flöte dominiert den Gesamtsound und die Trompete kracht ab und zu brachial hervor. Bombenlärm dröhnt aus den Trommeln. Hier wird Marschmusik zerstückelt, in Einzelteile zerlegt, unbrauchbar fürs dumpfe Marschieren gemacht.  

Mutter Courage und ihre Tochter Kattrin am Boden.

Kostüme und Maske: Gut, damit war zu rechnen, dass die Soldaten nicht im Landsknecht-Look auftreten, auch wenn das Brecht-Stück durch den Blick auf den Dreißigjährigen Krieg entstanden ist. Ausgewählt wurden von Ursula Bergmann moderne Soldaten-Uniformen im Camouflage-Muster. Mutter Courage und ihre Kinder waren teilweise farbenfroh gekleidet, auch wenn die Kleidung nach Secondhandshop und Altkleidersammlung und sehr nach Retro aussah. Das Blut strömt aus großen roten Stoffblumen, gepresst an die Leiber. Wer wollte, konnte bei Mutter Courage und ihrer Kleidung blaugelbe Farben erkennen, die vielleicht auf die Ukraine hinweisen sollten. Sollte das heißen, die Ukraine ist so tapfer wie die Mutter Courage, auch wenn viele Söhne sterben müssen? Die Gesichter waren klar erkennbar und passten optimal zu ihrem Charakter. Hier leisten die Maskenbildner Juliane Buchin, Ingo Kiesel und Christina Böhler hervorragende Arbeit. Selbst die kleinen Mikrofone, an den Backen angeklebt, waren kaum sichtbar. Besser kann Maske nicht sein.

Inszenierung: Auch wenn moderne Krieger mit ihren Waffen auf der Bühne rumstolzierten, hatte das gesamte Stück einen Retro-Charakter. Da waren keine ferngesteuerten Kampfdrohnen am Himmel. Die Atmosphäre auf der Bühne wirkte wie ein Zeitreise in die 1960er Jahre der deutschen Theaterszene. Aber Retro muss ja nicht schlecht sein, viele Jugendliche ziehen sich heutzutage bei Mode und Musik in eine Retro-Ära zurück. Aktuell läuft auch ein Film in den Kinos, der den Alltag des Grauens bestens beschreibt indem er das Grauen nicht direkt zeigt: "The Zone of Interest". Wir könnten meinen, da ist "Mutter Courage und ihre Kinder" ein Vorbild gewesen. In diesem Film sehen wir die Familie des Lagerkommandanten von Auschwitz die glücklich und alltäglich neben der Mauer lebt, hinter der die Menschen gequält, ermordet und verbrannt werden. 

Es bleibt die Frage: Wie vermeiden wir in Zukunft einen Krieg? Wer weiß eine Antwort? Sie vielleicht, Herr Keuner?

Die Toten an der Wand.
(Fotos: Hans Pieter Fuhr)


Bericht: Lina Mann


Regieassistenz und Abendspielleitung: Alexander Binner
Ausstattungsassistenz: Fanziska Kohl
Kostümsasssitenz: Bianca Sturm
Soufflage: Johanna Seibel
Inspizienz: Christian Schmitz-Linnartz
Theatervermittlung: Juliana Bernecker
Produktionshospitanz: Thea Hiernickl, Willi Kretschmer
Beratung Deutsche Gebärdesprache: Stefan Goldschmidt
Kommunikationsassistenz: Julianne Keßler, David Spenninger, Anika Loidl-Wunder
Bühnenmeister: Chris Weidner
Ton: Chris Heck, Christian Sonnberger
Video: Robert Zorn
Requisite: Tibor Lovai, Violet Klas
Ankleiderinnen: Carolin Haidinger, Laura Pairan, Pauline Pappe, Andrea Rembt
Übertitel: Lucia Matischok, Yongxin Xia, Elisa Freudenberger
Redaktion Übertitel: 
Türkisch: Ferdi Degirmencioglu
Russisch: Ekaterina Raykova-Merz
Deutsch, Englisch: Thea Hiernickel

Gedankt wird Ricardo Fernando für die Choreographie des "Lieds vom Weib und dem Soldaten" und weiterhin Tobias Lehmann für die Hilfe und Unterstützung der Gebärdensprache während der Proben.

- - -

Weitere Aufführungs-Termine von "Mutter Courage und ihre Kinder" finden Sie hier!


"Ja, der Frieden!
Was wird aus dem Loch,
wenn der Käs gefressen ist?"
 

Kommentare