Bayreuth ruft! Ins Kino! Zu Tristan und Isolde!


ENDLICH SÜSSES GIFT BEKOMMEN

Kinoübertragung aus Bayreuth, ein spezielles Thema
Oder Tristans Reste Rampe



BEGEISTERUNG
Auch in Augsburg hat sich endlich ein Kinobetreiber, nämlich Franz Fischer vom legendären Thalia-Kino gewagt, die schon traditionellen Liveübertragung der Premiere der Bayreuther Festspiele zu übertragen. An und für sich eine prima Veranstaltung, da die Karten für die ältesten Festspiele der Welt nach wie vor schwer zu organisieren, - und vor allem nach der letzten saftigen Preiserhöhung wirklich nur gut Situierten, oder vor Begeisterung völlig Wahnsinnigen zuzumuten sind,die jedes Opfer in Kauf nehmen, gibt es durch die Übertragung eine gute Möglichkeit, cineastische Mittel einzusetzen, um die neuesten Premieren aus dem Mekka aller Wagnerianer unters Volk zu bringen; - und das sogar weltweit - live.


  
SZENISCHE ZUSPITZUNG
Wagner vor allem im Bayreuther Festspielhaus und im Kino haben einige Gemeinsamkeiten: Richard Wagners Idee von Oper als Gesamtkunstwerk, seiner episch breiten Erzählkunst an Visconti,oder auch in der szenischen Zuspitzung an Hitchcock erinnernde Dramaturgie, einem groß angelegten Plot, durchkomponiertem Soundtrack, raffinierten Szenenüberblendungen und phantastischen Bildern in absolut verdunkelten Räumen lassen vermuten, dass der Dichterkomponist, - würde er heute leben, den Film dem Theater, aufgrund seiner Möglichkeiten vorgezogen hätte. Doch wie ich lernen durfte, stellt die praktische Umsetzung das Personal vor andere Unwägbarkeiten.



FESTSPIELWÜRDIG
Viel Werbung hat Franz Fischer von den Thalia-Kinos ja nicht für diese Übertragung gemacht. Trotzdem hat sich eine (Claudia Roth hätte ihre Freude gehabt) bunte, sogar diverse Schar an Zuschauern eingefunden, vereint durch die Begeisterung für Wagner und im Entschluss, sich telepathisch an den Ort zu beamen. Einige haben sich festspielwürdig in Glitzerroben gehüllt, um ja auch am Augsburger Obstmarkt Stimmung aufkommen zu lassen. Auch der gepfefferte Eintrittspreis von 28 Euro wurde klaglos gezahlt, schließlich wurde ja Wagner in HD-Kinoqualität versprochen.



WONNESCHAUER
Also gespannte Stimmung im Saal- auf der Leinwand auch. "Tristan und Isolde" wird gespielt. Endlich wird das Licht gedimmt, ganz verschwommen sind die Säulen des Bühnenportals des Festspielhauses auszumachen und wie aus dem Nichts steigen die ersten Töne aus dem „mystischen Abgrund“,- dem zwölf Meter versenkten Orchestergraben des von Wagner selbst konzipierten Theaterbaus in Bayreuth. Wonneschauer durchströmt das Publikum, dass im Verlauf der nächsten 6 Stunden zur Schicksalsgemeinschaft werden sollte. Der Dirigent versprach von Anfang an Bedeutendes und zelebrierte jeden Ton des sehnsuchtsgeladenen Vorspiels.



JETZT IST ALLES AUS
Die Feierlichkeit fand ein jähes Ende: in dem Moment, als zum ersten Mal jener weltberühmte Tristan-Akkord erklingen sollte, der Akkord, der die Musikgeschichte verändert hat, über den unzählige Bücher geschrieben sind, wurde die Gesellschaft durch laute Tonkoppelungsgeräusche aus ihrer anfänglichen Verzückung in die Realität geholt, das Saallicht ging an, im Hintergrund waren klappernde Geräusche zu hören, und ein stoisch tiefenentspannter Filmvorführer begann in aller Ruhe das Problem zu erörtern, wieder war ein lautes Klackern der Tonspur zu hören und so langsam macht sich bei der Gemeinde Panik bemerkbar, „oje ausgerechnet an der Stelle“, „jetzt ist alles aus“, „was machen wir denn jetzt?“



VORSPIEL VERSÄUMT
Nach zehn Minuten der nächste Versuch, - erleichtertes Geraune: „ok, das Vorspiel haben wir zwar versäumt, aber Wagner hat ja trotzdem noch für über 4,5 Stunden Musik gesorgt, Hauptsache wir erleben das Stück dann halt ohne Vorspiel, aber wenigstens von der ersten Szene an.“ Leider verließ uns der heiße Draht nach Bayreuth ein weiteres Mal nach wenigen Takten, wieder Saallicht und untröstliche Wagnerianer.


  
TELEFON SCHEPPERT
Eine Frau wusste Rat, zückte ihr Smartphone : da gab es doch eine Radioübertragung! So versuchte man eben auf diesem Weg Isoldes Racheschwüre zu erleben, die Camilla Nylund so ins Publikum schleuderte, dass das Telefon schepperte.
Jede Weihe war vergessen, es ging nur noch darum, endlich etwas vom süßen Gift, der Droge der Tristanmusik abzubekommen, und wenn ein quietschendes Telefon das Besteck ist. Das ging exakt 50 Minuten so.


 
MONSTRÖSE DRAMEN
Ich weiß nicht, wie sich die Menschen bei ähnlichen Störungen eines Public Viewings verhalten hätten. Wagnerianer sind Leiden gewöhnt. Gerade in Bayreuth bringt der Komponist so manchen Landesvater und KulturstaatsministerIn mit seinen monströsen Dramen von schier nicht auszuhaltenden Längen im nicht-klimatisierten Theater auf harten Bänken im Hochsommer bei nicht selten 40 Grad zur Weißglut.


 
ECHTE WAGNERIANER
Nur echte Wagnerianer nehmen diese Herausforderung zusammen mit den bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit gehenden Musikern und Sängern,gelassen hin.
In der Zwischenzeit hatte der Filmvorführer die rettende Idee, den vom Bayerischen Rundfunk gesendeten Livestream statt der qualitativ hochauflösenden Kinoversion zu projizieren. Endlich wenigstens noch die letzten zwanzig Minuten des ersten Aktes, in denen Isolde ihrer Hassliebe Tristan den vermeintlichen Todestrank reicht, nicht wissend, dass der durch einen Liebestrank vertauscht wurde. Isolde, von Tristan- einem sozusagen Verflossenen gedemütigt, (der Gute hat nichts besseres zu tun, als seinem Dienstherren König Marke seine Ex als Braut zu werben und sie auf der Schifffahrt von Irland nach Cornwall zu begleiten) beschließt, für klare Verhältnisse zu sorgen und sich an ihm und dem Leben überhaupt zu rächen und sich mit ihm zu vergiften.


 
VERWUNDERT
Losgelöst zwischen Tod und Leben, in der Gewissheit, jeden Augenblick zu sterben, lassen die beiden Unglücklichen ihren Trieben freien Lauf und fallen extatisch übereinander her, das Schiff kommt ans Land wo der schon jetzt geprellte, alternde König das völlig aufgelöste Paar verwundert in Empfang nimmt. Der Chor preist die schöne Braut an - Fanfaren- Black out. Die Büchse der Pandora ist geöffnet.



ZUCKEN MIT DEN SCHULTERN
Der erste Aufzug ist schlüssig, reich an Symbolen inszeniert: Isoldes Brautkleid war aus zig Metern weißen Stoffbahnen genäht, auf denen Schlagworte aus dem Libretto gekritzelt waren, Metapher für Isoldes seelischem Ballast, den sie im Moment der Entäußerung jäh von sich stößt, dient dann den unglücklich Liebenden als Brautbett.
Dann war wie in Bayreuth üblich die erste einstündige Pause. Ich nutzte die Zeit, in Erfahrung zu bringen, was zu der anfänglichen Panne führte, die Antwort war ein unbefriedigendes Zucken mit den Schultern.



SEELISCHE ALTLASEN
Im zweiten Aufzug lief technisch alles - außer einigen kurzen Störungen - gut. Tristan und Isolde finden sich nicht wie in anderen Inszenierungen in einem nächtlichen Garten wieder, sondern in einer Art Schiffbauch, vollgestopft mit Gerümpel, antiken Gipsfiguren, Vogelkäfigen, altem Spielzeug, verstaubten Bildern etc. Das soll wohl noch mehr von den seelischen Altlasten erzählen. Das Bühnenbild ist aber derart wirr gestaltet, dass keine schlüssige Deutung möglich ist. So ist dem dramaturgisch so wichtigen Abgesang des Paares jede Wirkung genommen. Die Beiden versuchen sich aufgrund der Unmöglichkeit ihrer Beziehung, bedingungslos in einer einzigen, ersten und letzten Nacht in der Unendlichkeit aufzulösen, urknallhaft losgelöst von Raum und Zeit - im herbeigesehnten „Liebestod“ = Universum aufzulösen, wohl auch im Bewusstsein, dass derartige Bedingungslosigkeit nur in der Katastrophe enden kann.




WABERKLANGMASSE
Einem schwitzenden Sängerpaar, dass relativ unbeholfen zwischen dem ganzen Sperrmüll sitzt und bei düstergelbem Kellerlicht über „ungemessne Räume“ und freie Liebe philosophiert zuzusehen ,-das noch dazu gegen eine ziemlich undefinierbare Waberklangmasse aus dem Orchestergraben anbrüllen muss, kommen dem eingefleischtesten Fan Zweifel, ob das wirklich alles so sein muss, wie Sänger und Publikum den letzten Aufzug aushalten sollen
- Der dann optisch im fast gleichen Bühnenbild, (die Handlung endet in der Bretagne auf Tristans Burg) - auch wieder mit dem selben Gerümpel Tristans Depression illustriert. In 50 Minuten arbeitet der verwundete, fiebernde Held ganz nach Freud seine Kindheit auf und wartet sehnsüchtig auf Isolde, um mit ihr endlich den Liebestod zu sterben, dem sie sich in der vorangegangenen Nacht hingeben wollten und ausgerechnet beim Höhepunkt ihrer Extase von König Marke und seinen Vasallen unterbrochen - und der Wirklichkeit ausgeliefert wurden.


 
KALTER SCHWEISS
Endlich kommt Isolde um mit Tristan das einander gegebene Versprechen des gemeinsamen Liebestods einzulösen, da verlassen Tristan die Lebensgeister. Er stirbt in ihren Armen. Isolde bleibt allein zurück, verklärt, um in ihrem berühmten Schlussgesang „in des Weltatems wehenden All“ aufzugehen, zu verglühen. Ob mit Tristan zusammen oder allein bleibt schließlich offen.
Das Klima im Kino ist am Ende schier unerträglich heiß, verbrauchte Luft und kalter Schweiß umwehen das ziemlich erschöpfte Publikum, das fast vollständig bis zum Schluss geblieben ist.
Die Sängerinnen und Sänger wurden frenetisch gefeiert, obwohl auch hier Einiges nicht im
 Gleichgewicht war.


 
UNVERWÜSTLICH
Camilla Nylund zahlt einen hohen Preis für den Wechsel vom Jugendlich Dramatischen Sopran ins Hochdramatische. Ich habe ihre Stimme schon besser gehört. Der gerade bei ihr immer so bewunderte lyrische Schmelz, ist einem in der Höhe nicht immer unbedenklichen Vibrato, einer leicht stumpfen Härte gewichen, was aber auch damit zu tun hatte, dass man einer von Haus aus lyrischen Isolde ein testosterongesteuertes „Urviech“ von Heldentenor, eben den schier unverwüstlichen Andreas Schager, der sich ohne Rücksicht auf sich und seine Kollegen, derart verausgabt, dass die Mühe haben gerade die schiere Laurstärke zu quittieren. Der Casting Director steht in aller erster Linie in der Kritik. Wie kann man zwei derart ungleiche Stimmtypen besetzen? Hier sind doch Profis am Werk, oder?



RAMPENTHEATER
Camilla Nylund tat sich im Januar dieses Jahres ungleich leichter mit einem weicher und flexibler disponierten Klaus Florian Vogt in Thielemanns gefeierter Dresdner Aufführung des Werkes. Die Inszenierung von Thorleifur Arnasson, der sich auch in Augsburg für Lohengrin verantwortlich zeigte,ließ beide völlig im Stich und so war mehr oder weniger langweiliges Rampentheater angesagt.
Christa Mayer, übrigens eine Absolventin des Augsburger Konservatoriums, gab die Brangäne mit ihrem dunkel loderndem sämig-dramatischen Mezzosopran. Bravo! Ein bisschen angeschlagen klang Günther Groissböck, der Probleme beim Fokussieren der Stimme hatte, aber trotzdem den alten König ohne jede Übertreibung glaubhaft machte.


 
EINZELHEITEN DER NOTEN
Olafur Sigurdarson verkörperte Kurwenal mit allen nötigen Farben, empathisch und stimmtechnisch unprätentiös „gradraus“.
Kopfzerbrechen macht mir der Dirigent des Abends: Semyon Bychkov, ein wirklich verdienter jüdisch-russisch-amerikanisch geprägter Meister, der es vielleicht etwas zu gut meinte mit der Hervorhebung von Einzelheiten der Noten. Es handelt sich um eine Opernpartitur und nicht um das Evangelium! Zügiger, schlanker und zupackender wäre für alle Beteiligten angenehmer.
Etwas ratlos stand noch ein Grüppchen danach vor dem Kino … war wohl nichts mit der Transzendenz !


WAGNERIANER KENNEN KEINEN SCHMERZ
Der Kinobetreiber gelobte Besserung, Das Thalia plant ja regelmäßige Übertragungen von großen Opernhäusern. Ein Gläschen Sekt für die Unannehmlichkeiten wäre eine aufmunternde Geste gewesen. Trotzdem ist Franz Fischer Dank auszusprechen, dass er als einziger Betreiber Projekte dieser Art wagt. Und Bayreuth kocht halt auch nur mit Wasser.

Merke: Der Wagnerianer kennt ja keinen Schmerz und kommt dann wieder zum nächsten Erguss!

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