Scrooge überprüft den unheimlichen Weihnachtsgeist auf Echtheit. |
"Eine Weihnachtsgeschichte" von Charels Dickens handelt von einem Menschen, dessen Herz im Laufe seines Lebens durch Enttäuschungen und Verluste versteinert ist. Seine Liebesgefühle hat er für Geld abgeschrieben. Mitmenschlichkeit war ihm fremd geworden, da für ihn jeder Mensch die gleichen Chancen hatte, durch viel Arbeit genügend Geld zu verdienen. Was aber nie der Fall sein kann. Dieser Mensch heißt Ebenezer Scrooge und besitzt eine Bank. Ohne Rücksicht auf unglückliche Schicksale treibt er das geliehene Geld samt den Zinsen ein. Sein Partner, Jacob Marley, war vor einigen Jahren ausgerechnet an Weihnachten verstorben. Als Geist kehrt er zurück. An einer Kette gefesselt, die er sich selbst durch sein gnadenloses Vorgehen gegen verschuldete Kunden angelegt hatte. Marleys Geist kündigt weitere Geister an.
Er sieht schon sehr verschroben aus, der geizige Geldverleiher Ebeneezer Scrooge auf der Bühne hinter seinem Tisch. Wie er mit eisiger Miene sein Geld vermehren will. Gespielt wird bei der "Weihnachtsgeschichte" im Augsburger Staatstheater Ebenezer Scrooge von Patrick Rupar. Der gibt alles. Was er abliefert ist beste Unterhaltung. Seine Darstellung des gierigen menschenverachtenden Geldverleihers, der nicht mal voll unsympathisch rüberkommt, ist total überzeugend. Ja, man entwickelt als Zuschauer sogar leichtes Mitleid mit ihm. Alles was Scrooge nicht gefällt, besonders „Gefühlsduselei“ bezeichnet er als „Humbug“. Das wird zu einem „running Gag“. Dieser fast schon ausgestorbene Begriff kommt gut. Den zuschauenden Kindern gefällt's. Wird vielleicht das Kinderwort des kommenden Jahres?
Die Gier des
Geldverleihers Scrooge scheint durch Rupars gekonnte Darstellung dieser
schwierigen Rolle eher ein Krankheit als eine Charaktereigenschaft zu
sein. Liegt vielleicht auch an seinem Kostüm, einem Büroanzug, von
dem er fast verschluckt wird. Könnte bedeuten: Seine Arbeit frisst ihn auf. Es wurde darauf verzichtet, ihn als reines Monster darzustellen. Fetter Pluspunkt für Kostüm, Regie und
Dramaturgie.
Zwei, Bob und Freddie, freuen sich auf das Weihnachtsfest. |
Bob Cratchit, gespielt von Kai Windhövel: Der ausgenützte Untergebene von Scrooge. Windhövel lässt uns in das Herz eines geplagten Menschen blicken, der sich unterjochen lässt, weil er zuhause ein behindertes Kind versorgen muss. Er ist die rechte Hand von Scrooge. Ein wankelmütiger Mensch. Eigentlich weiß er, dass Scrooge ein Ekelpaket ist, das die Menschen ausbeutet. Aber immer kurz vor der Rebellion gegen seinen unmenschlichen Boss ruft ihn seine Vernunft zur Räson. Ab und zu flackern bei ihm menschliche Gefühle auf, die schnell wieder unterdrückt werden müssen, um seinen Arbeitgeber nicht zu enttäuschen und zu gefürchteten Wutausbrüchen zu veranlassen.
Schön, dass sich die Kostümbildnerin Lydia Huller bei
den drei Weihnachtsgeistern, der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, mit ihrer Fantasie ausgetobt hat.
Die Geister haben alle ganz lange Finger bekommen. Vielleicht ein Hinweis
auf den Diebstahl des Geldes und der Gefühle durch Langfinger
Scrooge? Jeder Geist hat eine andere Farbe: Silber oder Rot oder
Schwarz.
Alle Darsteller - außer Scrooge - sind mehr oder weniger bunt gekleidet. Damit wird das
etwas düstere Thema vom blutsaugerischen Geizhals zum heiteren
Weihnachts-Theater umfunktioniert. Ist nicht schlecht, weil es den
Kindern in der heutigen Zeit des Überflusses mehr sagen kann, als
ein graues Depro-Märchen. Etwas grau kommt ja doch Scrooge mit
seiner Bank rüber. Bei seiner Kleidung und der Büro-Tapete ist das
schwarz-weiße Hahnentritt-Muster angesagt. Ein typisches
Textilmuster, wie es auch in Augsburg produziert wurde. Im 19.
Jahrhundert hauptsächlich zur Bekleidung von wohlhabenden Männern.
Der Hahnentritt ist ein kleinkariertes Muster, das aussieht, als
würden die Krallen eines Hahns auf dem Stoff abgebildet. Irgendwie
sind Geldmenschen wie Scrooge ja auch herumstolzierende Gockel, die sich
vor Habenichtsen allmächtig aufspielen.
Am gruseligsten ist
der Geist mit Kapuzenumhang, der mit Rauch aus dem Boden - womöglich
aus der Hölle? - herauf kommt ins Leben von Scrooge, der einen
unruhigen Schlaf hat, was wohl an seiner Kaltherzigkeit und seinem
schlechten Gewissen liegt.
Das Geister-Trio mit Natalie
Hünig, Katja Sieder und Elif Esmen ist insgesamt ein dreifacher
Wirbelwind, der über die Bühne braust. Scrooge wird davon
überrollt. Er ist machtlos und kann gar nicht anders, als sich zu
bessern, sich von seiner Geldgier zu verabschieden und sein Herz zu
öffnen für die Menschen und ihre Nöte.
Marley kommt als Untoter. |
Die Nichte Freddie, gespielt von Elif Esmen, kommt jugendlich unbeschwert daher. Ihre Unbekümmertheit, mit der sie dem alten Onkel die Unlust an Festen wie Weihnachten austreiben will, ist herzerweichend und zeigt umso besser, wie hartherzig Scrooge geworden ist.
Ich stelle mir vor, wie es hinter der Bühne zugehen mag. Immerhin schlüpfen die Schauspielerinnen und Schauspieler in viele Rollen und Kostüme. Trotzdem, oder gerade deswegen hat diese Aufführung ein flottes Tempo. Alle Achtung, klappt super.
Gelächter gibt’s, wenn das ältere Ehepaar aus den Kulissen auftaucht und allerliebst über die Bühne trippelt. Etwas unbeholfen, bissle verkalkt, aber sie bringen mit ihren verschrobenen Bemerkungen eine ordentliche Portion Spaß auf die Bühne. Kommen die auch in der echten Story von Charles Dickens drin vor? Keine Ahnung, müsste ich nachlesen. Auch wenn nicht, ich würde sie in dem Stück vermissen.
Musik, Licht und Ton sind
bestens auf das Stück abgestimmt, so dass hier das Zuschau-Vergnügen
erhöht wird.
Eine herrliche Idee ist das singende Kind am
Bühnenrand, das als verkleideter Weihnachtsbaum mit der Münzendose
klappert und Geld für arme Menschen sammelt. Scrooge geht das voll
auf die Nerven. Natürlich ist es "Humbug", was das Kind, das auch
manchen schrägen Ton produziert, da mit gutem Willen macht. Er lässt
es vertreiben, was ihm aber nicht endgültig gelingt. Motto: Das Gute
kann nicht weggeschickt und ausgerottet werden.
Scrooge hasst schöne Gefühle. |
Yvonne Kespohl ist mit dieser Inszenierung eines alten Weihnachtsklassikers aus dem alten London mit seinem Armen-Ghetto ein Familien-Theater-Knüller gelungen. Eine originelle Szene jagt die nächste. Witzige Figuren toben herum. Das Publikum kann dabei leicht Luftholen vergessen. Zwischenapplaus würde es sicher öfters geben, würde nicht schon der nächste Einfall daherkommen, der einen mitreißt. Die Kulissen aus dem Pop-Baukasten verleihen den Häusern und Geschäften auf der Bühne ein bisschen Disney-Land-Feeling. Dabei fällt mir ein, dass ich früher mal Dagobert Duck als Scrooge im "Lustigen Taschenbuch" erblickt habe.
Gott seid Dank hat der Autor Charles Dickens, der eine Familie mit vielen Kindern hatte, keinen jüdischen Geldverleiher in seine Weihnachtsgeschichte aufgenommen, sonst wäre das Stück bei uns natürlich nicht möglich. Oft wurden und werden immer noch gerne die Juden als kaltherzige Kreditgeber präsentiert. Vielleicht war sogar ein gewisser Jakob Fugger der Reiche, ein Katholik aus Augsburg, Dickens Vorbild für den herzlosen Ausbeuter-Typ Scrooge? Fuggers Reichtum entstand auch durch das Verleihen von Geld. Allerdings wird er bis heute bei uns in Augsburg oft noch als kluger und lieber Geschäftsmann verehrt, statt historisch richtig als geldgieriger Bankier gesehen, der sogar die massenmörderischen Feldzüge gegen die ausgepressten Bauern finanzierte.
Damit viele Menschen das Theater besuchen können, stellt das Staatstheater Augsburg kostenlose Audioguides in ukrainischer, arabischer und einfacher deutscher Sprache bereit. Gut für Kinder, die noch nicht lange Deutsch lernen. Kurze Szenenzusammenfassungen ermöglichen ein besseres Verständnis der Handlung. Tauben und schwerhörigen Menschen wird wieder eine in die deutsche Gebärdensprache live verdolmetschte Vorstellung angeboten. Das ist ein soziales Engagement zu dem ein Scrooge vor seiner Läuterung nur „was für ein Humbug!“ sagen würde.
Die Augsburger Inszenierung der „Weihnachtsgeschichte“ von Yvonne Kespohl bleibt erfreulicherweise sehr nahe an der ursprünglichen literarischen Vorlage von Charles Dickens dran. Sicherlich hat auch die Dramaturgin Melanie Pollmann daran einen großen Anteil. Yvonne Kespohl hat am Staatstheater Augsburg bereits „Alice im Wunderland“ auf die Bühne gebracht, wobei sie noch viel mehr mit knalligen Farben und verrückten Ideen gearbeitet hat. Was natürlich bei der Geschichte des Kotzbrockens Scrooge nicht nötig und möglich ist.
Geist der vergangenen Weihnacht mit langen Fingern macht Scrooge viel Angst. |
Geschrieben wurde diese „Weihnachtsgeschichte" mit Geistern von dem berühmten englischen Autor Charles Dickens, der schon vorher mit einem Roman wie „Oliver Twist“ die gesellschaftlichen Missstände in seiner Heimat angeklagt hat. Als Dickens diese Geschichte mit Scrooge schrieb, war das Zeitalter der Dampfmaschinen und der Industrialisierung schon weit fortgeschritten. Veröffentlicht wurde „Eine Weihnachtsgeschichte“ als „A Christmas Carol in Prose, Being a Ghost-Story of Christmas“ im Jahre 1843 mit Illustrationen. London zählt im 19. Jahrhundert zwar zu den größten und wohlhabendsten Orten der Welt. Aber: Drei Viertel der Bevölkerung leben im Elend. Mangelkrankheiten wie Skorbut sind die Folge. Und weil das Trinkwasser ungefiltert aus der Themse gepumpt wird, grassieren in den dicht besiedelten Armenvierteln zudem Durchfallkrankheiten wie die oft tödlich verlaufende Ruhr. Entstanden sind aus dieser "Weihnachtsgeschichte" Theaterstücke, Filme, Musicals und Comics.
In Augsburg, in dem viel Textilindustrie angesiedelt wurde, das für die meisten Menschen mehr Arbeit als Geld brachte, wurde 1840 die Eisenbahnstrecke nach München gebaut. Mit Lokomotiven, die von englischen Monteuren zusammengeschraubt worden waren.
Bunte Kostüme signaslisieren ein fröhliches Weihnachtsfest. |
Die Dickens-Story passt wunderbar in unsere Zeit. Allerdings sehen wir und unsere Kinder durch die meisten Medien die egomanischen Milliardäre im 21. Jahrhundert wie Elon Musk, Bill Gates oder John Bezos hinter ihren freundlichen PR-Masken nicht als herzlose Ausbeuter. Obwohl auch sie ihren Reichtum nur durch die ärmsten Menschen erlangen, die mit dem Einsatz ihres Körpers und ihrer Gesundheit für wenig Lohn den Reichtum der modernen Oligarchen aus der Erde kratzen, hacken und schaufeln.
Vielleicht brauchen solche Milliardärs-Typen auch mahnende Geister in einer schlaflosen Nacht an Weihnachten, damit ihnen die Erkenntnis kommt, dass es weitaus wichtigere Dinge auf der Welt gibt als Geld und Geschäfte? Ich wünsche es ihnen.
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Wie endet das Weihnachtsmärchen bei Charles Dickens?
„Scrooge tat nach der Begegnung mit den Weihnachts-Geistern nicht
nur alles, was er versprochen hatte, sondern noch mehr. Er wurde ein
so guter Mensch, wie nur ein Dorf oder Städtchen der Welt je einen
Freund und Menschen gesehen hat. Einige Leute lachten, als sie ihn so
verändert sahen. Aber er ließ sie lachen und kümmerte sich wenig
darum, denn er war klug genug, zu wissen, daß nichts Gutes in dieser
Welt geschehen kann, worüber nicht von vornherein einige Leute
lachen müssen: und da er wußte, daß solche Leute doch blind
bleiben würden, so dachte er bei sich, es wäre besser, sie legten
ihre Gesichter durch Lachen in Falten, als daß sie es auf weniger
anziehende Weise täten. Sein eigenes Herz lachte, und damit war er
vollauf zufrieden.“
Besprechung: Arno Loeb
Fotos: Jan-Pieter Fuhr
Die Darstellerinnen und Darsteller
Patrick Rupar
Natalie Hünig
Katja Sieder
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