Staatstheater Augsburg präsentiert: Mäh, Mäh, Mäh! Es waren einmal drei Ziegen: Bock, Ziege und Zicklein!
| Singende Roboterziegen im Kühlergebäude des Gaswerks. |
Sie weiden auf einer grünen Wiese in Augsburg ... hören den ganzen Tag nicht s anderes als die Oper "Cosi fan tutte" von Wolfgang Amadeus Mozart. Ja, richtig gehört ...
Genau diese Szene dürfen die Zuschauer*innen im Mai im Staatstheater Augsburg erleben. Genauer gesagt im Kühlergebäude des Gaswerkes, in einer experimentellen Oper, einem Ableger aus der wunderbaren Oper von Mozart.
Als Vorbereitung für das Neue "dolci_ingananni.zip" schnell nochmal ... "Cosi fan tutte" in Erinnerung rufen. So machen es alle ... besonders die Frauen ... eine komische Oper von Mozart in der es um Beziehungen geht, um Liebe und Treue, um Täuschung und Ent-täuschung. Um das Leben halt und ums Glück. Lorenzo Da Ponte, der für das Libretto verantwortlich ist und Mozarts Musik lassen Fragen offen, regen zum Nachdenken an, geben den Themen eine Art Leichtigkeit, und bringen das Stück als eine Art Lebensschule auf die Bühne. Mozarts Musik bei "Cosi fan tutte" lädt ein, Gefühle zuzulassen und das Beste aus schwierigen Situationen zu machen.
Bin gespannt was mich im Kühlergebäude des Augsburger Gaswerks zur Premiere erwartet. Schon höre ich die Klänge von Mozarts Oper. Der hohe weite Raum mit seinem heutigen Bühnenbild wirkt fast surrealistisch und so minimalistisch, dass die Musik die Chance hat sich ganz zu entfalten. Was sehe ich? Ein Gehege, eingezäunt mit Metallgitter. Innen grüne Sitzsäcke, die für mich eine Wiese andeuten, und Liegestühle, so aufgestellt, dass man sie gleich platzieren kann. Lauter verschiedene Stühle um das Gatter außen verteilt als weitere Zuschauerplätze. Zwei große Leinwände zum Mitlesen des Gesangtextes.
Und weit oben der Vollmond, der für die notwendige Romantik von "Cosi fan tutte" sorgt.
Mitten im Gehege die drei Ziegen, bewegen sich noch etwas unbeholfen, müssen sich erstmal orientieren. Können die künstlichen Ziegen das überhaupt mit ihrem ungewöhnlichen Körper wie Roboter, die noch nicht ganz ausgereift sind, mit ihren manuellen Hinterbeinen, Metallräder, die eher an an Kinderspielzeugtiere aus den 1960ern erinnern. Es wirkt fremd und doch vertraut: Die Musik, der Mond und der Hirte, männlich, aus Fleisch und Blut, traditionell mit Hut, Stab und langem Schäfermantel gekleidet war.
Bald hatte ich das Gefühl auf meinem Liegestuhl Teil des Experimentes zu sein. Fühlte mich mitgenommen von der Musik, von den wechselnden Farblichtspielen und dem altbekannten Gefühl bei Vollmond.
| Die Künstlerin Tintin Patrone. (Dokushot von ihrer Homepage) |
Fast gebannt richtete sich allerdings der Blick der Zuschauer*innen auf die drei Ziegen und verfolgten ihr Treiben. Im Laufe des Stückes wurde ich mehr und mehr in diese ungewöhnliche Ziegenwelt mithineingenommen.
Es kam mir so vor, dass die computergesteuerten Tiere eine Art Eigenleben entwickelten und immer besser zurechtkamen, sich fast tänzelnd über das Parkett, nein den Betonboden ihres Geheges bewegten. Wie ein richtiger Schäfer kümmerte sich der Hirte um die Tiere.
Besonders um den Bock, der schon bald die Lust am Geschehen verlor, die Vorderpfoten einknickte und sich aus dem Geschehen ausklinkte. Was der Hirte auch versuchte, es war vergeblich, der Bock blieb konnte nicht mehr zum Mitmachen bewegt werden, krank, müde, Akku leer. KI und computergesteuert und trotzdem unberechenbar. Jeder Versuch , jede Motivation, jede technische oder mechanische Problembehebung blieb vergeblich. Ein fast tragischkomisches Element auf laufender Livebühne. Nicht nur der Mensch ist ohnmächtig in vielen Situationen - auch die Technologie und die digitale Welt.
Dafür wurde die Ziege immer lebendiger, da sie wohl lange genug nur zugehört hatte, und anfing Mozart zu singen mit eigenen Texten. Ist die Verbindung zwischen den Zuschauer*innen und den Tiere damit gelungen? Anstatt mäh, mäh, mäh ertönt eine menschliche Stimme aus dem Maul der Ziege, die Ziege wurde immer mutiger und emotioneller. Der Hirte brachte sie immer wieder auf den rechten Weg und man hatte das Gefühl, sie will raus aus dem Gehege und traute sich mit der Zeit auch näher an die Zuschauenden. Im Laufe des Stückes entwickelte sich eine Art emotionelle Resonanz und die anfängliche Fremdheit schien zu weichen, ein mögliches Aufeinanderzugehen von KI, Computer und Mensch lag in der Luft.
Ein Experiment, das die Grenzen zwischen Maschine und Mensch ausloten will. Die Unkontrollierbarkeit im Live wurde deutlich, die Herausforderungen und Grenzen waren da mitten im Stück, Teil dieses Projektes. So kann jede Vorführung ein Experiment sein, weil die Ziegen und auch die Zuschauer*innen ihre Blicke, ihre Bewegungen, ihr Tun verändern. Jede der Vorstellung die ca. 45 Minuten dauerte ist einzigartig. Das Publikum wandelt sich, bringt eigene Theatererfahrung , Stimmungen und auch die Interpretationen wandeln sich. Was eine oder einer als faszinierend empfindet, findet eine anderer vielleicht als befremdlich, als langweilig und unzumutbar.
Jede Vorstellung ist neu, nicht vorhersehbar, was die vermeintliche Panne mit dem ermüdetem Ziegenbock zeigt. Die Vorstellung zeigte mir, dass "dolci_ingananni.zip" kein statisches Kunstwerk, kein fertiges Theaterstück ist, sondern ein lebendiger Prozess, der sich ständig wandelt. Ich frage mich, was wäre passiert, hätte wir als Premierenzuschauer nicht so sehr gefremdelt und hätten die Ziegen erlaubter Weise mehr berührt und Beziehung aufgebaut? Noch weiter denke ich, wie wäre es gewesen, wenn der Ziegenkörper mit Fell überzogen gewesen wäre?
Aus meiner Sicht wurde genau die richtige Oper für das Experiment heraus gesucht. Schein und Sein, Täuschung und Enttäuschung. Es entstand ein spannungsvoller Dialog zwischen Innovation und Tradition. Dieser Spin off scheint uns einzuladen über Täuschung und Illusion in unserer eigenen Welt nachzudenken, in der die Grenzen zwischen dem Analogen und Digitalen zunehmend verschwimmen und die Frage nach dem Echten komplexer und herausfordender wird.
Deshalb wünsche ich mir immer wieder solche Experimente, wie das mit den singenden Ziegen im Kühlergebäude. Ich denke, dass es gelungen ist und zum Nachdenken anregt, nach einer Inszenierung mit komischen Elementen, die schwebende Freiheit und fantastische Offenheit auf die Bühne brachten.
Die funktionierenden Ziegen wurden immer lebendiger, da sie wohl lange genug nur zugehört hatten, und anfingen Mozart zu singen mit eigenen Texten. Ist die Verbindung zwischen den Zuschauer*innen und den Tieren damit gelungen? Anstatt mäh, mäh, mäh ertönte eine menschliche Stimme aus dem Maul der Ziegen, die immer mutiger und emotioneller wurden. Der Hirte brachte sie stets auf den rechten Weg und ich hatte das Gefühl, sie wollen raus aus dem Gehege und trauten sich mit der Zeit auch näher an die Zuschauenden. Im Laufe des Stückes entwickelte sich eine Art emotionelle Resonanz und die anfängliche Fremdheit schien zu weichen. Ein mögliches Aufeinanderzugehen von KI, Computerziege und Mensch war nun vorstellbar.
Bericht: Lina Mann
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Idee & Konzeption Tintin Patrone
Sounddesign Stefan Leibold
Dramaturgie Sophie Walz
Musikalische Leitung (Aufnahme) Domonkos Héja
Sänger:innen (Aufnahme) Natalya Boeva, Jihyun Cecilia Lee, Olena Sloia Augsburger Philharmoniker
Ausgedacht hat ich dieses Opern-Abenteuer die Hamburger Künstlerin Tintin Patrone. Sie hat diese singenden Ziegen (halb 3D-gedruckte Modelle, halb Roboter) geschaffen. Zusammen mit experimenteller Musik lädt die Künstlerin zu einem ungewöhnlichen und performativen Opern-Erlebnis ein: ein Spin-off zur großen Opernproduktion »Così fan tutte«. Die Künstlerin bewegt sich mit ihren Projekten stets zwischen Performance und Musik. Sie leistet mit diesem spannenden Projekt beim Staatstheater Augsburg einen interessanten Beitrag zum Diskurs, wie viel Menschlichkeit die Oper braucht.
Die Augsburger Inszenierung wurde von der Dramaturgin Sophie Walz und dem Sounddesign von Stefan Leibold unter der musikalischen Leitung von Domonkos Heja am Freitag, 09.05.25 in der Premiere, Samstag und Sonntag aufgeführt.
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