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| Graham Nash beim Konzert in Stuttgart. |
Stuttgart, 29. September 2025.
In einer Zeit, in der der Lärm der Welt oft lauter scheint als jede Melodie, stand an diesem Montagabend in der Liederhalle ein Mann auf der Bühne, der nie aufgehört hat, an die leise Kraft des Liedes zu glauben: Graham Nash. Der britische Folk-Poet, Fotograf, Friedensaktivist – und einer der letzten Vertreter jener Generation, die Musik noch als politisches Statement verstand – zeigte, dass Haltung auch nach sechs Jahrzehnten nichts von ihrer Strahlkraft verliert.
Ein Kind der 60er – und immer noch unbequem
Die 1960er und 70er Jahre waren kein Mythos, sie waren ein gesellschaftlicher Aufbruch: Musik wurde zur Sprache der Veränderung. Während andere sangen, um zu unterhalten, sangen Künstler wie Dylan, Baez, Lennon – und eben Graham Nash – um zu bewegen.
Als Mitbegründer der Hollies brachte Graham Nash einst Harmonie in die britische Popmusik, bevor er mit Crosby, Stills & Nash (und Young) an der Westküste der USA zum Soundtrack einer Gegenkultur wurde. Songs wie Teach Your Children oder Chicago forderten nicht weniger als eine menschlichere Welt – und diese Botschaft hallt bis heute nach.
In Stuttgart zeigte sich, dass Nash dieser Überzeugung treu geblieben ist. Keine falsche Nostalgie, keine weichgespülte Zeitreise – stattdessen ein Abend, der das, was damals galt, in die Gegenwart trägt: Frieden, Solidarität, Empathie.
Der Abend: ruhig, klar, politisch
Graham Nash begann den Abend ohne Inszenierung, ohne Effekte. Nur seine Stimme, seine Gitarre, seine Geschichten. Wasted on the Way eröffnete das Konzert – ein leiser Song über verpasste Chancen und verlorene Zeit, der heute aktueller klingt denn je.
Später sprach Nash von Kriegen, Grenzen, Ungerechtigkeit. Vor Military Madness benannte er klar, was ihn bewegt: Gewalt, Nationalismus, die Zerstörung der Menschlichkeit. „Stop all wars“ – kein Slogan, sondern ein Appell. Ein Mann, der in den 60ern gegen Vietnam sang, erhebt heute dieselbe Stimme gegen neue Kriege. Und man glaubt ihm, weil er nie aufgehört hat, hinzusehen.
Geschichten, die verbinden
Was Graham Nash unterscheidet, ist seine Art zu erzählen. Zwischen den Liedern öffnet er Türen in sein Leben: Zugfahrten durch Marokko, die zu Marrakesh Express wurden; Begegnungen, Freundschaften, Lieben. Wenn er über Joni Mitchell spricht und I Used to Be a King anstimmt, dann ist das keine Anekdote, sondern ein Stück gelebte Kulturgeschichte.
Und wenn er mit einem Schmunzeln von seiner Zeit bei den Hollies erzählt oder über Londoner Nächte spricht, in denen Songs wie Winchester Cathedral Gestalt annahmen, dann spürt man: Hier steht jemand, der die Popmusik von innen heraus kennt, ohne sich je von ihr vereinnahmen zu lassen.
Mehr als Musik – Gemeinschaft auf der Bühne
Seine Band – Todd Caldwell, Adam Minkoff und Zach Djanikian – war weit mehr als Begleitung. Es war ein Miteinander, wie man es heute selten sieht. Kein Wettstreit, kein Ego. Nur gemeinsames Atmen. Die Songs lebten, wuchsen, schwebten.
Besonders Cathedral, Better Days und Immigration Man entwickelten in dieser Konstellation eine Tiefe, die zwischen Nostalgie und Gegenwartsbewusstsein pendelte. Bei Our House sang schließlich der ganze Saal – und für einen Moment schien die Welt ein friedlicherer Ort zu sein.
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| Graham Nash: Musik ist Haltung. |
Ein Vermächtnis, das lebt
Graham Nash ist 83, aber wenn er singt, trägt seine Stimme die gleiche Mischung aus Verletzlichkeit und Klarheit wie vor einem halben Jahrhundert. Vielleicht, weil seine Songs nie bloße Liebeslieder waren, sondern immer auch Lieder über das Menschsein.
In einer Zeit, in der Musikindustrie oft mit Geschwindigkeit, Klicks und Algorithmen verwechselt wird, steht Nash als Erinnerung daran, dass Musik Haltung ist. Dass ein Lied eine Waffe sein kann – aber auch eine Umarmung.
Er spricht leise, aber seine Worte hallen nach. „Simple Man“, nennt er sich. Und vielleicht ist genau das seine Stärke: Einfachheit als Form von Wahrheit.
Ein Abend für die Seele – und das Gewissen
Dieses Konzert war mehr als ein nostalgischer Rückblick auf eine goldene Ära. Es war ein leiser Protest gegen Gleichgültigkeit. Ein Abend, der daran erinnerte, dass Frieden kein Zustand, sondern eine tägliche Entscheidung ist.
Graham Nash sang gegen die Verrohung der Welt, ohne laut zu werden. Er zeigte, dass Musik mehr verändern kann als Parolen – wenn sie ehrlich ist.
Vielleicht braucht unsere Zeit gerade das: weniger Zynismus, mehr Menschlichkeit. Weniger Spektakel, mehr Seele. Und Künstler wie Nash, die zeigen, dass Haltung keine Mode ist, sondern eine Lebensform.
Bericht: Nina Königs
Fotos: Oliver Höss


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