Legaler Raub - wie ging das?


Die Ausplünderung der Juden in Schwaben während des Nationalsozialismus und der Kampf um Entschädigung.

Wenn Augsburgs Nachtschwärmer zwischen den Kneipen an der Maximilianstraße und der Bäckergasse hin und her pendeln, kommen sie durch die Heilig-Grab-Gasse. Diese kurze Straße verbindet die bürgerliche Oberstadt mit der Handwerkervorstadt an den Lechkanälen. Die Flaneure passieren ein unscheinbares, aber dennoch stattliches Gebäude mit der Adresse Heilig-Grab-Gasse 2. Dieses Haus gehörte wie andere in der Innenstadt (z.B: Mozartstr.5 ½, Bahnhofstr. 17) jüdischen Bürgern. Während des Nationalsozialismus wurden den Juden diese Immobilien wirtschaftlich betrachtet, geraubt.

Augsburg, Heilig-Grab-Gasse, links, Nr. 2.


Nun sind Enteignung, ökonomische Verdrängung und Herauspressung von Gütern nur Vorlaufthemen zum Holocaust. Daran gemessen ist die gesellschaftliche Gewichtigkeit von legalem Raub zwar zweitrangig aber dennoch hoch. Erst durch die gesetzlich legalisierte wirtschaftliche Vernichtung der Juden durch Zentralstaat, Kommunen und Privatpersonen wurde die Stigmatisierung der Juden vervollständigt. Mit dem Vermögensverlust wurden sie auch noch mittellos und konnten weder angemessen leben noch Ausreise oder Flucht finanzieren.

Die Autoren um Peter Fassl haben mit dem Buch "Ausplünderung der Juden in Schwaben während des Nationalsozialismus und der Kampf um Entschädigung" für alle „glücklich Nachgeborenen“ eine sehr lesenswerte Dokumentation vorgelegt. Anhand von gut recherchierten Schicksalen weisen sie nach, wie Immobilien, ganze Unternehmen und Kunstwerke aber auch Alltagsgegenstände zu Spottpreisen von Juden abgegeben werden mussten. Zudem wurden sie in der Berufsausübung behindert oder aufgrund der Arisierung von Standesrichtlinien faktisch von der Einkommenserzielung ausgeschlossen.

Preußisch korrekte Grundlage war das Rassenrecht (kein Jude kann Volksgenosse sein), die Mobilisierung von völkischem Shitstorm (kauft nicht bei Juden!) oder vorgeblich wirtschaftsordnungsrechtliche Gesetze wie der „Ausschluss der Juden aus dem Wirtschaftsleben“.

Das folgende Ausräubern  von jüdischem Vermögen stellen die Autoren  unterschiedlich dar. Zu Beginn der NS-Regimezeiten kauften auch die Kunstsammlungen  noch zum angenäherten Vergleichswert oder arische Unternehmen wie die Bernheim'sche Chemische Fabrik Pfersee zum sogenannten "Billigen Gegenstandswert". Immobilien dagegen erwarb die Stadt Augsburg regelmäßig zum sogenannten Einheitswert von 1918 der schon in den 1930er-Jahren die Inflationsentwicklung der 1920er-Jahre nur unzureichend berücksichtigte. 

Peter Fassl: Herausgeber, Heimatpfleger des Bezirks Schwaben.


Mussten Juden, etwa zum Bezahlen der Vermögensabgabe, die die Nazis zur Begleichung von angeblichen Pogromsschäden verwendeten, ihren Hausrat versteigern so kamen Kaufpreise von Privatpersonen häufig unter Vollstreckungsdruck zustande.

Für den juristisch oder steuerrechtlich vorbelasteten Leser ist es unglaublich, mit welchen perfiden Begründungen staatlicherseits Wertermittlungen manipuliert wurden. Im Fall Heilig-Grab-Gasse wurde argumentiert, "daß von der Maximilianstraße als Aufmarschroute zu den 1.-Mai-Feiern die Heilig-Grab-Gasse eingesehen werden kann und es nicht sein darf, daß ein Haus nicht beflaggt ist." Dies minderte den Kaufpreis.

Nach Ende des Regimes sollte man meinen mit der politischen und gesellschaftlichen Entnazifizierung ginge auch die wirtschaftliche Wiedergutmachung einher. Die Autoren zeigen mit ihren Einzelfällen die leider vorherrschende Praxis der an sich guten Entschädigungsgrundlagen auf. Denn „mea culpa impar mea moneta.“  Ich bereue vollständig, aber bezahle unvollständig, oder Schuld eingestehen, ist billiger als Vermögen zurückgeben. So haben in der Regel alle Entschädigungsgesetze und Restitutionen bedingt durch die vom Beraubten zu erbringenden Nachweise nicht einmal den Zeitwert abgebildet, geschweige denn Vermögenszuwächse während der Zeit der Enteignung berücksichtigt. 

Edgar Mathe bei einer Führung durch Augsburg.

Der emotionale Verlust wurde gar nicht bewertet. Wertermittlungsverfahren wurden administrativ so ausgeübt, daß es dem Bestohlenem nahezu unmöglich war, einen gerechten Entschädigungswert zu erzielen. Bei der Heilig-Grab-Gasse wurde 1936 ca. 1/3 des Verkehrswertes bezahlt, den die Stadt Augsburg noch 1949 als angemessen bezeichnete. Zum Abschluss des Entschädigungsverfahrens musste die Stadt vom Landgericht in Augsburg zu einer Nachzahlung von rd. 90.000 Reichsmark verurteilt werden. Selbst dieser Betrag war unter sachverständiger Beurteilung grenzwertig. 

Die Autoren belegen (sofern die geraubten Vermögen nicht „körperlich“ zurückgegeben wurden), daß Unterwertentschädigungen regelmäßig Bestandteil des administrativen Systems waren. Welch eine weitere Erniedrigung der Holocaust-Opfer!

Fazit: Eine erschütternde zeitgeschichtliche Dokumention, gut zu lesen, eine Lektüre, welche die damalige zweifelhafte Integrität  der öffentlichen Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland offenlegt.

Edgar Mathe

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Ausplünderung der Juden in Schwaben während des Nationalsozialismus und der Kampf um Entschädigung / Hg.: Peter Fassl / Verlag / 49,00 €

Band 14 der Reihe "Irseer Schriften – Studien zur Wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Herausgegeben von Markwart Herzog und Sylvia Heudecker

Die Autoren und ihr Thema im Buch:

Peter Fassl: Einleitung (Dr. Peter Fassl ist Heimatpfleger des Bezirks Schwaben.)

Rainer Jedlitschka: Quellen zur „Wiedergutmachung“ nationalsozialistischen Unrechts im Staatsarchiv Augsburg

Katrin Holly/Gerhard Fürmetz: Quellen in Archiven außerhalb des Regierungsbezirks Schwaben zu „Arisierung“, Restitution und „Wiedergutmachung.“ Ein Leitfaden

Florian Schwinger: Die Entwicklung von Restitution und „Wiedergutmachung“ in rechtlicher Hinsicht und das Beispiel Ludwig Dreifuß

Heinz Högerle: Die Ausraubung der jüdischen Familien in Horb und Rexingen

Michael Niemetz: „Arisierung“ in Laupheim – ein Forschungsstand

Tim Benedikt Heßling: Zur „Arisierung“ von Immobilien durch die Stadt Augsburg

Maren Janetzko: Die Restitution mittelständischer Unternehmen in Augsburg und Memmingen

Katrin Holly: Rettung oder Raub? Die Rolle städtischer Funktionsträger in Augsburg bei Übernahme und Erwerb von Kunstgegenständen aus jüdischem Besitz 1939 bis 1945 für die Städtischen Kunstsammlungen

Horst Keßler: Provenienzforschung bei den Kunstsammlungen und Museen Augsburg

Katharina Maria Kontny: Hans Robert Weihrauch und die Dienststelle „Chef der Heeresmuseen“

Paul Hoser: Der „Wiedergutmachungs“- und Entschädigungsfall Hugo Erlanger

Jim G. Tobias: Ausgeplündert, verfolgt und belogen. Enteignung und Rückerstattung am Beispiel des „Wiedergutmachungs“-Verfahrens Kupferberg/ Schneider gegen die Oberfinanzdirektion Nürnberg

Karl Borromäus Murr: „Eines der ersten jüdischen Opfer des Nationalsozialismus“? Der Fall Bernheim in Augsburg

Nazi-Regierung im Augsburger Rathaus, 1934.


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