Radau am Weltkulturerbe Lech

Historisches Bild vom Hochablass.
Hier steht die Säule mit dem bairischen Löwen noch dicht am Hochablass.

Aktuelles Bild vom Hochablass.



Schelln und Watschn


Heiße Ohren und dicke Backen gab es für Augsburger Holzdiebe im 17. Jahrhundert als sie von den Lechhausern beim Fällen der Bäume auf dem „Lechfischerhölzl“ erwischt wurden. Es setzte Watschn* und Ohrschelln (*der für Lechhausen spezifische Ausdruck darf aus sprachhygienischen Gründen nur als Fußnote erwähnt werden).

Weil der Lech wegen seines mäandernden Laufes ein wasserstands-abhängiges Westufer hatte, beanspruchten die Augsburger alles das, was trockenen Fußes von der Stadt her erreicht werden kann, als reichsstädtisches Gut. Zwar ist in der Wasserrechtsurkunde von 1462 wodurch den Augsburgern von Kaiser Heinrich III. immerwährendes Wassernutzungsrecht eingeräumt nichts über den Lechverlauf ausgeführt, doch beanspruchte der Magistrat der Stadt den Fluss bis zur Mitte.


Unklare Gebietsgrenze im Lech


Der Fluss aus den Alpen gab bei Niedrigwasser große Flächen frei, darum weideten dort die Kühe und Ziegen der Augsburger, wo unter Hochwasser nur die Kiesbänke aus dem reißenden Fluss ragten. Diese umstrittene Flur hieß „Geisberg“ und ist heute nach der gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfolgten Eintiefung des Lechs, der Stadtteil Herrenbach. Vom östlichen Ufer aus lag das "Fischerhölzl" auf Höhe des Osram-Steges umgeben von Wasser.

Für die Lechhauser war der Lech immer „ihr“ Fluss ungeachtet seines jahreszeitlichen Wasserstandes. Darum nahmen sie auch den Holzfrevel nicht hin. Nach der nonverbalen Sachverhaltsaufklärung kamen die Augsburger in Lechhauser Arrest und wurden erst freigelassen, nachdem die den Wert des gestohlenen Holzes bezahlten. Es nutzte den Städtern auch nichts, dass sie argumentierten, die Lechhauser hätten dreißig Jahre zuvor das Fischerholz unberechtigt selbst gerodet. Das Gegenargument war einfach: Was wir können, dürft Ihr noch lange nicht!

Holz war nicht nur für den Häuserbau wichtig. Im Dorf gab des damals bei rund 7500 Einwohnern 29 Wirtshäuser und 4 Schnapsbrennereien die Brennmaterialien zum Sieden und Destillieren dringend benötigten. Der Durst und der hochprozentige Magenberuhigungsbedarf waren gewaltig. So schenkten zum Beispiel im Jahre 1880 allein die zwei größten Gasthäuser in Lechhausen um die 4100 (!) Hektoliter Bier aus.

Bairischer Löwe: In der Gegenwart in den kleinen Park zwischen
Hochablass und Eiskanal versetzt. 




Der Lech -- Freund und Feind


Noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedrohte der Lech die Lechhauser mit unkontrollierbarem Hochwasser und gewaltigen Schäden. Darum begegnen sie dem wilden Gebirgsfluss noch heute mit großem Respekt. Dennoch war und ist der Lech emotionaler Bestandteil der Lechhauser Seele. Der Fluss brachte Einkommen,  vor allem aus dem Flößereibetrieb, war Nahrungsquelle als Fischwasser und Freizeitziel. Am Lech wurde gebadet, auf „gefundenen“ (lechhauserisch für Besitzaneignung unbewachter, vermeintlich herrenloser Güter) Brettern wellengeritten, Judenstricke geraucht (von Jutenstrick, eine getrocknete Kletterrebe), unbeobachtete Kontakte zum anderen Geschlecht gepflegt oder missliebige Gegenstände wie im April 1945 das häusliche Hitlerbild, entsorgt.

Deshalb würdigen die Lechhauser ihren Fluss, so wie jetzt mit dem Flößerpark unter besonderer Hingabe. Da ändert es auch nichts, wenn in manchen Lechhauser Familien die Erinnerung an einen beim Baden „versoffenen“ Onkel schmerzt.

Die Augsburger dagegen sahen im Lech nur einen Transportweg mit wirtschaftlichem Zweck und konnten die innige Beziehung der Lechhauser zum wesentlichen Bestandteil des heutigen Weltkulturerbes nie nachvollziehen.

Aufkleber zur Eingemeindung.


Horst Hinterbrandner, ein Lechhauser.



Den Augsburgern das Wasser abgegraben


Ob dieser Geringschätzung ärgerten die Lechhauser die Pfeffersäcke, wo es ging. Am empfindlichsten waren die Reichsstädter, wenn sie mit den von Süden kommenden Flößen nicht zum Anlegen in den Proviantbach und Kaufbach vom Hochablass einfahren konnten. Holz, Wein und Gewürze mussten entladen werden. Meist waren es nur kleine Sticheleien, wie das herzogliche Verbot der Floss-Entladung auf Augsburger Seite durchzusetzen, damit die bairischen Wittelsbacher den „Floßpfennig“ erhielten.

Gelegentlich, allerdings unter Führung der ebenfalls bairischen Friedberger, gruben die „Diesseitigen“ den jenseitigen Augsburgern das Wasser ab. Sie rissen im Jahr 1596 die Streichwehre am Hochablass zur Bewässerung Augsburgs und seiner Kanäle ab. Dadurch konnte die Wassermenge nicht mehr reguliert werden.

Ärgerlich, aber die Städter wollten keinen Streit, deshalb bot man den Bairischen an über rechtskundige Augsburger, die vertragliche Situation zu klären. Das war erfolglos, weil die feinsinnigen Juristen auf derbe Holzknechte trafen, die sich nichts um die Rechtsmeinung scherten. Folglich kamen anderntags der kaiserliche Notar mit den Augsburger und erklärten den Baiern die Unrechtmäßigkeit ihres Tuns. Der für Lechhausen und Friedberg zuständige Beamte lachte die noblen Herren nur aus, drehte sich um zeigte der verdutzten Obrigkeit als Ausdruck der Geringschätzung seinen nackten Hintern.


Protestnote im Lech abgetrieben


Die Augsburger wahrten dennoch die Contenance und forderten den Beamten auf, dem Herzog Wilhelm von Wittelsbach eine Protestnote zu übergeben, damit dieser anordne, dass die Wasserabgrabung sofort zu beenden sei. Die Lechhauser und Friedberger wollten das Schriftstück nicht entgegennehmen, so musste es der kaiserliche Notar über den Fluss werfen. Dummerweise war der Fluss trotz Niedrigwasser zu breit. Die Botschaft fiel ins Wasser und schwamm Richtung Donau. Das Gelächter der Baiern blieb.

Doch die Augsburger wollten nicht klein beigeben und ihr auf kaiserliches Recht bauendes Wasser haben. Sie engagierten über 500 Landsknechte, die den Lechablass vor den Missetätern bewachen sollten. Aber wie so oft in Augsburg ging dem Magistrat das Geld aus und die Söldner zogen nach kurzer Zeit wieder ab. Gelöst wurden die Augsburger Probleme damals wie heute in München. Der Herzog gab den Augsburgern ihr Wasser zurück und die bairischen Krawallmacher mussten den Ablass wieder herstellen.
Der Lech mit Blick auf das Lechhauser Ufer.

Johannes Hintersberger, ein Lechhauser am Lech.



Schwierige Beziehung


Für die Augsburger Großbürger in der Oberstadt waren die hinterm Lech jahrhundertelang nur Kleinhäusler und Hungerleider deren Dreistigkeit sich auf den Schutz durch die bairischen Herzöge stützte. Die Lechhauser forderten Brückenzoll, verzogen das weidende Vieh von den Kiesbänken oder waren angeblich Beutelschneider für die Kaufleute auf dem Weg nach Regensburg. Die Dörfler sahen in den Tuchhändlern und Silberschmieden nur geldgierige, anmaßende und selbstherrliche Wichtigtuer aufgrund ihres vornehmen Status der freien Reichsstadt.

Diese komplizierte Beziehung änderte sich nur leidlich mit der Eingemeindung im Jahr 1913. Für Lechhausen, die arme Schlafstadt der Augsburger Fabrikler, war die Aufgabe der gemeindlichen Souveränität lebensnotwendig, weil sie durch die anstehenden Infrastrukturaufgaben damals überfordert war. So musste sich der letzte Lechhauser Bürgermeister Karl Seiderer mit der höchsten Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich auseinandersetzen. Die Stadt erhielt als Gegenleistung für Kanalisation, Krankenhaus, Straßenbahn, Schulwesen und Elektrifizierung die Lechhauser Flur, die ebenso groß war als das damalige Stadtgebiet. Zwischenzeitlich zur Stadt erhoben erhofften sich die ca. 19.000 Lechhauser mehr Gleichheit als Assimilation. Leider wurde man nur ein Stadtteil.

Kein Wunder, dass der Autoaufkleber zur 70. Jahrfeier der Eingemeindung 1973 nur von „Lechhausen bei Augsburg“ spricht. Es nutzte den Reichsstädtern auch nichts, dass mindestens ein Oberbürgermeister und fünf Bürgermeister (wenn man die Hammerschmiede und die Firnhaberau dazu zählt) aus dem Stadtteil „HINTER dem Lech kamen“.



Ehemalige Holzbrücke von Augsburg nach Lechhausen.




„Mehr Knödl als Spätzle“


Es ist nach wie vor viel Argwohn im Verhältnis der „Großen Schwaben“ zu den „Kleinen Oberbayern“. Fragt man ein Lechhauser Urgestein wie den Landtagsabgeordneten Johannes HINTERsberger nach den Gründen, so antwortet der mit: „Wenn man arm ist muss man z'amm halten, und mir Lechhauser sind "halt mehr Knödl als Spätzle". Auch Stadtrat Horst HINTERbrandner, Vorsitzender des Lechhauser Trachtenvereins und Volksmusiker sieht seine rechtslechischen Spezl(innen) den Augsburgern kulturell überlegen: „Da hat bei uns scho der letzte Muhackl Balett tanzt, da ham's in der Stadt drin no d'Lieder auf die Grashalm pfiffa“.

Vielleicht bewegen sich deshalb die Augsburger immer noch auf leisen Sohlen, wenn es um die Interessen Lechhausens geht. Denn sehr schnell könnten die „HINTER“ dem Lech, wenn es um Streit geht, zum Leidwesen der Großstädter VORN dran sein.


Edgar Mathe


*Fotzn (Watschn): kräftige Backpfeife die deutliche Spuren im Gesicht hinterlässt.

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Quellen:

Stadtarchiv Augsburg, Friedberg

Lechhausen, Artur Vierbacher, Augsburg 1985

Augsburg zu Fuß - Wo Bayern begint - Karlheinz Ulrich, Hamburg 1993

Der Lech, Miller/Reile Kempten 1986


Bilder: Stadtarchiv, Autor, privat


Dieser Artikel erscheint in der Reihe Andere Augsburger Orte (Teil 8)

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