Neuester Coup der bundesweiten Avantgarde: Staatstheater Augsburg inszeniert interaktiven Krimi

Das Team der virtuellen Inszenierung.
 (Foto: David Ortmann)


Unfall - oder Mord?

In der Sendung „Digitale Revolution am Theater?“ am Samstag auf 3sat wurde das Staatstheater Augsburg mit seiner Digitalsparte als die „bundesweite Avantgarde“ gelobt. Zitiert werden André Bücker, Intendant am Staatstheater Augsburg, der sagt, „wir wollen das Beste aus zwei Welten vereinen“, und Tina Lorenz, Projektleitung Digitale Entwicklung: „Wir wollen den digitalen Raum nicht den großen Tech-Konzernen überlassen, sondern der Kunst ihre Freiräume schaffen.“

Wie man das anstellt, zeigt das Staatstheater nun in einer neuen Erzählform mit dem interaktiven Krimi „Solo – Folge 1“. Die Absicht ist, dass die Zuschauenden aus den komplexen Möglichkeiten, die der Produktion zugrunde liegen, ihr „eigenes, persönliches Stück“ gestalten.

Die Story des Krimis: In einem „Bundesisolationsjahr“ kann man ein Jahr lang vollständig in einer virtuellen Realität leben, ohne Reisen, Shopping und Fleischkonsum – als Beitrag gegen Überbevölkerung und Ressourcenknappheit. Stattdessen kann man sich in der virtuellen Realität überallhin bewegen. Wenn nichts schiefgeht. Doch ein halbes Jahr, nachdem sich Junus hat isolieren lassen, wird die Technik gehackt – und er will sich an der Chefin des Unternehmens, das die Technologie betreibt, rächen. Dabei stirbt er jedoch in der realen Welt.

Und nun ist es den Zuschauenden überlassen, in ihrer virtuellen Welt mit der VR-Brille Indizien zu sammeln, Zeugen zu vernehmen und den Fortgang der Handlung selbst zu bestimmen. Am Schluss gibt es drei verschiedene Enden – war es ein Unfall, oder wer war der Mörder?

In der Tat ist es bemerkenswert, wie sich das Staatstheater – nicht nur notgedrungen! – den Möglichkeiten der interaktiven VR-Welt stellt. Bei „Solo – Folge 1“ gäbe es allerdings noch Verbesserungspotenzial. So ist der Fortgang der Story manchmal etwas zäh, die 3D-Ansicht funktioniert nicht immer, und auch die Entscheidungen mittels Markierung durch die VR-Brille hängen zwischendurch. Der Realismus leidet darunter, dass einige Stilmittel etwas artifiziell wirken, und dass Anschlüsse der einzelnen Szenen nicht glaubwürdig erscheinen. So sind beispielsweise die Räume der Handlung nur durch weißes Klebeband markiert; man könnte also leicht zwischen den Räumen wechseln. Stattdessen wird die Handlung unterbrochen und erst wieder aufgenommen, wenn man sich in dem neuen Raum befindet. Auch eine Verpixelung der Schauspieler bei Szenenwechseln stört die Virtualität. So fällt „Solo“ leider gegenüber der hyper-realistischen, bewegungsgetriebenen Ballettinszenierung „Kinesphere“ ab.

Eine witzige Überraschung erwartet die Zuschauer nach der Vorstellung: Man bekommt einen Flyer des „Bundesisolationsjahres – BIJ“ ausgehändigt, der den Flyern von Bundesministerien täuschend echt nachempfunden ist. Sogar eine Website gibt es dazu, die man mit dem aufgedruckten QR-Code besuchen kann (hier der Link: http://www.bundesisolationsjahr.de/ ) Am Ende erscheint auf der Website so etwas wie die Interpretation der Inszenierung: „Das hier ist nicht die Wahrheit. Wir sind nicht die, die wir glauben zu sein. Golden Mind is evil. Nichts ist wie es scheint.“


Interaktive VR-Serie von Sebastian Klauke. Inszenierung: David Ortmann


Text: Sabine Sirach

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