Zwei »Creations« beeinflusst von Corona


»bel inconnu«: Kampf…

… und zärtliche Auseinandersetzung.


Kammertanzabend in der Brechtbühne

Zwei Choreografen, ein Abend, eine Bühne: Mauro Astolfi und Patrick Delcroix erarbeiteten exklusiv für das Ballett Augsburg je eine neue Choreografie und brachten sie in der Brechtbühne zur Uraufführung. Die Premiere war eigentlich für den 29.1.2021 geplant und wurde pandemiebedingt verschoben.

In seiner Einführung erzählt Ballettdirektor Ricardo Fernando von Schwierigkeiten bei der Choreografie von Patrick Delcroix wg. mehrfacher Quarantäne seit November 2020: Delcroix hatte bereits ein festes Konzept, musste dann aber umdenken. 

„bel inconnu“ von Patrick Delcroix 

Delcroix gehört zu den Urgesteinen der europäischen und globalen Tanzszene und hat einen eigenen choreografischen Stil, der sich durch eine zeitgenössische Weiterentwicklung des klassischen Balletts auszeichnet.

In seiner Augsburger Choreografie stellen zwei Pas des deux das Spiel der Erotik in Annäherung und Auseinandersetzung dar, das Spektrum reicht von Zärtlichkeit bis Abstoßung. Die Tänzer zitieren einen kurzen englischen Text von Marc Wellman: „She was right, I was gone.“ und interpretieren damit das Geschehen. Auch die Musik, einzelne Lieder u.a. von Kate Bush, David Lang, soll die Gefühle sprachlich ausdrücken – was leider etwas untergeht.

Stark beeindruckt der Kampf dreier Männer vor den anderen Mitgliedern des Ensembles im Hintergrund; er zeigt das endlos Fließende, auf das es Delcroix ankommt (der übrigens in Frankreich für seine Verdienste um die Künste zum Ritter geschlagen wurde).

»Poco«: Tanz in der Box.

»Poco«: Lockdown bis zum Wahnsinn.


„Poco“ von Mauro Astolfi 

Astolfi ist einer der bedeutendsten Choreografen der europäischen Tanzszene. Er steht für eine symbolische Erzählweise, mit der er maßgeblich das Handlungsballett im zeitgenössischen Tanz verankert.

„Poco“ stellt den kleinen Raum dar, in dem wir uns zwangsläufig, während Lockdown und Quarantäne befinden. In hohem Tempo und, wie Astolfi betont, „sehr sensibel“, zeigt das Augsburger Ensemble, wie das Eingesperrtsein die Menschen in die Einsamkeit bis zum Wahnsinn treibt. Astolfi kommt es aber auch darauf an, zu zeigen, dass die Menschen immer nach neuen Lösungen suchen, selbst wenn um einen herum alles zum Stillstand kommt. 

Auf der Bühne stehen zwei bewegliche große möblierte Boxen, um die und in denen der Tanz stattfindet. Exakte Lichtführung stellt mal Gefängniszellen dar, mal lenkt sie den Blick in Räume und Zwischenräume. Zu arhythmischer, düster-expressiver Musik führen die Tänzer die Behinderung durch die Enge des Raums vor, es entstehen Aggressionen und psychische Not. Eine bedrückende Atmosphäre, die zwischendurch mit lustigen optischen Tricks etwas aufgelockert wird. Erst in der freundlichen Schluss-Szene an Kindertischchen und -stühlchen versöhnen sich die Menschen wieder und bewundern schließlich den Sternenhimmel, der die Wiedererlangung der Freiheit verspricht.


Autorin: Sabine Sirach

Alle Fotos: Jan-Pieter Fuhr


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